RS Vfgh 1993/12/15 B945/91

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Veröffentlicht am 15.12.1993
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Index

35 Zollrecht
35/05 Sonstiges

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art83 Abs2
StGG Art5
AVG §8
EG-Abkommen-DurchführungsG §12 Abs2

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Nachforderung von Zoll und Einfuhrumsatzsteuer aufgrund der Annahme mangelnder Beweise für die Richtigkeit eines Ursprungsnachweises; keine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wegen Versagung der Parteistellung; keine unzulässige Aushöhlung der verfassungsrechtlich gebotenen Parteistellung bei nachträglicher Vorschreibung von Eingangsabgaben für eingeführte Waren durch Bindung der Zollbehörden an Ergebnisse ausländischer Verwaltungsverfahren ohne Beteiligung des Betroffenen; verfassungskonforme Auslegung der Bestimmungen des EG-Abkommen-DurchführungsG durch Möglichkeit der Widerlegung der gesetzlichen Vermutung der sachlichen Unrichtigkeit eines vorgelegten Ursprungsnachweises durch konkrete Beweise geboten; Beweislastumkehr dem Abgabenschuldner zumutbar und sachlich gerechtfertigt

Rechtssatz

Zwar besteht - von bestimmten Einzelfällen abgesehen - keine Verfassungsnorm, die Parteirechte in einem Verfahren überhaupt oder in einem bestimmten Umfang garantieren würde, das die Parteirechte bestimmende Gesetz unterliegt aber dem aus dem Gleichheitssatz abzuleitenden Sachlichkeitsgebot, weshalb die Zuerkennung subjektiver Rechte in aller Regel auch die Zuerkennung von Parteirechten erfordern wird. Es ist offenkundig, daß der zur Leistung einer Abgabe Herangezogene danach im Abgabenverfahren Parteistellung haben muß.

Die Einräumung der Parteistellung soll es dem am Verfahren Beteiligten ermöglichen, seine Einschätzung der Sach- und Rechtslage darzutun und der Behörde alle zweckdienlichen Beweismittel und sonstigen Erkenntnisquellen an die Hand zu geben, gegebenenfalls auch Rechtsmittel zu ergreifen und dies alles mit dem Ziel, eine ihm günstige Entscheidung zu erwirken. Soweit die Parteistellung aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten ist, muß sie dem Betroffenen daher diese - vom rechtsstaatlichen Prinzip geforderte - Möglichkeit eröffnen.

Soweit die Behörde an Ergebnisse eines Verfahrens gebunden wird, in denen der Betroffene nicht beteiligt war, wird ihm jedoch die Parteistellung in dieser Frage, mag er sie auch dem Anschein nach innehaben, im praktischen Ergebnis versagt. Eine verfassungsrechtlich gebotene Parteistellung darf daher nicht durch solche Bindungen ausgehöhlt werden.

Österreichische Zollbehörden dürfen bei der nachträglichen Vorschreibung von Eingangsabgaben für eingeführte Waren nicht schlechthin an Ergebnisse ausländischer Verwaltungsverfahren gebunden werden, an denen sich der Abgabenschuldner nicht beteiligen konnte. Aus verfassungsrechtlichen Gründen ist vielmehr jene Auslegung des §12 Abs2 des EG-Abkommen-DurchführungsG geboten, die auch dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes Z90/16/0014 vom 20.06.90 zugrundeliegt. Demnach können die Abgabenbehörden zwar ohne weitere Ermittlungen die an einen sachlich unrichtigen Ursprungsnachweis geknüpften Rechtswirkungen annehmen, wenn die Zollbehörde des Ausfuhrstaates eine entsprechende Mitteilung gemacht hat, es steht dem Abgabenschuldner aber frei, die aufgrund der Mitteilung bestehende gesetzliche Vermutung der sachlichen Unrichtigkeit des vorgelegten Ursprungsnachweises durch substantiierte Darlegungen und konkrete Beweise zu widerlegen.

Diese Beweislastumkehr und die Beschränkung der Behörde auf die Befassung mit substantiierten Darlegungen und konkreten - wohl auch liquiden - Beweisen ist dem Abgabenschuldner zumutbar und sachlich gerechtfertigt.

Wie immer die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nun die Erfordernisse eines rechtsstaatlichen Verfahrens eingeschätzt haben mag, kann ihr der Vorwurf der Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wegen Versagung der Parteistellung, der Verletzung des Gleichheitssatzes wegen Unterstellung eines gleichheitswidrigen - nämlich unsachlichen - Inhaltes oder der Eigentumsverletzung durch denkunmögliche - weil verfassungswidrige - Gesetzesanwendung im vorliegenden Fall nicht gemacht werden.

Der Einschätzung der Behörde, durch die Einlassung des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren sei dem Erfordernis eines Beweises für die inhaltliche Richtigkeit eines Ursprungszeugnisses durch geeignete Unterlagen (vgl. VwGH Z89/16/0177 vom 14.12.89) nicht entsprochen, kann der Verfassungsgerichtshof nach dem von ihm anzuwendenden Prüfungsmaßstab nicht entgegentreten.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Verwaltungsverfahren, Parteistellung, Finanzverfahren, Parteistellung Finanzverfahren, Bindung (der Verwaltungsbehörden an Prüfungsergebnisse), Rechtsschutz, Rechtsstaatsprinzip, Zollrecht, Umsatzsteuer, Einfuhrumsatzsteuer, Beweise, Beweislast, Auslegung verfassungskonforme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1993:B945.1991

Dokumentnummer

JFR_10068785_91B00945_2_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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