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82 GesundheitsrechtNorm
B-VG Art18 Abs1, Abs2Leitsatz
Keine Bedenken gegen die in der Lebensmittelhygieneverordnung vorgesehene Verpflichtung des Inhabers oder Geschäftsführers eines Lebensmittelunternehmens zur Festlegung, Durchführung, Einhaltung und Überprüfung angemessener Sicherheitsmaßnahmen für die Lebensmittelsicherheit im Hinblick auf das BestimmtheitsgebotSpruch
Der Antrag wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Beim Unabhängigen Verwaltungssenat Wien (in der Folge: UVS) ist ein Verwaltungsstrafverfahren anhängig, in welchem dem Berufungswerber vorgeworfen wird, er habe entgegen den in §3 lita, b, c, d und e der Verordnung der Bundesministerin für Frauenangelegenheiten und Verbraucherschutz über allgemeine Lebensmittelhygiene (Lebensmittelhygieneverordnung), BGBl. II Nr. 31/1998, enthaltenen Grundsätzen des HACCP-Systems (Hazard Analysis and Critical Control Points), die für die Lebensmittelsicherheit kritischen Punkte im Prozessablauf nicht festgestellt und auch nicht dafür Sorge getragen, dass angemessene Sicherheitsmaßnahmen festgelegt, durchgeführt, eingehalten und überprüft wurden. Es seien keine feststellbaren Eigenkontrollen - zB öffentlich aufgelegte Listen, in denen die Zeiträume, Zeiten und Betriebsorte der Kontrolle und Personen, welche die Kontrolle durchführten, eingetragen werden - festgelegt oder organisiert worden, ein feststellbarer Desinfektionsplan habe ebenso wenig existiert wie eine Schädlingsprophylaxe (zB ultraviolettes Licht zur Bekämpfung von Insekten, Fliegengitter vor den Fenstern die ins Freie zu öffnen sind).
2. Aus Anlass dieses Verfahrens entstanden beim UVS Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit der angewendeten Bestimmungen der Lebensmittelhygieneverordnung.
Gestützt auf Art140 Abs1 B-VG (richtig: Art139 Abs1 B-VG) iVm Art129a Abs3 und Art89 Abs2 B-VG stellt der UVS daher den beim Verfassungsgerichtshof am 4. September 2003 eingelangten und zu V107/03 protokollierten Antrag,
"§3 der Verordnung der Bundesministerin für Frauenangelegenheiten und Verbraucherschutz über allgemeine Lebensmittelhygiene (Lebensmittelhygieneverordnung), BGBl. II Nr. 31/1998, in eventu die Worte 'angemessene' in §3 der Verordnung der Bundesministerin für Frauenangelegenheiten und Verbraucherschutz über allgemeine Lebensmittelhygiene (Lebensmittelhygieneverordnung), BGBl. II Nr. 31/1998, und 'wirksamer' in §3 litd der Verordnung der Bundesministerin für Frauenangelegenheiten und Verbraucherschutz über allgemeine Lebensmittelhygiene (Lebensmittelhygieneverordnung), BGBl. II Nr. 31/1998, als verfassungswidrig (richtig: gesetzwidrig) aufzuheben."
3. Zur Zulässigkeit seines Antrages führt der UVS aus, er habe die angefochtene Bestimmung bei seiner Entscheidung über die Berufung gegen das Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom 10. Juni 2002 anzuwenden; diese sei in seinem Verfahren präjudiziell.
In der Sache selbst äußerst der UVS das Bedenken, §3 der Lebensmittelhygieneverordnung verstoße gegen Art18 B-VG, da er offen lasse, welche konkreten Verpflichtungen den Inhabern bzw. den Geschäftsführern von Lebensmittelunternehmen auferlegt seien, in welchem Umfang die organisatorischen Maßnahmen zu treffen seien und wie weit diese Verpflichtungen reichten. Im Erkenntnis VfSlg. 16.294/2001 habe der Verfassungsgerichtshof dargetan, dass es auf die Reichweite der auferlegten Kontrollverpflichtungen ankäme, welche Vorkehrungen zu treffen seien, um diesen Verpflichtungen nachzukommen und sogar, mit welcher Genauigkeit und Einsatz welcher technischen Geräte diesen Verpflichtungen nachzukommen sei.
