RS Vfgh 1993/7/1 G75/93

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Veröffentlicht am 01.07.1993
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Index

L0 Verfassungs- und Organisationsrecht
L0350 Gemeindewahl

Norm

B-VG Art117 Abs1
B-VG Art117 Abs2
B-VG Art117 Abs7
B-VG Art118 Abs5
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
Tir GdWO 1991 §1, §3, §7. ...

Leitsatz

Aufhebung der die Direktwahl des Bürgermeisters durch die Gesamtheit der Wahlberechtigten der Gemeinde regelnden Bestimmungen der Tir GdWO 1991 wegen Verletzung des parlamentarisch-demokratischen Systems der Gemeindeselbstverwaltung; keine bundesverfassungsgesetzliche Ermächtigung zur Einführung einer direkt-demokratischen Bestellung von Verwaltungsorganen

Rechtssatz

Aufhebung der die Direktwahl des Bürgermeisters durch die Gesamtheit der Wahlberechtigten der Gemeinde regelnden Bestimmungen der Tir GdWO 1991, LGBl 79, (§1 Abs3 und Abs4, die Wortfolge "und des Bürgermeisters" in §3 Abs1, §3 Abs3, die Wortfolge "und zur Wahl des Bürgermeisters" in §7 Abs1, ...) als verfassungswidrig.

Die Klärung der Frage, ob die Bestimmungen über die Direktwahl des Bürgermeisters in der Tir GdWO 1991 verfassungskonform sind, ist Voraussetzung einer Entscheidung über die beim Verfassungsgerichtshof anhängige Anfechtung der Bürgermeisterwahl, weshalb die genannten Bestimmungen sowohl für die Entscheidung über die Zulässigkeit der Wahlanfechtung wie auch über die Sache präjudiziell sind.

Wenn die Bundesverfassung zum einen dem Gemeinderat organisatorisch und funktionell die zentrale Stellung in der Gemeindeselbstverwaltung zuweist und zum anderen in Art118 Abs5 B-VG für alle anderen Gemeindeorgane eine Verantwortlichkeit gegenüber dem Gemeinderat festgelegt wird, so ist damit ein bestimmtes - demokratisch-parlamentarisches - System der Gemeindeselbstverwaltung konstituiert. Die Bestellung des Bürgermeisters unter Ausschaltung des Gemeinderates verletzt dieses System; sie verändert, ja entleert weitgehend den Begriff der Verantwortlichkeit gegenüber dem Gemeinderat und schafft ein duales, auf zwei voneinander unabhängigen Säulen beruhendes Organisationssystem, indem sie den Bürgermeister neben dem Gemeinderat als ein weiteres direkt vom Gemeindevolk gewähltes, sohin unmittelbar demokratisch legitimiertes, mit dem Gemeinderat daher in dieser Weise nicht mehr verbundenes Organ einrichtet. Das parlamentarisch-demokratische System der Gemeindeselbstverwaltung wird durch ein sowohl aus Elementen des parlamentarisch-demokratischen Systems als auch aus Elementen eines Systems direkt-demokratisch legitimierter monokratischer Leitung bestehendes neues System ersetzt. Ein solcher Systemwechsel ist aber ohne ausdrückliche bundesverfassungsrechtliche Ermächtigung nicht zulässig.

Von einer Erweiterung der direkten Volkswahl von Gemeindeorganen über die in Art117 Abs1 und Abs2 B-VG vorgesehene Gemeinderatswahl hinaus ist weder in Art117 Abs7 B-VG noch in den Materialien zu dieser Bestimmung, in der die Landesgesetzgebung ausdrücklich ermächtigt wird, in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde die unmittelbare Teilnahme und Mitwirkung der zum Gemeinderat Wahlberechtigten vorzusehen, die Rede.

Entscheidungstexte

Schlagworte

VfGH / Präjudizialität, Wahlen, Bürgermeister, Direktwahl Bürgermeister, Gemeinderecht, Grundprinzipien der Verfassung, demokratisches Grundprinzip

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1993:G75.1993

Dokumentnummer

JFR_10069299_93G00075_2_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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