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82 GesundheitsrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Zulässigkeit der Individualanträge von Waschmittelherstellern auf Aufhebung von Bestimmungen des ChemikalienG betreffend den sachlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes und die dort normierte Werbebeschränkung für gefährliche Stoffe oder Zubereitungen sowie von Bestimmungen der ChemikalienV hinsichtlich der Verpflichtung zur Selbsteinstufung von Zubereitungen; Zulässigkeit auch der diesbezüglichen Individualanträge der verwaltungsstrafrechtlich verantwortlichen Vertreter dieser Gesellschaften; Unzulässigkeit des Individualantrags auf Aufhebung gesetzlicher Verordnungsermächtigungen sowie eines als Verwaltungsverordnung zu qualifizierenden Durchführungserlasses; keine Gleichheitswidrigkeit der Einbeziehung von Waschmitteln in den Geltungsbereich des ChemikalienG angesichts der mit diesem Gesetz - anders als mit dem Lebensmittel- oder dem WaschmittelG - verfolgten Schutzzwecke; keine Verletzung der Erwerbsausübungsfreiheit, des Eigentumsrechts und der Meinungsäußerungsfreiheit durch die dem Schutz der Gesundheit dienende Werbebeschränkung; kein Verstoß der Verordnungsermächtigung des ChemikalienG zur näheren Bestimmung der Vorgangsweise bei der im Wege der Selbstkontrolle vorzunehmenden Einstufung eines Stoffes oder einer Zubereitung in eine bestimmte Gefahrenkategorie gegen das Determinierungsgebot; Subsidiarität der Berücksichtigung der Ergebnisse von Tierversuchen oder Versuchen am Menschen; keine Gesetzwidrigkeit der Bestimmungen der ChemikalienV über die Einstufung von gefährlichen Zubereitungen; kein Verfahrensmangel bei Erlassung der ChemikalienV-Novelle 1992 infolge vorheriger Anhörung der ChemikalienkommissionRechtssatz
Zurückweisung des Individualantrags auf Aufhebung des §2 Abs5 erster und zweiter Satz, §17 Abs1 und §21 Abs1 und Abs3 ChemikalienG sowie §7 Abs1 ChemikalienV mangels Darlegung der Bedenken im einzelnen.
Zurückweisung des Individualantrags auf Aufhebung des §2 Abs5 dritter bis letzter Satz, §6 Abs5, §7 Abs4, §10 Abs8 und §17 Abs2 ChemikalienG mangels unmittelbaren Eingriffs in die Rechtssphäre der Antragsteller.
Die genannten Bestimmungen enthalten lediglich Ermächtigungen zum Erlaß von Verordnungen.
Zurückweisung des Individualantrags auf Aufhebung des 5. Durchführungserlasses des Bundesministeriums für Umwelt, Jugend und Familie vom 31.01.92 mangels Eingriffs in die Rechtssphäre der Antragsteller.
Durch diesen Erlaß werden Dienstpflichten der dem Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie unterstellten Behörden zu bestimmten Verwaltungsstrafamtshandlungen (Nachschau und Einleitung von Strafverfahren) begründet, ohne daß gleichzeitig Rechte oder Pflichten der in einem zukünftigen Verwaltungsstrafverfahren möglicherweise belangten Personen betroffen sind. Dieser Erlaß ist sohin als Verwaltungsverordnung einzustufen. Mangels Rechtswirkungen für die Allgemeinheit sowie im besonderen auch für die Antragsteller kann der
5. Durchführungserlaß nicht in die Rechtssphäre der Antragsteller eingreifen.
Zulässigkeit der Individualanträge auf Aufhebung des §3 und §21 Abs2 ChemikalienG sowie von Bestimmungen der ChemikalienV und des §6 Abs1 der ChemG-Anmeldungs- und PrüfnachweiseV.
§3 ChemikalienG regelt den sachlichen Geltungsbereich des ChemikalienG und begründet somit in Verbindung mit den sonstigen Bestimmungen dieses Gesetzes in seinem gesamten Umfang - einschließlich der in seinem Abs2 geregelten Ausnahmebestimmungen - die unmittelbare Verpflichtung der Antragsteller als Waschmittelhersteller, also als Hersteller oder Importeure von "Zubereitungen", den Rechtspflichten nach dem ChemikalienG (wie insbesondere der Einstufungs- und Kennzeichnungspflicht gemäß §17 ChemikalienG) nachzukommen.
