TE Vfgh Beschluss 2004/11/29 V118/03 ua

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Veröffentlicht am 29.11.2004
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8000 Raumordnung

Norm

B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
Flächenwidmungsplan der Gemeinde Erl. Ve1-2-510/2-1
Örtliches Raumordnungskonzept der Gemeinde Erl
Tir BauO 2001 §26
Tir RaumOG 2001 §35 Abs1
VfGG §57 Abs1

Leitsatz

Zurückweisung des Individualantrags auf Aufhebung eines Flächenwidmungsplans hinsichtlich der Umwidmung von Grundstücken von Bauland in Freiland mangels Darlegung eines unmittelbaren Eingriffes in die Rechtssphäre der Antragstellerinnen; Zurückweisung des Individualantrags auf Aufhebung von Teilen des örtlichen Raumordnungskonzeptes mangels unmittelbarer Betroffenheit

Spruch

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1. Die Antragstellerinnen begehren mit zwei auf Art139 B-VG gestützten Individualanträgen,

"1. den in Geltung stehenden, mit Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 08.05.2003, Ve1-2-510/2-1, aufsichtsbehördlich genehmigten Flächenwidmungsplan im Umfang der für Gst 1926/6 und 1926/7 je KG Erl getroffenen Festlegung 'Freiland' aufzuheben;"

sowie

"2. die dem bezeichneten Flächenwidmungsplan zugrunde liegenden §4 Abs1, Abs2 litf und g, Abs4 und 5 sowie §8 Abs2 lita und Abs4 litc der in Geltung stehenden Verordnung über das örtliche Raumordnungskonzept aufzuheben;".

2. Die Antragstellerinnen bringen dazu vor, sie hätten die Grundstücke Nr 1926/6 (Erstantragstellerin) und 1926/7 (Zweitantragstellerin), KG Erl, für die vor der bekämpften Änderung des Flächenwidmungsplanes der Gemeinde Erl die Widmung "Wohngebiet" festgelegt gewesen sei, als Erb- und Pflichtteilsentfertigung erhalten. Die Grundflächen seien bereits gegen Norden und Osten von Wohngebieten umschlossen und infrastrukturell voll erschlossen. Eine Schwester der Antragstellerinnen habe auf dem angrenzenden Gst 1926/5 bereits ein Wohnhaus errichtet.

Zur Frage der Antragslegitimation bringen die Antragstellerinnen Folgendes vor:

"A) Rechtsqualität der bekämpften Normen

Der in Beschwerde gezogene[n] Flächenwidmungsplan bzw dessen Änderung - ist eine Verordnung im Sinne der Artikel 18 Abs2 und 139 B-VG. Die genannten Rechtsvorschriften wurden gemäß den Bestimmungen des §67 Abs1 TROG 2001 kundgemacht und stehen in Geltung.

B) Betroffene Rechtssphäre der Beschwerdeführerinnen:

1. Existenz

Die Beschwerdeführerinnen haben einen Rechtsanspruch auf fehlerfreie Erlassung von Durchführungsverordnungen; dies umso mehr dann, wenn durch diese in ihr verfassungsgesetzlich geschütztes Eigentum eingegriffen wird.

Insbesondere haben die Beschwerdeführerinnen aufgrund der Rechtsordnung einen Anspruch auf Achtung ihres Eigentums und sorgfältige Abwägung tatsächlicher öffentlicher Interessen einerseits und geschützter Grundrechtspositionen - insbesondere des Eigentumsschutzes und des Gleichbehandlungsgrundsatzes - andererseits.

2. Eingriff

Die bezeichneten Raumplanungen greifen im bekämpften Umfang in die Rechtssphäre der Beschwerdeführerinnen ein, indem mit ihnen ohne sachliche Rechtfertigung Eingriffe in ihr verfassungsgesetzlich geschütztes Eigentum - die Liegenschaften Gst 1926/6 und 1926/7 - vorgenommen werden (vgl VfSlg 10.395 mwN).

3. Unmittelbarkeit

Der Eingriff durch den Flächenwidmungsplan und den Bebauungsplan ist unmittelbar, weil er nach Art und Ausmaß eindeutig bestimmt ist und keiner weiteren Konkretisierung mehr bedarf; die Beschwerdeführerinnen werden als Grundeigentümerinnen bereits durch die betreffenden Festlegungen allein in der Ausübung ihres Eigentumsrechtes beschränkt.

4. Aktualität

Der Eingriff ist aktuell und nicht bloß potentiell:

VfSlg 11.685; 12.331; 13.168; 13.635; 14.591; 9100 ua.

