RS Vfgh 1992/3/12 G220/91, G221/91, G222/91

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Veröffentlicht am 12.03.1992
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Index

60 Arbeitsrecht
60/02 Arbeitnehmerschutz

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
Übereinkommen 89, der Konferenz der Internat Arbeitsorganisation über die Nachtarbeit der Frauen im Gewerbe, BGBl 229/1950
Frauen-NachtarbeitsG §2 Abs2 liti
Frauen-NachtarbeitsG §3 Abs1
Frauen-NachtarbeitsG §4 Abs10

Leitsatz

Abweisung des Antrags auf Aufhebung von Bestimmungen des Frauen-NachtarbeitsG; keine Verletzung im Recht auf Gleichheit durch auf Frauen beschränktes Nachtarbeitsverbot, durch davon verfügte Ausnahmen bzw durch Beschränkung der Möglichkeit für Ausnahmebewilligungen; wirksamer Schutz vor dem besonderen Druck auf Frauen zur Übernahme von Nachtarbeit

Rechtssatz

Abweisung des Antrags auf Aufhebung des §3 Abs1 bzw des §4 Abs10 Frauen-NachtarbeitsG.

Die Antragstellerinnen sind vom Frauen-NachtarbeitsG unmittelbar betroffen. Zwar wendet sich das Beschäftigungsverbot nach seiner Formulierung nur an den Arbeitgeber, doch nimmt es seinem Zweck und Inhalt nach auf die Rechte und Pflichten der Vertragspartner in bestehenden oder in Aussicht genommenen Arbeitsverhältnissen derart Einfluß, daß damit nicht nur die wirtschaftliche Lage, sondern auch die Rechtssphäre der Arbeitnehmerinnen unmittelbar gestaltet wird. Das gilt auch für §4 Abs10 Frauen-NachtarbeitsG (Ermächtigung des Arbeitsinspektorates, im Einzelfall Ausnahmen zuzulassen), der mit §3 Frauen-NachtarbeitsG eine normative Einheit bildet.

Schon im Vorerkenntnis VfSlg. 11774/1988 hat der Gerichtshof einen hinreichenden Grund für die durch ein Nachtarbeitsverbot bewirkte Beschränkung der Erwerbstätigkeit von Frauen im Argument gesehen, Frauen seien "... bei den gegenwärtigen Verhältnissen auf dem Arbeitsmarkt doch (noch) häufig besonderem Druck zur Übernahme von Nachtarbeit ausgesetzt, da es ihnen diese ermöglicht, sich tagsüber häuslichen Angelegenheiten zu widmen".

Die von Österreich ratifizierten internationalen Übereinkommen von 1906 bis 1948 zeigten, daß die beteiligten Kreise das Verbot der Nachtarbeit zum Schutz der Frauen vor unerwünschten Folgen wirtschaftlicher Zwänge für dringend notwendig gehalten haben und noch halten. Zwar hat die Internationale Arbeitskonferenz am 26.06.90 ein weiteres Übereinkommen über Nachtarbeit (Nr. 171) angenommen, das für weibliche und männliche Arbeitnehmer in gleicher Weise gilt und nur wenige Wirtschaftsbereiche von seiner Geltung ausnimmt, doch setzt dieses - von Österreich noch nicht ratifizierte - neue Übereinkommen das Übereinkommen Nr. 89 (BGBl. 229/1950) nicht außer Kraft. Vielmehr wurde dieses durch ein - von Österreich gleichfalls nicht ratifiziertes - Zusatzprotokoll ergänzt. Ein möglichst weitreichendes Verbot der Nachtarbeit für Frauen wird also nach wie vor für notwendig gehalten.

Daß das Ziel - Hintanhaltung der konkreten Gefahr einer Mehrbelastung durch die Nachtarbeit - gerechtfertigt ist, steht außer Zweifel. Der Gerichtshof kann dem Gesetzgeber daher nicht entgegentreten, wenn er bei Abwägung der mit der Maßnahme verbundenen Vor- und Nachteile annimmt, daß ein wirksamer Schutz vor jenem besonderen Druck auf Frauen zur Übernahme von Nachtarbeit - wie auch sonst häufig im Arbeitsrecht - nur durch ein generelles Verbot der Beschäftigung von Frauen in der Nacht gewährleistet ist, und dabei jenen, die dieses Schutzes aufgrund ihrer günstigeren Lage nicht (mehr) bedürfen, zumutet, in Solidarität mit den Schutzbedürftigen auf Nachtarbeit zu verzichten.

Der Verfassungsgerichtshof hält es für die Aufgabe des Gesetzgebers, abzuwägen, ob er den für (noch) erforderlich gehaltenen Schutz gewährt und damit indirekt - wie etwa das deutsche Bundesverfassungsgericht befürchtet, Urteil vom 28.01.92, 1 BvR 1025/82, 1 BvL 16/83, 10/91 - "die überkommene Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern verfestigt", oder die Angleichung der Lebensverhältnisse von Frauen und Männern auf Kosten eines verläßlichen Schutzes der gegenwärtig Betroffenen für die Zukunft vorantreibt.

Ob bestimmte Tätigkeiten oder Wirtschaftszweige einer besonderen Regelung bedürfen oder vom Geltungsbereich eines arbeitsrechtlichen Schutzgesetzes gänzlich ausgenommen werden, ist eine Frage der Zweckmäßigkeit, die von äußerst vielfältigen Gesichtspunkten abhängig gemacht werden kann.

Einen Vergleich stellen die Anträge nur im Hinblick auf einen Teilbereich der liti des §2 Abs2 Frauen-NachtarbeitsG an. Wenn aber der Gesetzgeber die Notwendigkeit ganz bestimmter - seltener - Reinigungsarbeiten aufgrund ihrer Besonderheit anders bewertet als das Interesse der Beteiligten am Beginn der täglichen Vorbereitungsarbeiten auf Lebensmittelgroßmärkten schon um 4 Uhr früh, so kann der Verfassungsgerichtshof darin eine Gleichheitsverletzung nicht erblicken.

Der Gesetzgeber ist den besonderen Interessen bei der Bereitstellung von Lebensmitteln für den Verkauf oder im Marktverkehr in §4 Abs10 Frauen-NachtarbeitsG dadurch entgegengekommen, daß er das Arbeitsinspektorat ermächtigt, die Beschäftigung bereits ab 5 Uhr zuzulassen. Diese auch anderen Betrieben für verschiedene Erleichterungen gesetzte Grenze von 5 Uhr ist der frühestmögliche Zeitpunkt, zu dem nach dem Übereinkommen Nr. 89 (BGBl. 229/1950) generell die Arbeit zugelassen werden kann. Wenn der Gesetzgeber diese Grenze auch hier nicht überschreitet, kann ihm dies unter dem Blickwinkel des Normzweckes nicht zum Vorwurf gemacht werden. Daß in gewissen Bereichen Nachtarbeit über diese Grenze hinaus wirtschaftlich erwünscht ist, macht das Verbot nicht unsachlich. Die allgemeine Rechtfertigung des Nachtarbeitsverbotes schließt daher die Rechtfertigung der gewählten Grenze mit ein.

Entscheidungstexte

  • G220-222/91
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 12.03.1992 G220-222/91

Schlagworte

Arbeitnehmerschutz, Nachtarbeit, Frauennachtarbeitsverbot, geschlechtsspezifische Differenzierungen, Gleichheit Frau-Mann

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1992:G220.1991

Dokumentnummer

JFR_10079688_91G00220_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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