Zu diesen gegenüber den Antragstellern unmittelbar aus dem Gesetz erwachsenden Rechtspflichten zählt insbesondere auch die Werbebeschränkung des §21 Abs2 ChemikalienG, weil auf Kennzeichnungen nach dem ChemikalienG auch bei der Werbung für gefährliche Zubereitungen hingewiesen werden muß.
Einen Eingriff in die Rechtssphäre der Antragsteller enthalten ferner §4 Abs1, §7 Abs2, §7 Abs2a, §7 Abs5, §7 Abs7 und §7 Abs8 ChemikalienV. Die Verpflichtung zur Selbsteinstufung von Zubereitungen muß nach Maßgabe der genannten Vorschriften der ChemikalienV von allen Herstellern oder Importeuren von "Zubereitungen", sohin auch von den Antragstellern als Waschmittelherstellern bzw von deren für die Erfüllung der Verpflichtungen nach dem ChemikalienG verwaltungsstrafrechtlich Verantwortlichen erfüllt werden.
Dabei ist auch §6 Abs1 ChemG-Anmeldungs- und PrüfnachweiseV über die anzuwendenden chemischen Prüfmethoden heranzuziehen, sodaß auch diese Vorschrift in die Rechtssphäre der Antragsteller eingreift.
Die Geschäftsführer der antragstellenden Gesellschaften sind als verwaltungsstrafrechtlich belangbare Vertreter der Gesellschaften antragslegitimiert, soweit nicht ein verwaltungsstrafrechtlich Verantwortlicher gemäß §9 Abs2 VStG bestellt wurde oder gegen sie bereits Verwaltungsstrafverfahren anhängig sind.
§3 ChemikalienG verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz.
Die Einbeziehung von Waschmitteln in den Geltungsbereich des ChemikalienG ist angesichts der mit diesem Gesetz verfolgten Schutzzwecke von der Sache her gerechtfertigt.
Es liegt im Rahmen der rechtspolitischen Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, wenn er Ausnahmen vom Geltungsbereich des ChemikalienG in den Abs2 bis Abs7 des §3 ChemikalienG festlegte, weil der Möglichkeit schädlicher Einwirkungen bei den ausgenommenen Gütern und Stoffen auf Grund anderer Rechtsvorschriften hinreichend vorgebeugt wird. Dem Gesetzgeber kann unter dem Aspekt des Gleichheitssatzes nicht entgegengetreten werden, wenn er für Hersteller und Importeure von Waschmitteln die im öffentlichen Interesse gelegenen Verpflichtungen nach dem ChemikalienG bejahte, zumal den nach Gefährlichkeitsmerkmalen abgestuften Schutzzwecken und -maßnahmen dieses Gesetzes weder das LMG 1975 noch das WaschmittelG hinreichend gerecht wird.
Keinen verfassungsrechtlichen Vorwurf vermag die für die Klarheit und das Verständnis der Rechtsordnung sicherlich abträgliche Praxis des Gesetzgebers zu begründen, gleiche Worte in verschiedenen Gesetzen mit unterschiedlichem Sinngehalt zu verwenden und eine Mehrzahl von (Umweltschutz-)Gesetzen mit einander teilweise überschneidenden Anwendungsbereichen und Schutzzwecken zu erlassen.
§21 Abs2 ChemikalienG verstößt nicht gegen das Recht auf Freiheit der Erwerbsausübung.