Die vom Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen erlassene Leitlinie für Gastgewerbebetriebe mit umfangreichem Speiseangebot und die damit erfolgte nähere Erläuterung bzw. Ausgestaltung der Lebensmittelhygieneverordnung zeige, dass der Verordnungsgeber selbst die nicht ausreichende Determiniertheit des §3 Lebensmittelhygieneverordnung erkannt habe und mit deren Erlassung Klarheit schaffen wollte.
Weiters führt der UVS aus, durch die Verwendung der Mehrzahl ("Maßnahmen") stehe immerhin fest, dass die Setzung einer einzigen Maßnahme nicht ausreichend sei. Dem Gesetz sei jedoch nicht zu entnehmen, ob der Inhaber oder Geschäftsführer eines Lebensmittelunternehmens jede organisatorische Maßnahme treffen müsse oder sich aus einem Bündel denkbarer Maßnahmen geeignet erscheinende auswählen könne. Eine Interpretation dahingehend, gedanklich das Wort "alle" vor dem Wort "angemessene" zu setzen, scheitere am Gebot "nulla poena sine lege"; es könne jedoch nicht im Sinn des Gesetzes liegen, ein lückenhaftes Kontrollsystem zuzulassen.
Da die angefochtene Bestimmung Teil einer Strafnorm sei, bedürfe sie einer besonderen exakten Determinierung. Bei den Begriffen "angemessene", "wirksamer" (Prüf- und Überwachungsverfahren) und "Sicherheitsmaßnahmen" handle es sich um unbestimmte Gesetzesbegriffe. Nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes bestehe dann, "wenn eine Norm aus einer Mehrzahl unbestimmter, für sich allein möglicherweise hinreichend determinierter, Begriffe zusammengesetzt ist, in ihrer Gesamtheit keine bestimmte vollziehbare Regelung. Bei der angefochtenen Regelung handle es sich daher in der Gesamtschau um eine verfassungswidrige formalgesetzliche Delegation. Die antragstellende Behörde vertritt die Auffassung, dass im vorliegenden Fall aber nicht einmal von hinreichend determinierten Begriffen die Rede sein könne, da zumindest "die Begriffe 'angemessene' und 'wirksamer' ... diesem Erfordernis nicht entspricht".
Zur Begründung der gestellten Eventualanträge führt der UVS ins Treffen, die Begriffe "angemessene" bzw. "wirksamer" haben nach dem allgemeinen Sprachgebrauch eine gewisse Bandbreite von Lesearten, was dem erforderlichen Determinierungsgrad einer Strafnorm nicht entspreche. Zudem sei das Qualitätsmerkmal der "Angemessenheit und Wirksamkeit" auch von variablen Faktoren abhängig.
4. Die Bundesministerin für Gesundheit und Frauen erstattete eine Äußerung, in der sie die Zurückweisung des Antrages mit der Begründung beantragt, der antragstellende UVS hätte nicht mit hinreichender Deutlichkeit seine Bedenken präzisiert; für den Fall, dass der Gerichtshof dieser Auffassung nicht folgen werde, begehrt sie die Abweisung des Antrages. Im Kern führt sie dazu Folgendes aus:
"Angesichts der unterschiedlichen Lebensgebiete, Sachverhalte und Rechtsfolgen, die Gegenstand und Inhalt gesetzlicher Regelung sein können, ist jedoch ganz allgemein davon auszugehen, daß Art18 B-VG einen dem jeweiligen Regelungsgegenstand adäquaten Determinierungsgrad verlangt (VfSlg. 13785/1994).
Die Richtlinie 93/43/EWG über Lebensmittelhygiene dient im Interesse des Gesundheitsschutzes der Harmonisierung der allgemeinen Hygienevorschriften für Lebensmittel. Ziel ist die Gewährleistung unbedenklicher und genusstauglicher Lebensmittel. Dem Lebensmittelunternehmer wird dabei ein 'Rahmen' vorgegeben, innerhalb dessen er in seiner Verantwortung ein Eigenkontrollsystem zur Herstellung gesundheitlich unbedenklicher Lebensmittel auszugestalten hat.
