RS Vfgh 1993/10/12 V63/93

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Veröffentlicht am 12.10.1993
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Index

14 Organisationsrecht
14/03 Abgabenverwaltungsorganisation

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsgegenstand
B-VG Art139 Abs1 / Allg
B-VG Art139 Abs3 erster Satz
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
AVOG
Betriebsprüfung Dienstanweisung des BMF vom 30.07.91. AÖF Nr 280
BGBlG 1985 §2 Abs1 litf
BAO §177 ff

Leitsatz

Aufhebung einer Dienstanweisung des Finanzministers betreffend die Errichtung von Großbetriebsprüfungsabteilungen als eigene Dienststellen mangels Kundmachung dieser aufgrund ihrer Rechtswirkungen für die Allgemeinheit als Rechtsverordnung zu wertenden Dienstanweisung im Bundesgesetzblatt; behördenartiger Charakter dieser Dienststellen aufgrund ihrer weitgehenden Selbständigkeit und Ausgliederung aus den Finanzämtern

Rechtssatz

Folgende Bestimmungen der Dienstanweisung Betriebsprüfung (DBP) des Bundesministers für Finanzen vom 30.07.91, AÖF Nr. 280, werden als gesetzwidrig aufgehoben: in Abschnitt 1.7 Abs4 der Eingangssatz und die ersten drei Sätze mit der Überschrift "Sachverhaltsermittlung", in Abschnitt 1.7 Abs5 der zweite Satz und in Abschnitt 5.3.5 Absatz 2.

Voraussetzung für die Zulässigkeit des Verordnungsprüfungsverfahrens ist in Anbetracht des Umstandes, daß der Beschwerdeführer im Anlaßfall nicht etwa ein in seiner Rechtsstellung betroffener Organwalter ist, daß es sich um eine Rechtsverordnung, also um eine Norm handelt, die nicht nur Rechte und Pflichten von Organwaltern regelt, sondern auch Rechtswirkungen für die Allgemeinheit entfaltet.

Die Zulässigkeit des Verfahrens entscheidet sich insoweit mit der Sachentscheidung, sodaß beide Gesichtspunkte unter einem geprüft werden können.

Die innere Einrichtung der Behörde, ihre Gliederung in Sektionen, Abteilungen usw. kann durch interne Verwaltungsmaßnahmen geregelt werden.

Dagegen ist die Behördenzuständigkeit entweder im Gesetz selbst zu regeln oder so festzulegen, daß sie in verfassungsrechtlich zulässiger Weise auf ein Gesetz zurückgeführt werden kann.

Jede Betriebsprüfung ist als solche potentiell Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt, deren Duldung oder Befolgung gegebenenfalls erzwungen wird.

Die Behörde, an die sich der Rechtsunterworfene förmlich und in der Sache zu wenden hat, weil sie das Verhalten ihrer Organe steuern kann und verantwortet, muß das Finanzamt sein. Nur dann bleibt die Großbetriebsprüfung bloßer Hilfsapparat dieses Finanzamtes und ihre nähere organisatorische Einrichtung eine interne Frage der Verwaltung.

Die dem Finanzamt organisatorisch nicht eingegliederte Betriebsprüfung kann das Verfahren hingegen weitgehend selbständig ohne Einflußmöglichkeit des Leiters des Finanzamtes oder des von diesem mit Entscheidungsbefugnis ausgestatteten und ihm organisatorisch untergeordneten Organwalters durchführen.

Die Heranziehung von Sachverständigen ändert an der verfahrensleitenden Stellung der Behörde nichts und der von einem sachverständigen Organwalter streng zu unterscheidende (und nicht zur Lösung von Rechtsfragen berufene) Sachverständige hat unbeeinflußt nach den Regeln seiner Kunst Beweise aufzunehmen und Gutachten zu erstellen.

Das zuständige Finanzamt bleibt angesichts der in Abschnitt 2 enthaltenen Regeln über die Auswahl der Prüfungsfälle den Entscheidungen der Großbetriebsprüfung ausgeliefert, sodaß einem Amtsvorstand zur Aufnahme eines Falles in den Jahresprüfungsplan der Großbetriebsprüfung kein Weisungsrecht, sondern bloß das Recht zur Anregung zusteht.

Die Großbetriebsprüfung wurde organisatorisch aus dem Bereich des Finanzamtes ausgegliedert und die in Prüfung stehenden Bestimmungen schränken die Einflußmöglichkeit des Finanzamtes zugunsten einer relativen Selbständigkeit der Betriebsprüfung gezielt ein. Sie lassen daher die ohnehin nur aus dem Prüfungsauftrag ableitbare Zurechnung in wesentlichen Punkten als bloße Deklaration erscheinen, welche den - gewiß nur aus verwaltungsinternen Überlegungen erwünschten - behördenartigen Charakter der Dienststelle verschleiert, an die das Finanzamt die Aufgabe in Wahrheit (teilweise) delegiert.

Die in Prüfung genommenen Vorschriften entfalten daher Rechtswirkungen für die Allgemeinheit, stellen eine Rechtsverordnung dar und sind mangels Kundmachung im Bundesgesetzblatt (§2 Abs1 litf BGBlG 1985) sowie wegen offenkundigen Fehlens einer für solche Wirkungen erforderlichen gesetzlichen Deckung gesetzwidrig.

Zur Beseitigung der Gesetzwidrigkeit genügt es, jene Teile aus der Dienstanweisung zu entfernen, die das verpönte Ziel eindeutig zum Ausdruck bringen und solcherart auch auf das Verständnis von Bestimmungen einwirken, die in anderem Zusammenhang einer gesetzeskonformen Auslegung zugänglich sind.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Verordnungsbegriff, Verordnung Kundmachung, Kundmachung Verordnung, RechtsV, VerwaltungsV, Finanzbehörden, Behörde Angelegenheiten innere, VfGH / Prüfungsgegenstand, VfGH / Sachentscheidung Allg, Behördenzuständigkeit, Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Finanzverfahren, VfGH / Verwerfungsumfang, Betriebsprüfung, Sachverständige, Verwaltungsorganisation, Abgabenverwaltungsorganisation, Behördenzuständigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1993:V63.1993

Dokumentnummer

JFR_10068988_93V00063_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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