§21 Abs2 ChemikalienG will im Geiste des diesem Gesetz zugrundeliegenden Vorsorgeprinzips sicherstellen, daß der Konsument im Zusammenhang mit der Werbung für gefährliche Produkte auch einen Hinweis auf die Gefährlichkeit des Produktes und den erforderlichen Sicherheitsratschlag zumindest in der Kurzform der Kennzeichnung erhält. Daß der Schutz der Gesundheit von Menschen, dem diese Bestimmung letztlich dient, im öffentlichen Interesse gelegen ist, begegnet keinem Zweifel. Daß eine derartige Werbebeschränkung über das Ziel schießt, vermag der Verfassungsgerichtshof nicht zu sehen. Sie ist aber auch zufolge ihrer relativ geringfügigen Eingriffsintensität kein unverhältnismäßiges Mittel, die beim Umgang mit der Zubereitung erforderliche Sorgfalt beim Konsumenten sicherzustellen. Daß möglicherweise ähnliche Gefahren, die von anderen, nicht dem ChemikalienG unterliegenden Stoffen ausgehen, bei diesen Stoffen keiner derartigen Werbebeschränkung unterliegen, vermag nicht die Unverhältnismäßigkeit der Werbebeschränkung nach §21 Abs2 ChemikalienG darzutun.
Eine Verletzung des Eigentumsrechtes durch die Werbebeschränkung des §21 Abs2 ChemikalienG ist auszuschließen. Die durch §21 Abs2 leg.cit. angeordnete Verpflichtung dient dem allgemeinen Wohl. Daß der dadurch entstehende wirtschaftliche Aufwand für den Hersteller oder Importeur wirtschaftlich unzumutbar und daher unverhältnismäßig wäre, wurde nicht dargetan. Etwaige, von den Antragstellern behauptete Wettbewerbsverzerrungen sind schon deshalb zu verneinen, weil alle Produzenten und Importeure gleicher oder ähnlicher gefährlicher Zubereitungen den gleichen Werbebeschränkungen unterliegen.
Gesetzlich vorgesehene Werbebeschränkungen, die dem Schutz der Gesundheit dienen, widersprechen dem Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung gemäß Art10 Abs1 EMRK von vornherein nicht (vgl Art10 Abs2 EMRK), zumal kommerzielle Werbung schärferen Einschränkungen der Meinungsäußerungsfreiheit unterworfen werden kann als (etwa) der Ausdruck politischer Ideen.
Dem im ChemikalienG verankerten Vorsorgeprinzip (in Zusammenhang mit den sonstigen grundlegenden Wertungen der österreichischen Rechtsordnung) läßt sich entnehmen, daß für die Einstufung eines (chemischen) Stoffes oder einer aus mehreren derartigen Stoffen bestehenden "Zubereitung" als "gefährlich" gemäß dem abgestuften Gefährlichkeitskatalog des §2 Abs5 Z1 bis Z15 ChemikalienG jene dem Stand der Wissenschaft jeweils entsprechenden Erfahrungswerte heranzuziehen sind, welche (im Sinn des §1 Abs1 ChemikalienG) dem Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen und der Umwelt bestmöglich Rechnung tragen, sohin am ehesten eine mögliche Gefahr indizieren. Tierversuche dürfen dabei nur subsidiär, nämlich lediglich unter der Voraussetzung für die Einstufung benutzt werden, daß andere Methoden und Verfahren nicht zum Ziele führen. Die Berücksichtigung von Versuchen am Menschen ist schlechthin ausgeschlossen, es sei denn, daß ausnahmsweise eine bestimmte gefährliche Eigenschaft eines Stoffes ohne einen derartigen Versuch überhaupt nicht erkannt werden kann und das Risiko des Versuches relativ geringer ist als der damit angestrebte Erfolg.
Die in der Formulierung des Schutzgutes (§1 ChemikalienG) im Verein mit einer Auflistung und Definition möglicher Einstufungen (§2 Abs5 ChemikalienG) sowie die in der ausdrücklichen Ermächtigung zur Erlassung näherer Vorschriften über den Einstufungsvorgang durch Verordnung (in §17 Abs2 ChemikalienG) enthaltenen gesetzlichen Regelungen bilden eine dem Art18 Abs2 B-VG genügende Verordnungsermächtigung, zumal der Gesetzgeber diese Vorgangsweise bei der Einstufung in §17 Abs1 ChemikalienG durch den Hinweis auf "vorgeschriebene Prüfungen", "wissenschaftliche Erkenntnisse", "praktische Erfahrungen" sowie sonstige Informationen, die auf eine schädliche Wirkung hinweisen, ergänzt hat.
