RS Vfgh 1994/3/17 G233/93, G235/93

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Veröffentlicht am 17.03.1994
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8200 Bauordnung

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsgegenstand
StGG Art5
Oö BauO §18 Abs4
Oö BauO §18 Abs7

Leitsatz

Aufhebung der in der Oö BauO gesetzten Frist für die Geltendmachung eines Zurückstellungsanspruchs nach Grundabtretung wegen Verletzung des Eigentumsrechts; keine Bedachtnahme auf den Zeitpunkt der Entstehung des Zurückstellungsanspruchs; keine Verfassungswidrigkeit der Anknüpfung der Regelung über die Zurückstellung an eine Änderung des Bebauungsplanes; verfassungsrechtliche Verpflichtung des Verordnungsgebers zur Beseitigung rechtswidriger Widmungen auch ohne ausdrückliche Erwähnung im Gesetz

Rechtssatz

Die Oberösterreichische Landesregierung als Vorstellungsbehörde hat den zu B332/93 angefochtenen Bescheid auch ausdrücklich und unmittelbar auf den Abs4 des §18 Oö BauO gestützt.

Die litb des §18 Abs4 Oö BauO setzt lediglich eine Frist, innerhalb der die Behörde dem früheren Grundeigentümer die Zurückstellung der Grundfläche anzubieten hat. Gegen diese Frist bestehen keinerlei verfassungsrechtliche Bedenken, sondern vielmehr gegen die (bereits) im Einleitungssatz des Abs4 als Bedingung für die Zurückstellung vorausgesetzte Änderung des Bebauungsplanes. Eine Aufhebung lediglich der litb würde bewirken, daß die Behörde dann, wenn die Verkehrsfläche noch nicht hergestellt wurde, mit ihrem Zurückstellungsanbot an keine Frist gebunden ist, im übrigen aber die für die Bescheiderlassung maßgebliche Rechtslage unverändert lassen.

Da der Rest des Abs4 des §18 Oö BauO, insbesondere dessen lita, vom Einleitungssatz sprachlich und inhaltlich nicht trennbar ist, ist der gesamte Abs4 präjudiziell.

Mit dem Entfall der - hier maßgeblichen - Verweisung auf den Abs4 (also mit der Aufhebung der Wendung "4,") in §18 Abs7 Oö BauO würde die hier beanstandete Verfassungswidrigkeit wegfallen.

Das Gesetzesprüfungsverfahren ist daher - weil insoweit auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen - hinsichtlich des Abs4 (aus Anlaß beider Beschwerdefälle) und hinsichtlich der Wendung "4," in Abs7 des §18 Oö BauO (aus Anlaß des Verfahrens B332/93) zulässig, im übrigen aber wegen Unzulässigkeit einzustellen.

§18 Abs4 Oö BauO wird nicht als verfassungswidrig aufgehoben.

Auf den Wegfall des öffentlichen Interesses an der Errichtung einer Verkehrsfläche ist mit einer entsprechenden Widmungsänderung zu reagieren; bei verfassungskonformer Interpretation der Voraussetzungen für die Änderungspflicht nach den raumordnungsrechtlichen Vorschriften ist der bei einem Unterbleiben der Änderung eintretende Verstoß gegen verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte (hier: das Eigentumsrecht) zu berücksichtigen.

Eine Widmung als Verkehrsfläche ist also nur insoweit und nur so lange gesetzmäßig, als der die Enteignung rechtfertigende Zweck gegeben ist. Im übrigen hat der Verfassungsgerichtshof bereits in dem - einen niederösterreichischen Flächenwidmungsplan betreffenden - Erkenntnis VfSlg. 12555/1990 aus Art18 Abs2 B-VG die Verpflichtung des Verordnungsgebers abgeleitet, eine (von Beginn an) rechtswidrige Widmung zu beseitigen oder durch eine rechtmäßige zu ersetzen, und zwar auch dann, wenn dies als Grund für eine Planänderung im Gesetz nicht angeführt ist.

Wenn eine im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zwingende Rückübereignung (s. VfSlg. 8981/1980 und 11017/1986) eines nunmehr als Verkehrsfläche gewidmeten Grundstückes auch ohne Änderung der Widmung erfolgen könnte, würde das bedeuten, daß der Eigentümer ein Grundstück erhielte, dessen Widmung jede für ihn zweckentsprechende Nutzung verhindert. Dies würde aber ebenfalls einen mit dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Schutz des Eigentums nicht in Einklang stehenden Umstand darstellen.

Der Verfassungsgerichtshof kann daher seine Bedenken, die in Prüfung gezogene Regelung mache das Bestehen eines Zurückstellungsanspruches für abgetretene (enteignete) Grundflächen in verfassungswidriger Weise von einer Änderung des Bebauungsplanes abhängig, zu welcher der Verordnungsgeber aber nicht verpflichtet sei, nicht aufrechterhalten.

Die Wendung "4," in §18 Abs7 des Gesetzes vom 02.04.76, mit dem eine Bauordnung für Oberösterreich erlassen wird (Oö BauO), LGBl. Nr. 35, idF LGBl. Nr. 82/1983, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die hier in Prüfung gezogene Regelung legt den Beginn der Frist mit einem einheitlichen Zeitpunkt (Abtretung der Grundfläche) fest und nimmt in keiner Weise darauf Bedacht, daß ein Zurückstellungsanspruch überhaupt erst nach Ablauf einer zur Verwirklichung des mit der Enteignung verbundenen Zwecks angemessenen (oder auch gesetzlich festgelegten) Frist entstehen kann. Dies kann dazu führen, daß zur Geltendmachung eines Zurückstellungsanspruches nur eine unvertretbar kurze Frist zur Verfügung steht oder der Eigentümer seinen Anspruch überhaupt nicht mehr geltend machen kann.

Die in Prüfung gezogene Regelung widerspricht somit dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums.

Entscheidungstexte

Schlagworte

VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsumfang, Baurecht, Raumordnung, Bebauungsplan, Grundabtretung, Enteignung, Rückgängigmachung (Enteignung), Verordnungserlassung, Verkehrsflächen, Auslegung verfassungskonforme, Fristen (Zurückstellungsanspruch)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1994:G233.1993

Dokumentnummer

JFR_10059683_93G00233_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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