TE Vfgh Erkenntnis 2004/10/13 B787/04

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Veröffentlicht am 13.10.2004
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Index

L9 Sozial- und Gesundheitsrecht
L9200 Altenheime, Pflegeheime, Sozialhilfe

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
Krnt SozialhilfeG 1996 §13 Abs4, §20 Abs6, §22

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch Versagung der Gewährung von Taschengeld für Heim- und Anstaltspflege bei Unterbringung im Rahmen einer Beschäftigungstherapie

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Kärnten ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit EUR 2160,-- bestimmten Prozesskosten binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Dem Beschwerdeführer wird gemäß den §§14 und 22 des (nunmehrigen) Kärntner Sozialhilfegesetzes 1996 - K-SHG 1996, LGBl. Nr. 30/1996, Behindertenhilfe als Beschäftigungstherapie durch Unterbringung in einem Heim samt Übernahme der ab 2. September 1985 entstehenden Kosten gewährt.

2. Mit Bescheid der Kärntner Landesregierung vom 17. Mai 2004 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung des Taschengeldes für Heim- und Anstaltspflege gemäß §2 Abs2 der Sozialhilfe-Leistungsverordnung 2004 der Kärntner Landesregierung, LGBl. Nr. 83/2003, abgewiesen.

Begründend wird dazu im Wesentlichen ausgeführt, die Gewährung eines Taschengeldes sei im Rahmen der Behindertenhilfe nur vorgesehen, wenn ein - volljähriger - Behinderter in einer Einrichtung der Eingliederungshilfe (§19 K-SHG) untergebracht sei und dort Unterkunft und Verpflegung erhalte, nicht aber auch bei Unterbringung im Rahmen der Beschäftigungstherapie.

Gegen diesen - keinem Rechtszug unterliegenden - Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, worin die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes (§13 Abs4 K-SHG 1996 iVm §2 Abs2 der Sozialhilfe-Leistungsverordnung 2004, weiters §§20 Abs6 und 22 K-SHG 1996) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, worin sie den in der Beschwerde erhobenen Bedenken Folgendes entgegenhält:

"Beschäftigungstherapie wird einem Hilfesuchenden gewährt, dessen körperlicher, geistiger oder seelischer Zustand eine berufliche Ausbildung oder Eingliederung nicht zulässt. Sie umfasst sowohl die Förderung und Erhaltung der vorhandenen Fähigkeiten als auch die Integration des Behinderten in die Gesellschaft. Zur Erreichung dieser Ziele können Mittel oder geeignete Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden. Personen, denen Beschäftigungstherapie gewährt wird, bedürfen daher aufgrund des Schweregrades ihrer Behinderung einer besonders intensiven und umfassenden Unterstützung. Personen, denen hingegen Hilfe gemäss §14 Abs5 litc und d K-SHG gewährt wird, erhalten die Hilfestellung im Hinblick auf die Ausbildung und Integration in die Berufswelt. Das K-SHG unterscheidet daher im Rahmen der Behindertenhilfe bei der Art der Hilfeleistung nach den unterschiedlichen Bedürfnissen der Hilfesuchenden.

Im Rahmen der Beschäftigungstherapie erfolgt eine umfassendere Betreuung als bei den Hilfeleistungen nach §14 Abs5 lita, c oder d, da sie sich auch auf die gesellschaftliche Integration der Hilfesuchenden, aber auch auf Bedürfnisse erstreckt, die etwa bei einer Unterbringung nach §14 Abs5 lita in einem Heim üblicherweise durch das Taschengeld befriedigt werden. Sie erfolgt entsprechend den Bedürfnissen der Behinderten und stellt einen Teil der von der Einrichtung angebotenen Hilfeleistung dar.

Im Vergleich zu den gemä[ß] §13 leg.cit. Untergebrachten handelt es sich um solche Heime, in denen vorwiegend ältere, pflegebedürftige oder psychisch kranke Personen, die naturgemä[ß] andere Bedürfnisse haben als der Personenkreis der Behinderten. Im Gegensatz zu den behinderten Personen können sie ihren Bedürfnissen entsprechend selbständig handeln und diese auch durchsetzen. Dieser Personenkreis benötigt und erhält daher eine Hilfestellung in einem anderen Ausmaß.

