RS Vfgh 1992/6/17 G45/91

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Veröffentlicht am 17.06.1992
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Index

83 Natur- und Umweltschutz
83/01 Natur- und Umweltschutz

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
BVG Umweltschutz
AbfallwirtschaftsG §15 Abs1
AbfallwirtschaftsG §16 Abs1

Leitsatz

Zulässigkeit des Individualantrags auf Aufhebung einer Bestimmung des AbfallwirtschaftsG betreffend die Verpflichtung der Abfallsammler zur Entgegennahme gefährlicher Abfälle oder Altöle; Inpflichtnahme der Abfallsammler im Wege eines Kontrahierungszwanges zum Zweck der für den Umweltschutz bedeutsamen Abfallentsorgung im öffentlichen Interesse gelegen, adäquat und sachlich gerechtfertigt; kein Verstoß gegen die Erwerbsausübungsfreiheit und den Gleichheitsgrundsatz

Rechtssatz

Zulässigkeit des Individualantrags auf Aufhebung des §16 Abs1 AbfallwirtschaftsG.

Durch §16 Abs1 AbfallwirtschaftsG werden Abfallsammler gemäß §15 Abs1 AbfallwirtschaftsG verpflichtet, unter bestimmten Bedingungen gefährliche Abfälle von deren Besitzern abzuholen oder entgegenzunehmen. Die Verpflichtung zum Abschluß entsprechender zivilrechtlicher Verträge erwächst den Antragstellern, die sämtliche Abfallsammler im Sinne des Gesetzes sind, ohne Konkretisierung durch eine gerichtliche Entscheidung und ohne Erlassung eines Bescheides aus dem Gesetz selbst. Sie trifft daher die Antragsteller in ihrer Rechtssphäre, weil sie ihre Vertragsfreiheit beschränkt.

Die Antragsteller sind durch die Verpflichtung, gefährliche Abfälle über Aufforderung abzuholen, auch unmittelbar und aktuell betroffen. Für die aktuelle Betroffenheit ist es nämlich nicht erforderlich, daß sämtliche tatbestandlichen Voraussetzungen einer gesetzlich begründeten Verpflichtung bereits eingetreten sind, solange der Verpflichtete nur mit der jederzeitigen Verwirklichung des ihn speziell verpflichtenden Tatbestandes - ohne Dazwischentreten eines Bescheides oder eines richterlichen Urteiles - zu rechnen hat.

Der aktuelle Eingriff in die Rechtssphäre der Abfallsammler wird durch die rechtliche Möglichkeit zur Einstellung der Tätigkeit gemäß §15 Abs7 AbfallwirtschaftsG nicht berührt. Ist es doch schlechterdings mit Art140 Abs1 B-VG unvereinbar, die Anfechtbarkeit unmittelbar wirksamer gesetzlicher Bestimmungen durch die davon Betroffenen deswegen auszuschließen, weil sich diese einer gesetzlichen Verpflichtung auch durch Preisgabe der mit dieser Verpflichtung verbundenen Berechtigung entledigen könnten.

Der Antrag auf Aufhebung des §16 Abs1 AbfallwirtschaftsG wird abgewiesen.

Da die Verpflichtung des Abfallsammlers, gemäß §16 Abs1 AbfallwirtschaftsG gefährliche Abfälle oder Altöle von deren Besitzer über Aufforderung abzuholen, sowohl im verfassungsrechtlich durch das BVG über den umfassenden Umweltschutz bestätigten öffentlichen Interesse gelegen, ferner geeignet ist, einer unsachgemäßen Entledigung von Abfällen durch deren Besitzer vorzubeugen und im Hinblick auf die den Abfallsammlern erteilte Abfallsammelerlaubnis auch adäquat sowie sachlich zu rechtfertigen ist, verstößt §16 Abs1 AbfallwirtschaftsG nicht gegen die Erwerbsausübungsfreiheit gemäß Art6 StGG.

Im Umfang der von ihnen selbst angestrebten Abfallsammelerlaubnis nach §15 Abs1 AbfallwirtschaftsG wurden die als Abfallsammler tätigen Unternehmungen vom Staat für geeignet befunden, ihre im besonderen öffentlichen Interesse liegende wirtschaftliche Tätigkeit auszuüben. Sehen sich Abfallsammler faktisch außerstande, für eine gehörige Entsorgung gefährlicher Abfälle weiterhin die Verantwortung und das wirtschaftliche Risiko zu übernehmen, so ist es ihnen gemäß §15 Abs4 AbfallwirtschaftsG unbenommen, ihre Abfallsammlererlaubnis auf bestimmte Abfall- oder Altölarten einschränken zu lassen bzw. ihre Tätigkeit dauernd oder befristet gemäß §15 Abs7 AbfallwirtschaftsG einzustellen.

Die im Wege des Kontrahierungszwanges, - also einer bloßen Erwerbsausübungsregelung - , bewirkte Inpflichtnahme von Abfallsammlern zum Zwecke der für den Umweltschutz besonders bedeutsamen gehörigen Abfallentsorgung ist verfassungsrechtlich unbedenklich.

§16 Abs1 AbfallwirtschaftsG verstößt aber auch nicht gegen den Gleichheitssatz.

Zum einen gilt der Kontrahierungszwang unter bestimmten Voraussetzungen auch für die Versorgung der Bevölkerung mit deren Normalbedarf. Zum anderen ist es jedenfalls von der Sache her gerechtfertigt, Abfallsammler zur Entgegennahme und Entsorgung gefährlicher Abfälle jedenfalls dann gesetzlich zu verhalten, wenn es dem Besitzer derartiger gefährlicher Abfälle an anderen zumutbaren Ausweichmöglichkeiten fehlt. Dadurch, daß für den Kontrahierungszwang kraft §16 Abs1 AbfallwirtschaftsG auf den nächstgelegenen Standort des Abfallsammlers abgestellt wird, ist in sachlich gerechtfertigter Weise jener Abfallsammler zur Abholung oder Entgegennahme verpflichtet, dem die Entsorgung (immer im Rahmen seiner von ihm selbst erwirkten Sammelberechtigung) am ehesten zumutbar ist.

Entscheidungstexte

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, Abfallwirtschaft, Erwerbsausübungsfreiheit, Umweltschutz, Kontrahierungszwang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1992:G45.1991

Dokumentnummer

JFR_10079383_91G00045_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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