RS Vfgh 1993/10/2 B381/93

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 02.10.1993
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
StGG Art18
RAO §2

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht sowie in den Rechten auf Erwerbsausübungs- und Berufsausbildungsfreiheit durch die Abweisung eines Antrags auf Anrechnung der Tätigkeit als juristischer Mitarbeiter des Landesvolksanwalts auf die zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft erforderliche praktische Verwendung; Gleichwertigkeit der juristischen Tätigkeiten bei einer Verwaltungskontrolleinrichtung mit denjenigen bei typischen Verwaltungsbehörden unabhängig vom hoheitlichen Charakter der jeweiligen Institution bzw des Verwaltungshandelns selbst

Rechtssatz

Der angefochtene Bescheid geht am Sinngehalt des §2 Abs1 RAO vorbei und versucht (vgl. ähnlich VfSlg. 12670/1991), den Inhalt des Gesetzesbegriffes der "rechtsberuflichen Tätigkeit bei einer Verwaltungsbehörde" nicht aus dieser Bestimmung unter Bedachtnahme auf die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte gemäß Art7 Abs1 B-VG und Art6 und Art18 StGG zu ermitteln. Vielmehr klammert er in abstrakter Weise ganz allgemein die Volksanwaltschaft - aus verfassungsrechtlicher Sicht - formell-organisatorisch vom Begriff der Verwaltungsbehörde aus, um das - soweit die Tätigkeit für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich war, berechtigte - Begehren des Beschwerdeführers abzuweisen. Bei Auslegung und Anwendung des §2 Abs1 RAO geht es aber nicht um eine solche allgemeine verfassungsorganisatorische Zuordnung einer staatlichen Einrichtung, sondern um die Ermittlung des Inhaltes der konkreten Regelung, wobei in typisierender Betrachtungsweise darauf abzustellen ist, ob und wenn ja inwieweit eine im weitesten Sinne als Verwaltungsbehörde aufzufassende Institution geeignet ist, den dort tätigen Juristen Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln, die für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich sind.

Es kommt nicht darauf an, ob die Verwaltungseinrichtung hoheitliche Akte (Bescheide, Verordnungen) zu erlassen hat - deren Erlassung ua. von den juristischen Mitarbeitern vorzubereiten ist - oder nicht; vielmehr ist entscheidend, ob Rechtskenntnisse und sonstige Fähigkeiten erworben bzw vertieft werden können (und wurden), die für die Tätigkeit der Rechtsanwaltschaft dienlich sind.

Die bei Verwaltungskontrolleinrichtungen bzw bei der Gesetzesvorbereitung und Verwaltungskontrolle der Parlamente anfallenden juristischen Tätigkeiten sind grundsätzlich gleichermaßen wie die kontrollierten Tätigkeiten typischer Verwaltungsbehörden als der Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienliche Verwendungen zu werten. Die Nichtberücksichtigung einer solchen Verwendung ließe §2 Abs1 RAO gleichheitswidrig erscheinen.

Die Festsetzung von Bedingungen für die Ausübung eines Erwerbszweiges im Sinne des Art6 StGG muß in Zusammenhalt mit der Berufswahl- und -ausbildungsfreiheit gemäß Art18 StGG verstanden werden.

Sind im Hinblick auf das Ausbildungsziel sachlich gleichwertige Ausbildungsalternativen evidentermaßen - insbesondere auch durch deren Anerkennung durch den Gesetzgeber - vorhanden, so sind diese Ausbildungsalternativen kraft Art18 StGG ohne Diskriminierung zu berücksichtigen.

Unter (rechtsberuflicher Tätigkeit bei) Verwaltungsbehörden iSd §2 Abs1 RAO sind nicht nur jene Institutionen zu verstehen, die aus Sicht der Verfassung formell-organisatorisch als Verwaltungsbehörden eingerichtet sind. Vielmehr zählen dazu jedenfalls auch jene staatlichen Einrichtungen, die zwar von Verfassungs wegen im Grenzbereich zwischen Verwaltung und Gesetzgebung angesiedelt sind, in deren Rahmen aber juristische Mitarbeiter - inhaltlich gesehen - staatliche Verwaltungstätigkeit im weiteren Sinne entfalten. Gleichgültig ist es dabei, ob sich diese juristische Tätigkeit auf typisch hoheitliches Verwaltungshandeln, auf Akte der staatlichen Privatwirtschaftsverwaltung, auf die Vorbereitung von Gesetzen, auf die Mitwirkung an der Verwaltung oder aber auf die Kontrolle der Verwaltung bezieht.

Indem die belangte Behörde dies verkannte und dem angewendeten §2 Abs1 RAO einen gleichheitswidrigen und denkunmöglichen Inhalt unterstellte, hat sie den Beschwerdeführer in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie auf Freiheit der Erwerbsbetätigung und der Berufsausbildung verletzt.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Erwerbsausübungsfreiheit, Berufswahl- und Berufsausbildungsfreiheit, Rechtsanwälte, Berufsrecht Rechtsanwälte, Rechtsanwälte Ausbildung, Volksanwaltschaft

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1993:B381.1993

Dokumentnummer

JFR_10068998_93B00381_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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