Es ist daher sachlich gerechtfertigt, für die in - ihren jeweiligen Bedürfnissen entsprechenden - Heimen, Anstalten und Einrichtungen untergebrachten Menschen unterschiedliche Regelungen zu treffen.

Behinderte, denen Hilfe zur Erziehung und Schulbildung bzw. beruflichen Eingliederung gewährt wird, steht bei Vorliegen der Voraussetzungen zur Befriedigung kleiner persönlicher Bedürfnisse ein Taschengeld zu, um unter anderen am gesellschaftlichen und kulturellen Leben teilnehmen zu können. Personen, die die Beschäftigungstherapie in Anspruch nehmen, erhalten von der Einrichtung selbst Maßnahmen zur Eingliederung in die Gesellschaft und stellt dies daher einen Teil der Hilfeleistung dar.

Es ist daher sachlich gerechtfertigt, bei der Art der Hilfeleistung im Rahmen der Behindertenhilfe zwischen Personen mit unterschiedlichen Bedürfnissen zu unterscheiden."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Gemäß §1 Abs2 litb K-SHG 1996 umfasst die Sozialhilfe ua.

- neben der Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes - auch die Hilfe für Behinderte.

Die im vorliegenden Fall maßgebenden Bestimmungen des 3. Abschnitts ("Hilfe zur Eingliederung Behinderter") des K-SHG 1996 lauten auszugsweise samt Überschriften:

"§14

Anspruch

(1) Den Behinderten ist nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Abschnittes Hilfe zu leisten.

(2)-(4) ...

(5) Zu den Hilfeleistungen für Behinderte gehören:

a)

Heilbehandlung (§16),

b)

orthopädische Versorgung (§17),

c)

Hilfe zur Erziehung und Schulbildung (§18),

d)

Hilfe zur beruflichen Eingliederung (§19),

e)

Hilfe zum Lebensunterhalt (§20),

f)

Hilfe durch geschützte Arbeit (§21),

g)

Beschäftigungstherapie (§22),

h)

persönliche Hilfe (§23).

(6) ...

...

§18

Hilfe zur Erziehung und Schulbildung

Die Hilfe zur Erziehung und Schulbildung umfaßt die Beratung der Erziehungsberechtigten in Erziehungs- und Ausbildungsfragen, die Vermittlung eines Behinderten in eine seiner Behinderung und Befähigung entsprechende Erziehungs- und Ausbildungsstätte sowie die Übernahme der durch die Behinderung bedingten Kosten für die Erziehung und Schulbildung.

§19

Hilfe zur beruflichen Eingliederung

Die Hilfe zur beruflichen Eingliederung umfaßt:

a) Berufsausbildung;

b) Ein-, Um- und Nachschulung in Betrieben, Lehrwerkstätten oder ähnlichen Einrichtungen;

c) Berufsvorbereitung und Arbeitstraining in kursmäßigen oder ähnlichen Veranstaltungen;

d) Erprobung auf einem Arbeitsplatz bis zu einem Höchstausmaß von sechs Monaten.

§20

Hilfe zum Lebensunterhalt

(1) Solange einem volljährigen Behinderten Hilfe nach §14 Abs5 lita, c oder d gewährt wird, ist ihm Hilfe zum Lebensunterhalt in dem Ausmaß zu gewähren, daß sein monatliches Gesamteinkommen (Abs3) den eineinhalbfachen Richtsatz, der für den Behinderten und die mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden unterhaltsberechtigten Angehörigen nach den Bestimmungen des 2. Abschnittes für voll arbeitsunfähige Personen gebühren würde, erreicht.

(2)-(5) ...

(6) Erhält ein volljähriger Behinderter in Einrichtungen der Eingliederungshilfe auch Unterkunft und Verpflegung, so gebührt ihm anstelle der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt lediglich ein angemessenes Taschengeld zur Befriedigung kleinerer persönlicher Bedürfnisse. Die Bestimmungen des §13 Abs4 gelten sinngemäß.

(7)-(8) ...

...