In Anbetracht des normativen Gehaltes der chemikalienrechtlichen Ermächtigungen zur Regelung der Vorgangsweise, der Prüfungs- und Berechnungsmethoden sowie der Regelung der Zulässigkeit von Tier- und Menschenversuchen bei der Einstufung von Zubereitungen durch Verordnung teilt der Verfassungsgerichtshof die von den Antragstellern vorgetragenen Bedenken gegen §4 Abs1, §7 Abs2, §7 Abs2a, §7 Abs5, §7 Abs7 und §7 Abs8 ChemikalienV sowie gegen §6 Abs1 ChemG-Anmeldungs- und PrüfnachweiseV nicht.
Daß eine Stoffliste (Anhang A zur ChemikalienV) ebenso wie eine Allgemeine Einstufungsrichtlinie (Anhang B zur ChemikalienV), mit der die Berechnungsmethode für gefährliche Zubereitungen konkretisiert wird, vom Gesetz gedeckt ist, ergibt sich für die Stoffliste aus §17 Abs2 zweiter Satz ChemikalienG, wonach bestimmte Stoffe und Zubereitungen bereits vom Verordnungsgeber nach den Eigenschaften gemäß §2 Abs5 ChemikalienG eingestuft werden können (= Stoffliste), sowie für die Allgemeine Einstufungsrichtlinie aus dem ersten Satz des §17 Abs2 ChemikalienG in Verbindung mit den Kriterien des §17 Abs1 ChemikalienG (Prüfungen, wissenschaftliche Erkenntnisse, praktische Erfahrungen, sonstige Informationen).
Daß für Prüfungen der physikalisch-chemischen Eigenschaften in §7 Abs5 ChemikalienV auf die Anforderungen der ChemG-Anmeldungs- und PrüfnachweiseV verwiesen wird und diese wiederum ihrerseits in §6 Abs1 ChemG-Anmeldungs- und PrüfnachweiseV auf international anerkannte Prüfrichtlinien wie die "OECD Guidelines for Testing of Chemicals" verweisen, kann ebenfalls keine Bedenken begründen, weil es sich dabei um einen Verweis auf international anerkannte Methoden der chemischen Wissenschaften mit dem Charakter antizipierter Sachverständigengutachten handelt, deren Inhalt jedenfalls für den Fachmann mit hinlänglicher Eindeutigkeit feststeht.
Die vorgetragene Kritik am Zustandekommen der ChemikalienV, insbesondere der Novelle BGBl 274/1992, vermag keine Gesetz- oder Verfassungswidrigkeit dieser Norm zu begründen.
Da es für die Verpflichtung des Bundesministers nach §2 Abs5 und §17 Abs2 ChemikalienG ausreicht, die Chemikalienkommission angehört, ihr sohin Gelegenheit zur Stellungnahme geboten zu haben - gleichgültig ob die Kommission die ihr gebotene Gelegenheit nutzte oder nicht -, liegt der behauptete Verfahrensmangel bei Erlassung der ChemikalienV-Novelle nicht vor.
Unhaltbar ist der Vorwurf, daß es sich bei Erlassung dieser Novelle um ein rechtswidriges "Maßnahmen- oder Individualgesetz" handle. Daß zwecks Klarstellung der Einstufung der bereits kraft ChemikalienG in dessen Geltungsbereich einbezogenen Waschmittel die ChemikalienV geändert wurde, begründet jedenfalls keine Rechtswidrigkeit.
Entscheidungstexte
Schlagworte
VfGH / Bedenken, VfGH / Individualantrag, Chemikalien, Verordnung, RechtsV, VerwaltungsV, Verordnungserlassung, Verwaltungsstrafrecht, Person juristische, Verantwortlichkeit Organe (Verwaltungsstrafrecht), Geltungsbereich (sachlicher) eines Gesetzes, Erwerbsausübungsfreiheit, Werbeverbot (Waschmittel), Anhörungsrecht (bei Verordnungserlassung), öffentliches Interesse, Umweltschutz, Waschmittel, Meinungsäußerungsfreiheit, Determinierungsgebot, Verweisung auf internationales RechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1993:G167.1992Dokumentnummer
JFR_10068790_92G00167_01