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50 GewerberechtNorm
B-VG Art10 - 15Leitsatz
Verletzung der Erwerbsausübungsfreiheit durch Versagung der gewerberechtlichen Genehmigung für die Änderung einer Betriebsanlage zur Lagerung von Mineralölprodukten; denkunmögliche Ableitung eines gewerberechtlichen Standortverbotes aus baurechtlichen, landesgesetzlichen Vorschriften über die Lagerung von brennbaren Flüssigkeiten; Widerspruch zur verfassungsrechtlichen wechselseitigen Verpflichtung der Gebietskörperschaften zur Rücksichtnahme auf ihre RechtsetzungsakteRechtssatz
Eingriff in die Erwerbsausübungsfreiheit durch die Versagung der Genehmigung für die Änderung einer Betriebsanlage.
Der Landesgesetzgeber hat die Nö MineralölO als "baurechtliche Materie" (wohl in Zusammenhang mit seiner Zuständigkeit zur Regelung des Feuerpolizeirechtes) gestützt auf Art15 Abs1 B-VG erlassen. Für den Umfang des sachlichen Geltungsbereichs der in der Nö MineralölO aufgestellten Verbote ist dabei auch insbesondere deren §1 Abs3 zu beachten, wonach durch dieses Gesetz "weder die Zuständigkeiten des Bundes noch jene Vorschriften berührt (werden), wonach für Anlagen gemäß Abs1 eine andere Bewilligung zu erwirken ist". Salvatorische Klausel in §1 Abs3 zweiter Satz hinsichtlich der von der Baubehörde zu wahrenden Interessen nur soweit, "als dadurch nicht in die Interessen eingegriffen wird, welche von einer anderen zugleich zuständigen Behörde, insbesondere von der Gewerbebehörde, zu wahren sind".
Der rechtspolitische Gestaltungsfreiraum des Bundesgesetzgebers ist insoweit eingeschränkt, als es ihm verwehrt ist, Regelungen zu treffen, die sich als sachlich nicht gerechtfertigte Beeinträchtigung der Effektivität landesgesetzlicher Regelungen darstellen; dasselbe gilt auch umgekehrt im Verhältnis des Landesgesetzgebers zum Bundesgesetzgeber. Diese der Bundesverfassung innewohnende Rücksichtnahmepflicht verbietet sohin dem Gesetzgeber der einen Gebietskörperschaft, die vom Gesetzgeber der anderen Gebietskörperschaft wahrgenommenen Interessen zu negieren und dessen gesetzliche Regelungen damit zu unterlaufen. Diese Pflicht verhält ihn dazu, eine zu einem angemessenen Ausgleich führende Abwägung der eigenen Interessen mit jenen der anderen Gebietskörperschaft vorzunehmen und nur eine Regelung zu treffen, die zu einem solchen Interessenausgleich führt.
Die gesetzliche Beschränkung der Baubehörde auf "die von ihr zu wahrenden Interessen", verbunden mit dem Verbot des Eingriffs in die Interessen, "welche von einer anderen zugleich zuständigen Behörde, insbesondere von der Gewerbebehörde, zu wahren sind", in §1 Abs3 Nö MineralölO ist dahin zu verstehen, daß jedenfalls die hier relevanten, in den Abs1 und Abs2 des §17 der Nö MineralölO enthaltenen Vorschriften über die Lagerung von brennbaren Flüssigkeiten im Freien, - weil in den von der Gewerbebehörde wahrzunehmenden Interessenbereich eingreifend -, nicht als Rechtsvorschrift zu verstehen sind, durch die im Sinne des §77 Abs1 zweiter Satz GewO 1973 in der Fassung der Gewerberechtsnovelle 1988 das Errichten oder Betreiben einer gewerblichen Betriebsanlage verboten wird. Vielmehr sind die entsprechenden, für die Lagerung oder die Lagerung und Abfüllung brennbarer Flüssigkeiten in genehmigungspflichtigen gewerblichen Betriebsanlagen geltenden Vorschriften ausschließlich der Verordnung über brennbare Flüssigkeiten zu entnehmen.
Die Berücksichtigung des §17 Abs1 und Abs2 der Nö MineralölO kraft §77 Abs1 zweiter Satz GewO 1973 in der zitierten Fassung würde der verfassungsrechtlichen wechselseitigen Verpflichtung der Gebietskörperschaften zur Rücksichtnahme auf ihre Rechtssetzungsakte widersprechen. Die Anwendung der Abs1 und Abs2 des §17 Nö MineralölO im gewerberechtlichen Betriebsanlagenverfahren ist somit schlechtweg denkunmöglich.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Erwerbsausübungsfreiheit, Kompetenz Bund - Länder Baurecht, Geltungsbereich (sachlicher) eines Gesetzes, Klausel salvatorische, Kompetenz Bund - Länder, Berücksichtigungsprinzip, Gewerberecht, Betriebsanlage, Erdöl siehe Mineralöl, Baurecht, Mineralöl (Lagerung), Lagerung (Mineralöl)European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1993:B282.1992Dokumentnummer
JFR_10068986_92B00282_01