Die Festlegung angemessener Sicherheitsmaßnahmen gemäß §3 der Lebensmittelhygieneverordnung ist anhand der in dieser Bestimmung angeführten Grundsätze vorzunehmen. Der Begriff 'angemessene Sicherheitsmaßnahmen' wird somit durch diese Grundsätze näher determiniert. Auch die Wortfolge 'wirksame Prüf- und Überwachungsmaßnahmen' ist nicht unbestimmt, da sich die Wirksamkeit der Prüf- und Überwachungsverfahren unmittelbar auf das Ziel der Verordnung bezieht.
...
Die Richtlinie sieht ausdrücklich die Förderung der Ausarbeitung von Leitlinien für eine gute Hygienepraxis vor, die die Lebensmittelunternehmen auf freiwilliger Basis berücksichtigen können, d.h. die nähere Ausgestaltung des HACCP-Systems soll in der Form von Leitlinien erfolgen. Solche Leitlinien wurden im Rahmen der Österreichischen Codexkommission (§52 LMG 1975) in Übereinstimmung mit Artikel 5 der Richtlinie ausgearbeitet. Die Veröffentlichung der Leitlinie für Gastgewerbebetriebe erfolgte mit ho. Erlass vom 23.6.2000.
...
Zusammenfassend wird daher festgehalten, dass aus Sicht der belangten Behörde eine Gesetzeswidrigkeit des §3 der Lebensmittelhygieneverordnung nicht gegeben ist."
II. Zur Rechtslage:
1. Art3 Abs2 der Richtlinie 93/43/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über Lebensmittelhygiene lautet:
"(2) Die Lebensmittelunternehmen stellen die für die Lebensmittelsicherheit kritischen Punkte im Prozessablauf fest und tragen dafür Sorge, daß angemessene Sicherheitsmaßnahmen festgelegt, durchgeführt, eingehalten und überprüft werden, und zwar nach folgenden, bei der Ausgestaltung des HACCP-Systems (Hazard Analysis and Critical Control Points) verwendeten Grundsätzen:
-
Analyse der potentiellen Risiken für Lebensmittel in den Prozessen eines Lebensmittelunternehmens;
-
Identifizierung der Punkte in diesen Prozessen, an denen Risiken für Lebensmittel auftreten können;
-
Festlegung, welche dieser Punkte für die Lebensmittelsicherheit kritisch sind - die 'kritischen Punkte';
-
Feststellung und Durchführung wirksamer Prüf- und Überwachungsverfahren für diese kritischen Punkte und
-
Überprüfung der Gefährdungsanalyse für Lebensmittel, der kritischen Kontrollpunkte und der Prüf- und Überwachungsverfahren in regelmäßigen Abständen und bei jeder Änderung der Prozesse in dem Lebensmittelunternehmen."
2. Zudem sind die nachstehenden Bestimmungen des Lebensmittelgesetzes 1975, BGBl. Nr. 86/1975 idF BGBl. I Nr. 69/2003, maßgebend:
"§10. (1) Der Bundesminister für Gesundheit und Umweltschutz hat, wenn das zur Sicherung einer einwandfreien Nahrung oder zum Schutz der Verbraucher vor Gesundheitsschädigung oder Täuschung geboten ist, unter Bedachtnahme auf den jeweiligen Stand der Wissenschaft und der Technologie nach Anhören der Codexkommission
1. - 3. ...
4. Vorschriften für das Inverkehrbringen von Lebensmitteln, Nahrungsergänzungsmitteln oder Zusatzstoffen und für die hiebei verwendeten Gebrauchsgegenstände zu erlassen oder bestimmte Arten des Inverkehrbringens zu verbieten oder zu beschränken oder von bestimmten Voraussetzungen abhängig zu machen, insbesondere Verfahren, Einrichtungen, Kontrollaufzeichnungen, Kontrollmaßnahmen, Überprüfungen oder Sicherheitsvorkehrungen vorzuschreiben;
5. - 7. ...