Die Beschwerdeführerinnen streben die Bebauung ihrer Grundstücke an. Es handelt sich insoweit daher nicht um ungewisse künftige Bebauungsabsichten (wie etwa im Fall VfSlg 15.466), sondern um Hindernisse in einer unmittelbar anstehenden Nutzung der Liegenschaften.

5. Nachteiligkeit

Der Eingriff ist nachteilig, weil die Beschwerdeführerinnen als Grundeigentümerinnen durch die bezeichneten Raumplanungen daran gehindert sind, das gegenständliche Areal als Wohngebiet zu nutzen, insbesondere einer geeigneten Bebauung zuzuführen. Die Beschwerdeführerinnen sind damit in ihrer verfassungs und einfachgesetzlich geschützten Rechtssphäre - auch nach objektiven Maßstäben - verletzt.

Besonders zu beanstanden ist in diesem Zusammenhang, dass es erkennbar die einzige Motivation der Gemeinde Erl ist, die jeweiligen Liegenschaftseigentümer durch die mit der Rückwidmung verbundenen Einbußen und grundverkehrsrechtlichen Veräußerungsschranken ihres Liegenschaftsvermögens zu einem bestimmten, von der Gemeinde vorgegebenen Verhalten - um es vorsichtig auszudrücken - zu 'motivieren'. Mit einer aus raumplanerischen Gründen für notwendig erachtete[n] Maßnahme hat dies nichts gemein, vielmehr [die] [richtig: ist] die gegenständliche Flächenwidmung intentional darauf gerichtet, über die genannten Auswirkungen einen nicht in den Rahmen der Raumordnung fallenden Verhaltenszwang auszuüben.

6. Unzumutbarkeit eines Umweges

Nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften müssten die Beschwerdeführerinnen aufwändige Unterlagen für eine Baueinreichung herstellen, um einen bekämpfbaren Bescheid zu erwirken. Nach der einschlägigen ständigen Rechtsprechung des VfGH zur Tiroler Rechtlage ist dies nicht zumutbar (vgl VfSlg 13.964, in diesem Sinne auch VfSlg 15.367; 15.100; 15.084 ua).

Damit ist die Antragslegitimation für die vorliegende Individualbeschwerde gegeben."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

Die Anträge sind unzulässig.

1. Voraussetzung der Antragslegitimation ist einerseits, dass die Antragstellerinnen behaupten, unmittelbar durch die angefochtene Verordnung - im Hinblick auf deren Gesetzwidrigkeit - in ihren Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass die Verordnung für die Antragstellerinnen tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides, wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass die Verordnung in die Rechtssphäre der Antragstellerinnen nachteilig eingreift und diese - im Falle ihrer Gesetzwidrigkeit - verletzt.

Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, dass die Verordnung selbst tatsächlich in die Rechtssphäre der Antragstellerinnen unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch die Verordnung selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen der Antragstellerinnen nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt (VfSlg 11.128/1986, 15.144/1998) und wenn den Antragstellerinnen kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteterweise - rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg 11.726/1988, 13.944/1994).

Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die von den Antragstellerinnen ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art139 Abs1 letzter Satz B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl. zB VfSlg 8594/1979, 8974/1980, 10.353/1985, 11.730/1988, 16.140/2001).

1.1. Zu der von den Antragstellerinnen bekämpften Flächenwidmungsplanänderung:

Im Lichte der dargestellten Rechtssprechung des Verfassungsgerichtshofes ist das Vorbringen der Antragstellerinnen nicht geeignet, einen unmittelbaren aktuellen Eingriff in ihre Rechtssphäre durch den bekämpften Flächenwidmungsplan der Gemeinde Erl darzutun. Die Einschreiterinnen verweisen lediglich darauf, dass sie die Bebauung ihrer Grundstücke anstreben, wobei schon offen bleibt, wer die beabsichtigte - nicht zur Befriedigung des eigenen Wohnbedarfs gedachte - Bebauung vornehmen soll. Mit der vagen Behauptung, die Bebauung "anzustreben", werden konkrete Bauabsichten nicht dargetan; solche wären aber notwendig, um als Grundeigentümerinnen einen aktuellen, ihre Rechtssphäre verletzenden Eingriff darzutun.

