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50 GewerberechtNorm
B-VG Art140 Abs3 erster SatzLeitsatz
Aufhebung der für die Nachsicht vom gewerberechtlich vorgeschriebenen Befähigungsnachweis - zusätzlich zum Nachweis der vollen Befähigung - geforderten Voraussetzung der Unzumutbarkeit der Erbringung des Befähigungsnachweises oder des Vorliegens besonderer örtlicher Verhältnisse wegen Verletzung der Erwerbsausübungsfreiheit und der Berufsausbildungsfreiheit mangels öffentlichen Interesses an dieser GewerbezugangsbeschränkungRechtssatz
Die Wortfolge "1.a) ihm die Erbringung des vorgeschriebenen Befähigungsnachweises wegen seines Alters, seiner mangelnden Gesundheit oder aus sonstigen, in seiner Person gelegenen wichtigen Gründen nicht zuzumuten ist, oder b) wenn besondere örtliche Verhältnisse für die Erteilung der Nachsicht sprechen, und 2." in §28 Abs1 GewO 1973, BGBl. Nr. 50/1974, wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Der Gesetzgeber fordert für den Zugang zum Gewerbe durch Erteilung einer Nachsicht vom Befähigungsnachweis gemäß §28 Abs1 GewO 1973 nicht nur die volle Befähigung des Nachsichtswerbers, die der Behörde auf andere Art und Weise als durch den vorgeschriebenen Befähigungsnachweis nachgewiesen wird, sondern zusätzlich (also kumulativ) noch die subjektive Unzumutbarkeit der Erbringung des in der Befähigungsnachweis-Verordnung oder Meisterprüfungsordnung vorgeschriebenen - regelmäßigen - Befähigungsnachweises oder das Vorliegen besonderer örtlicher Verhältnisse, die für die Erteilung der Nachsicht sprechen, also beispielsweise einen besonderen örtlichen Bedarf nach den betreffenden gewerblichen Leistungen.
Da der Nachweis der Befähigung ohne die in der Befähigungsnachweis-Verordnung vorgeschriebene Prüfung in aller Regel einen schwierigeren und anspruchsvolleren Ausbildungsweg zur Erreichung des in jener Verordnung festgelegten Befähigungsstandards voraussetzt, ist schlechthin auszuschließen, daß dieser Ausbildungsweg gegenüber dem in der Befähigungsnachweis-Verordnung standardisierten bevorzugt wird.
Wenn aber Personen, die einen an sich schwierigeren und anspruchsvolleren Ausbildungsweg gegangen sind und die nachweislich mindestens den in der Befähigungsnachweis-Verordnung vorgezeichneten Ausbildungsstandard erreicht haben, vom Gewerbeantritt ausgeschlossen werden, weil sie nicht noch zusätzlich besondere, in der Z. 1 des §28 Abs1 GewO 1973 umschriebene Voraussetzungen erfüllen, so verstößt diese Gewerbezugangsbeschränkung mangels eines öffentlichen Interesses gegen Art6 StGG.
§28 Abs1 GewO 1973 verstößt aber auch gegen die durch Art18 StGG jedermann gewährleistete Freiheit, sich für den erwählten Beruf "auszubilden, wie und wo er will".
Gewiß besitzt der Gesetzgeber hinsichtlich des Ausbildungszieles ein beträchtliches Maß an Gestaltungsfreiheit. Sind jedoch im Hinblick auf das Ausbildungsziel sachlich gleichwertige Ausbildungsalternativen evidentermaßen, - insbesondere auch durch deren Anerkennung durch den Gesetzgeber -, vorhanden, so ist der Gesetzgeber kraft Art18 StGG verhalten, diese Ausbildungsalternativen ohne Diskriminierung zu berücksichtigen.
Da der Widerspruch des §28 Abs1 GewO 1973 zu Art6 und Art18 StGG dadurch bewirkt wird, daß trotz tatsächlicher Befähigung des Nachsichtswerbers lediglich unter den einschränkenden Voraussetzungen, die in der Z. 1 dieser Bestimmung genannt sind, die Nachsicht erteilt werden darf, genügt es, lediglich diese Bestimmungen als verfassungswidrig aufzuheben.
Der Antrag des Verwaltungsgerichtshofes auf Aufhebung des verbleibenden Teils des §28 Abs1 GewO 1973 war sohin abzuweisen.
(Anlaßfall B1307/90, B1394/90, E v 16.06.92, Aufhebung der angefochtenen Bescheide).
Entscheidungstexte
Schlagworte
Gewerberecht, Nachsicht (vom Befähigungsnachweis), Befähigungsnachweis, Lokalbedarf, Erwerbsausübungsfreiheit, Berufsausbildung (Gewerberecht), Bedarfsprüfung, VfGH / Verwerfungsumfang, öffentliches Interesse, Berufswahl- und BerufsausbildungsfreiheitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1992:G317.1991Dokumentnummer
JFR_10079384_91G00317_01