§74. (1) Wer Lebensmittel, Nahrungsergänzungsmittel oder Zusatzstoffe, kosmetische Mittel oder Gebrauchsgegenstände der im §6 lita, b oder e bezeichneten Art falsch bezeichnet, oder Lebensmittel, Nahrungsergänzungsmittel oder Zusatzstoffe, kosmetische Mittel, die falsch bezeichnet sind, oder solche falsch bezeichneten Gebrauchsgegenstände in Verkehr bringt, macht sich, sofern die Tat nicht nach §63 Abs2 Z1 einer strengeren Strafe unterliegt, einer Verwaltungsübertretung schuldig und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit Geldstrafe bis zu 7 300 Euro zu bestrafen.
(2) - (3) ...
(4) Wer
1. den Bestimmungen einer auf Grund des §10, des §12 Abs2 hinsichtlich der Deklaration von Zusatzstoffen, des §16 Abs4 hinsichtlich vorgeschriebener Bezeichnungen, der §§21, 27 Abs1, 29, 30 Abs5 oder 33 Abs1 erlassenen Verordnung zuwiderhandelt,
2. - 4. ...
macht sich, sofern die Tat nicht nach den §§56 bis 64 oder nach anderen Bestimmungen einer strengeren Strafe unterliegt, einer Verwaltungsübertretung schuldig und ist wie nach Abs1 zu bestrafen.
(5) - (8) ..."
3. Die angefochtene Verordnungsbestimmung des §3 Lebensmittelhygieneverordnung, BGBl. II Nr. 31/1998, lautet wie folgt:
"§3. Der Inhaber oder Geschäftsführer eines Lebensmittelunternehmens hat die für die Lebensmittelsicherheit kritischen Punkte im Prozessablauf festzustellen und dafür Sorge zu tragen, daß angemessene Sicherheitsmaßnahmen festgelegt, durchgeführt, eingehalten und überprüft werden, und zwar nach folgenden, bei der Ausgestaltung des HACCP-Systems (Hazard Analysis and Critical Control Points) verwendeten Grundsätzen:
a) Analyse der potentiellen Risiken für Lebensmittel in den Prozessen eines Lebensmittelunternehmens;
b) Identifizierung der Punkte in diesen Prozessen, an denen Risiken für Lebensmittel auftreten können;
c) Festlegung, welche dieser Punkte für die Lebensmittelsicherheit kritisch sind - 'kritische Punkte';
d) Feststellung und Durchführung wirksamer Prüf- und Überwachungsverfahren für diese kritischen Punkte und
e) Überprüfung der Gefährdungsanalyse für Lebensmittel, der kritischen Kontrollpunkte und der Prüf- und Überwachungsverfahren in regelmäßigen Abständen und bei jeder Änderung der Prozesse in dem Lebensmittelunternehmen."
III. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Zur Präjudizialität:
1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung den antragstellenden UVS an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung des UVS in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iS des Art140 B-VG bzw. des Art139 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden UVS im Anlassfall bildet (zB VfSlg. 9811/1983, 10.296/1984, 11.565/1987, 12.189/1989).
1.2. Wie bereits dargetan, hat der UVS über die bei ihm anhängige Berufung gegen das Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom 10. Juni 2002 zu entscheiden, wonach der Berufungswerber, ein handelsrechtlicher Geschäftsführer eines Lebensmittelunternehmens, ua. wegen unterlassener Feststellung der für die Lebensmittelsicherheit kritischen Punkte im Prozesslauf und fehlender angemessener Sicherheitsmaßnahmen bestraft wurde.
1.3. Gemäß §3 der Lebensmittelhygieneverordnung hat der Inhaber oder Geschäftsführer eines Lebensmittelunternehmens ua. angemessene Sicherheitsmaßnahmen festzulegen, durchzuführen, einzuhalten sowie zu überprüfen, in dem er ua. wirksame Prüf- und Überwachungsverfahren für die zuvor festgestellten kritischen Punkte festzulegen und durchzuführen hat.
Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes ist es jedenfalls denkmöglich, dass die antragstellende Behörde bei der verwaltungsstrafrechtlichen Beurteilung des Sachverhaltes hinsichtlich der Sicherheitsmaßnahmen §3 der Lebensmittelhygieneverordnung zur Gänze anzuwenden hat. Da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen vorliegen, ist der Antrag zulässig.
2. In der Sache:
2.1. Die angefochtene Verordnungsbestimmung stützt sich auf §10 Abs1 Z4 des Lebensmittelgesetzes 1975 (LMG), wonach der zuständige Bundesminister unter Bedachtnahme auf den jeweiligen Stand der Wissenschaft und der Technologie nach Anhörung der Codexkommission Vorschriften für das Inverkehrbringen von Lebensmitteln, Verzehrprodukten oder Zusatzstoffen und für die hiebei verwendeten Gebrauchsgegenstände zu erlassen oder bestimmte Arten des Inverkehrbringens zu verbieten oder zu beschränken oder von bestimmten Voraussetzungen abhängig zu machen, insbesondere Verfahren, Einrichtungen, Kontrollaufzeichnungen, Kontrollmaßnahmen, Überprüfungen oder Sicherheitsmaßnahmen vorzuschreiben hat, wenn das zur Sicherung einer einwandfreien Nahrung oder zum Schutz der Verbraucher vor Gesundheitsschädigung oder Täuschung geboten ist.
Mit §3 der Lebensmittelhygieneverordnung wird der Inhaber oder Geschäftsführer eines Lebensmittelunternehmens verpflichtet, für "angemessene Sicherheitsmaßnahmen" nach bestimmten "bei der Ausgestaltung des HACCP-Systems (Hazard Analysis and Critical Control Points) verwendeten Grundsätzen" zu sorgen. In weiterer Folge werden vom Verordnungsgeber in den lita bis e die den Lebensmittelunternehmer im Umgang bei der Verarbeitung von Lebensmitteln betreffenden Verpflichtungen taxativ aufgezählt.
Der Hinweis auf das HACCP-System macht deutlich, dass durch diese Regelung wohl dem gemeinschaftsrechtlichen Ziel - die von Lebensmittelunternehmen ausgehenden gesundheitlichen Risiken für Konsumenten auszuschließen - Rechnung getragen werden soll. Die bereits in der Richtlinie 93/43/EWG des Rates über Lebensmittelhygiene festgelegten Prinzipien des HACCP-Systems wurden nämlich nahezu wortgleich in den Verordnungstext des §3 der Lebensmittelhygieneverordnung übernommen.
2.2. Wie der Verfassungsgerichtshof, ausgehend von der im Erkenntnis VfSlg. 3207/1957 entwickelten, im Erkenntnis VfSlg. 4037/1961 vertieften und seither beibehaltenen (vgl. zB VfSlg. 8695/1979), aus dem rechtsstaatlichen Gebot des Art18 B-VG abgeleiteten Rechtsprechung dargelegt hat, muss die Rechtsordnung, um dem Einzelnen die Möglichkeit zu geben, sich dem Recht gemäß zu verhalten und den Unrechtsgehalt seines Handelns und Unterlassens eindeutig zu erkennen, die Freiheitssphäre vom Gebiet des Unerlaubten durch eine deutliche Grenzziehung scheiden. Tatbestände an deren Übertretung eine Strafdrohung anknüpft, müssen daher so abgefasst sein, dass sich für den Einzelnen Zweifel über die Rechtmäßigkeit seines Verhaltens in Bezug auf den Tatbestand nicht ergeben können (vgl. VfSlg. 11.520/1987 mwH; so auch VwSlg. 9671 A/1978, VwGH 24.2.2004, Zl. 2003/05/0234).
Art 18 B-VG verlangt dabei - angesichts der unterschiedlichen Lebensgebiete, Sachverhalte und Rechtsfolgen, die Gegenstand und Inhalt gesetzlicher Regelungen sein können, - einen dem jeweiligen Regelungsgegenstand adäquaten Determinierungsgrad (VfSlg. 13.785/1994, S. 666).