Nach Meinung der Antragstellerinnen handle es sich bei der bekämpften Widmung um keine aus raumplanerischen Gründen für notwendig erachtete Maßnahme der Gemeinde Erl, vielmehr sei die Flächenwidmung "intentional darauf gerichtet, über die genannten Auswirkungen einen nicht in den Rahmen der Raumordnung fallenden Verhaltenzwang auszuüben". Auch in Anbetracht der gegebenen Fallkonstellation und den von den Antragstellerinnen näher behaupteten Beweggründen der Gemeinde Erl betreffend die Erlassung der Flächenwidmungsplanänderung sieht sich der Gerichtshof jedoch nicht veranlasst, von seiner bisherigen Rechtsprechung zur Zulässigkeit von Individualanträgen hinsichtlich der Anfechtung eines Flächenwidmungsplanes abzugehen: Den von den Einschreiterinnen vorgebrachten Wirkungen der Flächenwidmungsplanänderung fehlt, wie bereits oben dargestellt, die Eignung, rechtlich geschützte Interessen der Antragstellerinnen aktuell zu beeinträchtigen. Der Verfassungsgerichtshof bleibt daher dabei, dass sich das Vorbringen der Antragstellerinnen insgesamt nicht als geeignet erweist, einen Eingriff in ihre Rechtssphäre durch die bekämpfte Verordnung der Gemeinde Erl darzutun (vgl auch VfGH 4.12.2003, V110,111/03 ua).

1.2. Zum Antrag auf Aufhebung von Teilen des örtlichen Raumordnungskonzeptes:

Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl zB VfSlg 16.234/2001) entfaltet eine derartige Verordnung gegenüber den Antragstellerinnen grundsätzlich keine unmittelbaren Auswirkungen auf ihre Rechtssphäre:

Gemäß §29 Tiroler Raumordnungsgesetz 2001, LGBl für Tirol 2001/93 (im Folgenden: TROG 2001) hat jede Gemeinde durch Verordnung ein örtliches Raumordnungskonzept, einen Flächenwidmungsplan, allgemeine Bebauungspläne und ergänzende Bebauungspläne zu erlassen. Gemäß §31 TROG 2001 sind im örtlichen Raumordnungskonzept grundsätzliche Festlegungen über die geordnete räumliche Entwicklung der Gemeinde im Sinne der Ziele der örtlichen Raumordnung zu treffen. Jedenfalls sind gemäß Abs1 litb dieser Bestimmung Festlegungen betreffend die angestrebte Bevölkerungs- und Haushaltsentwicklung in der Gemeinde unter Bedachtnahme auf den vorhandenen Siedlungsraum zu treffen. Der Flächenwidmungsplan ist zwar insbesondere unter Berücksichtigung der Ziele des örtlichen Raumordnungskonzeptes zu erstellen; insoweit entfaltet also das örtliche Raumordnungskonzept Bindungswirkungen (nur) gegenüber der Gemeinde. Die Festlegung des Verwendungszweckes für alle Grundflächen hat jedoch gemäß §35 Abs1 leg cit erst im Flächenwidmungsplan zu erfolgen, weshalb die Antragstellerinnen durch ein örtliches Raumordnungskonzept im Regelfall nicht unmittelbar in ihrer Rechtssphäre betroffen sein können.

Dies zeigt auch §26 Tiroler Bauordnung 2001, LGBl für Tirol 2001/94 (im Folgenden: TBO 2001), aus dem abzuleiten ist, dass eine Baubewilligung nicht schon deswegen versagt werden darf, weil das Bauvorhaben dem örtlichen Raumordnungskonzept widerspricht. Zur Versagung der Baubewilligung kommt es vielmehr erst dann, wenn die bauliche Maßnahme der durch den Flächenwidmungsplan festgelegten Widmung oder den Festlegungen eines Bebauungsplans oder örtlichen Bauvorschriften (§26 Abs3 lita TBO 2001) widerspricht.

Ein etwaiges Vorliegen außergewöhnlicher Gründe, warum das von den Antragstellerinnen bekämpfte örtliche Raumordnungskonzept der Gemeinde Erl im vorliegenden Fall unmittelbar und aktuell Auswirkungen auf deren Rechtssphäre entfalten sollte, legen die Antragstellerinnen nicht dar, sodass auf diese Frage bereits wegen des fehlenden Antragsvorbringens nicht weiter eingegangen werden.

2. Im Ergebnis waren daher sowohl der Antrag auf Aufhebung von Teilen des Flächenwidmungsplanes als auch jener auf Aufhebung näher bezeichneter Teile des örtlichen Raumordnungskonzeptes der Gemeinde Erl wegen Fehlens der Antragsberechtigung als unzulässig zurückzuweisen.

3. Dieser Beschluss konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG in nichtöffentlicher Sitzung ohne vorangegangene mündliche Verhandlung gefasst werden.

Schlagworte

Baurecht, Raumordnung, Flächenwidmungsplan, VfGH / Formerfordernisse, VfGH / Individualantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:V118.2003

Dokumentnummer

JFT_09958871_03V00118_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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