§22

Beschäftigungstherapie

Behinderten, deren körperlicher, geistiger oder seelischer Zustand einer beruflichen Ausbildung oder einer beruflichen Eingliederung hinderlich ist, können Mittel oder Einrichtungen zur Erhaltung und Weiterentwicklung der vorhandenen Fähigkeiten sowie zur Eingliederung in die Gesellschaft zur Verfügung gestellt werden (Beschäftigungstherapie).

..."

Der in §20 Abs6 K-SHG 1996 verwiesene - im 2. Abschnitt ("Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes") dieses Gesetzes enthaltene - §13 Abs4 lautet:

"Den in Anstalten oder Heimen untergebrachten Hilfeempfängern über 15 Jahre ist ein Taschengeld zu gewähren, sofern eine zweckentsprechende Verwendung desselben durch oder für den Hilfsbedürftigen gewährleistet ist. Die Höhe des Taschengeldes ist durch Verordnung der Landesregierung festzusetzen; dabei ist auf die Art der Anstalt oder des Heimes und auf die Bedürfnisse und das Alter der darin untergebrachten Hilfeempfänger Bedacht zu nehmen. Das Taschengeld gebührt in den Monaten Juni und Dezember in doppelter Höhe."

§2 der - auf Grund des K-SHG 1996 ergangenen - Sozialhilfe-Leistungsverordnung 2004 der Kärntner Landesregierung, LGBl. Nr. 83/2003, lautet samt Überschrift:

"§2

Taschengeld für Heim- und Anstaltspflege

(1) In Heimen und Anstalten untergebrachte Empfänger von Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes erhalten ab Vollendung des

15. ebensjahres zur Befriedigung persönlicher Bedürfnisse ein Taschengeld, wenn und insoweit eine zweckentsprechende Verwendung desselben durch oder für den Hilfebedürftigen gewährleistet ist und diesem Beträge in der in Abs2 genannten Höhe zum persönlichen Gebrauch nicht zur Verfügung stehen.

(2) Das Taschengeld beträgt ab Vollendung des 18. Lebensjahres € 77,--, ab Vollendung des 15. Lebensjahres € 53,-- monatlich.

(3) Die Regelung der Abs1 und 2 gilt sinngemäß auch für die Unterbringung in Familien."

2. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.413/1985, 11.682/1988) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift irrig einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

3. Die Beschwerde sieht es als unsachlich an, dass Behinderten, die im Rahmen der Hilfe zur beruflichen Eingliederung in Anstalten, Heimen oder Familien untergebracht sind, ein Taschengeld gebührt (§20 Abs6 iVm §13 Abs4 K-SHG 1996), nicht jedoch auch Personen, denen im Rahmen der Beschäftigungstherapie Unterbringung in einem Heim gewährt wird.

Mit diesem Vorwurf ist die Beschwerde im Ergebnis im Recht:

Das K-SHG 1996 sieht nur in zwei Fällen die Unterbringung Hilfesuchender vor, nämlich als Maßnahme der Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes (§13) und im Rahmen der Hilfe zur beruflichen Eingliederung (§20 Abs6). In beiden Fällen gebührt dem Hilfesuchenden jeweils ein Taschengeld (§13 Abs4 bzw. §20 Abs6 K-SHG 1996).

Wie die Beschäftigungstherapie erbracht wird, ist dem Gesetz (§22 K-SHG 1996) nicht zu entnehmen, woraus zu schließen ist, dass jede geeignete Maßnahme in Betracht kommt. Keine Bestimmung des K-SHG 1996 sieht jedoch vor, dass ein Hilfesuchender, der in einer entsprechenden Einrichtung untergebracht wird, seinen - grundsätzlich bestehenden - Taschengeldanspruch nur deshalb verliert, weil ihm dort auch Beschäftigungstherapie gewährt wird. Gäbe es eine solche Regelung, müsste sie als unsachlich gewertet werden.

Dadurch, dass die Behörde dem K-SHG 1996 somit zu Unrecht einen in Widerspruch zum Gleichheitssatz stehenden Inhalt unterstellt hat, hat sie den Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.

Der Bescheid war daher aufzuheben.

4. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG. Die zugesprochenen Kosten enthalten Umsatzsteuer in Höhe von EUR 360,--.

5. Dies konnte ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden (§19 Abs4 erster Satz VfGG).

Schlagworte

Sozialhilfe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:B787.2004

Dokumentnummer

JFT_09958987_04B00787_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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