2.3. Dies ist hier gegeben:
2.3.1. Der angefochtene §3 der Lebensmittelhygieneverordnung richtet sich an eine Personengruppe, von der angenommen werden muss, dass sie über die notwendigen Voraussetzungen zur Sicherstellung von hygienisch einwandfreien und unbedenklichen Lebensmitteln sowohl während der Produktion als auch im Umgang mit diesen Kenntnisse hat.
Es darf dabei auch nicht übersehen werden, dass dieser Personengruppe das Inverkehrbringen von gesundheitsschädlichen Lebensmitteln schon gem. §7 LMG verboten ist und ein allfälliges Zuwiderhandeln gemäß Abschnitt VIII leg. cit. strafbar wäre. Um vorzusorgen, dass die gesetzliche Vorschrift eingehalten werden kann, hat der Verordnungsgeber nähere Grundsätze festgelegt und Verhaltenspflichten im Umgang mit Lebensmitteln präzisiert um der Gefahr entgegenzuwirken, dass eine - durch das Gesetz selbst sanktionierte - Übertretung erfolgt (zur Frage der Präzisierung durch Verordnung im Verhältnis zum Gesetz vgl. VfSlg. 8695/1979).
Der Verfassungsgerichtshof hat zuletzt in seiner Entscheidung vom 2.10.2003, G259/02, (dabei ging es um die Frage der Strafbarkeit eines leitenden Bankangestellten aufgrund der Unterlassung geeigneter organisatorischer Maßnahmen zur Verhinderung einer missbräuchlichen Verwendung oder Weitergabe von Insiderinformationen) ausgeführt, dass eine Verletzung des Bestimmtheitsgebotes nicht vorliegt, wenn jene Personen, die einer Materie besonders nahe stehen und in einem bestimmten Sachgebiet somit als Fachleute gelten, unter Androhung einer Strafe in eben diesem Sachgebiet zu einem ordnungsgemäßen Verhalten, zur Sorgfalt, zum Ergreifen "geeigneter" Maßnahmen oder zur Verhinderung von Missbräuchen angehalten werden.
2.3.2. Der Verfassungsgerichtshof sieht sich - auch vor dem Hintergrund des vorliegenden Falles - nicht veranlasst, von diesen Überlegungen abzugehen. Der angefochtene §3 der Lebensmittelhygieneverordnung richtet sich schon dem Wortlaut nach an eine kundige Personengruppe, von der angenommen werden muss, dass sie über die notwendigen Voraussetzungen zur Sicherstellung von hygienisch einwandfreien und unbedenklichen Lebensmitteln sowohl während der Produktion als auch im Umgang mit diesen Kenntnisse hat. Die Bestimmung verpflichtet diesen Personenkreis lediglich, die erforderlichen Vorkehrungen in einem mehrere Schritte umfassenden Verfahren zu ermitteln und diese sodann anzuwenden. Einer solchen Personengruppe - §3 der Lebensmittelhygieneverordnung wendet sich ausdrücklich an Inhaber oder Geschäftsführer eines Lebensmittelunternehmens und schließt daher die Strafbarkeit anderer Personen, etwa der Köche oder sonstiger im Produktionsprozess tätiger Mitarbeiter, explizit aus - kann auch unterstellt werden, dass sie Kenntnis davon hat bzw. sich verschafft und überblickt, welche Sicherheitsmaßnahmen angemessen bzw. welche Prüf- und Überwachungsverfahren wirksam sind, um den Verzehr unbedenklicher und genusstauglicher Lebensmittel zu gewährleisten, oder sich diese Kenntnis zu verschaffen in der Lage ist.
Der Verfassungsgerichtshof ist bei einer gesamthaften Betrachtung somit der Auffassung, dass §3 der Lebensmittelhygieneverordnung keinen Bedenken begegnet.
Dem Antrag war daher keine Folge zu geben.
III. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Determinierungsgebot, EU-Recht Richtlinie, Lebensmittelrecht, Rechtsstaatsprinzip, Verwaltungsstrafrecht, SchuldEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2004:V107.2003Dokumentnummer
JFT_09958984_03V00107_00