TE Vfgh Erkenntnis 2004/11/30 B1512/02

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Veröffentlicht am 30.11.2004
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Index

97 Vergabewesen
97/01 Vergabewesen

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
BundesvergabeG 1997 §113 Abs3, §115 Abs1, §122 Abs1
Richtlinie des Rates vom 21.12.89. 89/665/EWG, zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentl Liefer- und Bauaufträge (Rechtsmittelrichtlinie)

Leitsatz

Denkunmögliche Anwendung des Bundesvergabegesetzes bei Abweisung eines Antrages auf Feststellung der Zuschlagserteilung nicht an den Bestbieter aufgrund einer (amtswegig) festgestellten Rechtswidrigkeit des Vergabeverfahrens (hier: keine Gewichtung der Zuschlagskriterien) ohne Prüfung des Vorbringens des Bieters

Spruch

Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) ist schuldig, der beschwerdeführenden Gesellschaft die mit € 2.142,-- bestimmten Prozesskosten zuhanden ihrer Rechtsvertreter binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Das Amt der oberösterreichischen Landesregierung hat als vergebende Stelle für den Auftraggeber Bund im Rahmen des Bauvorhabens "4240 Freistadt, Bundeshandelsakademie und Bundeshandelsschule Zu- und Umbau" das Gewerk "Alukonstruktionen und Schlosserarbeiten" ausgeschrieben.

Der beschwerdeführenden Gesellschaft, die sich an diesem Vergabeverfahren durch Legung eines Angebotes beteiligt hatte, wurde seitens der vergebenden Stelle mitgeteilt, dass sie zwar Bestbieterin sei, man sich aber veranlasst gesehen habe, "mit Variantenausführungen eine Gesamtpreisreduktion zu erzielen", da die eingelangten Angebotspreise insgesamt über den Schätzungskosten liegen würden. Dies habe insbesondere die Lieferung von Kunststoffstatt Alufenstern sowie den Entfall weiterer Leistungen zur Folge gehabt. Später wurde mitgeteilt, dass der Zuschlag an eine mitbietende Gesellschaft erteilt worden sei.

Die beschwerdeführende Gesellschaft beantragte in der Folge beim Bundesvergabeamt (BVA) die Feststellung, das BVA möge gemäß §113 Abs3 Bundesvergabegesetz 1997 (BVergG) feststellen, dass aufgrund näher dargelegter Rechtswidrigkeiten der Zuschlag nicht dem Bestbieter erteilt worden sei.

2. Mit Bescheid vom 28. August 2002, Zl. F-15/00-15, wurde der Antrag abgewiesen und dies damit begründet, dass die von der beschwerdeführenden Gesellschaft relevierten Fragen "dahinstehen" könnten:

"Entsprechend §53 BVergG sieht 4.6 der im gegenständlichen Fall anzuwendenden ÖNORM A 2050 'Vergabe von Aufträgen über Leistungen - Ausschreibung, Angebot und Zuschlag - Verfahrensnorm' vom 1. Jänner 1993 vor, dass von den Angeboten, die nach dem Ausscheiden übrig bleiben, der Zuschlag dem technisch und wirtschaftlich günstigsten Angebot gemäß den nach 2.1.5 festgelegten Kriterien zu erteilen ist. Punkt 2.1.5 der betreffenden ÖNORM schreibt wiederum in Korrespondenz zu §29 Abs4 BVergG vor, dass unter anderem die Kriterien für die Wahl des Angebotes für den Zuschlag einschließlich aller Gesichtspunkte in der Ausschreibung anzugeben sind, die bei der Beurteilung der Angebote in Betracht gezogen werden. All dies verdeutlicht, dass auch im Anwendungsbereich der ÖNORM A 2050 das Bestbieterprinzip heranzuziehen ist. Dies erfordert wiederum, dass der Auftraggeber ausdrückliche Kriterien, die eine abgestufte, vergleichende Bewertung der Angebote erlauben, in der Ausschreibung festlegt (beispielsweise für die eindeutige Spruchpraxis der Vergabekontrolleinrichtungen des Bundes sei auf BVA vom 27. September 1999, N-39/99-18, verwiesen).

Da der Auftraggeber keine Gewichtung der Kriterien vornahm, konnte der Zuschlag von vornherein nicht dem Bestbieter erteilt werden und war dieser daher rechtswidrig.

Da das Bundesvergabeamt im Nachprüfungsverfahren gemäß §113 Abs3 BVergG nur zur Feststellung, dass wegen Verletzungen des Bundesvergabegesetzes oder der hiezu ergangenen Verordnungen der Zuschlag nicht dem Bestbieter erteilt [worden sei], zuständig ist, setzt die Stattgebung des Nachprüfungsantrags jedoch voraus, dass die antragsgegenständliche Auftraggeberentscheidung nicht bloß rechtswidrig war, sondern auch zur Folge hatte, dass durch diese Entscheidung der Zuschlag nicht dem Bestbieter erteilt wurde.

Die Antragstellerin richtet sich nach ihrem gesamten schriftlichen Vorbringen sowie jenem in der mündlichen Verhandlung nicht gegen die Wahl der Bestbieterkriterien. Aufgrund der rechtswidrigen Festlegung der Bestbieterkriterien war jedoch eine gesetzmäßige Ermittlung des Bestbieters von vornherein nicht möglich. Daher können allfällige Rechtswidrigkeiten des Auftraggebers im Zuge der Bestbieterermittlung nicht wesentlich für die Rechtswidrigkeit der Zuschlagsentscheidung sein und wurde der Zuschlag daher nicht durch diese - allfälligerweise rechtswidrige - Entscheidung des Auftraggebers nicht dem Bestbieter erteilt. Da die durch die Antragstellerin angefochtene Auftraggeberentscheidung jedoch den Verfahrensgegenstand des Nachprüfungsverfahrens festlegt, war es dem Bundesvergabeamt verwehrt, auf die Frage einzugehen, ob eine andere Auftraggeberentscheidung wie die Wahl der Bestbieterkriterien im Einklang mit dem Gesetz steh[t]."

3. Gegen diesen Bescheid wendet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde der beschwerdeführenden Gesellschaft an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter sowie auf Gleichheit vor dem Gesetz gerügt und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt wird.

Das BVA hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen. Auch die mitbeteiligte Partei Bund hat von der Erstattung einer Äußerung abgesehen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Die beschwerdeführende Gesellschaft erachtet sich zunächst dadurch in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt, dass es das BVA unterlassen habe, sich mit ihrem Antrag inhaltlich auseinanderzusetzen. Mit der "verfehlten Begründung", es würde keine rechtskonforme Ausschreibung vorliegen, wäre der beschwerdeführenden Gesellschaft eine Sachentscheidung vorenthalten worden.

Das BVA habe aber auch Willkür geübt:

"Im Bewußtsein dessen, dass uns eine Rechtschutzmöglichkeit im Sinne einer Überprüfung der Entscheidung der belangten Behörde im ordentlichen Rechtsweg nicht zur Verfügung steht (weil die belangte Behörde zugleich erste und letzte Instanz ist) sowie dass nach Zuschlagserteilung andere bzw. weitere Rechtsschutzinstrumentarien nicht (mehr) zur Verfügung stehen, hat die belangte Behörde, indem sie den Akteninhalt Schlichtweg ignorierte bzw. sich über diesen hinwegsetzte, um sich so einer inhaltlichen Entscheidung zu entziehen, auch subjektive Willkür geübt und uns so aus unsachlichen Gründen benachteiligt.

Die belangte Behörde geht leichtfertig und ohne weitere Begründung vom klaren und eindeutigen Inhalt der Akten ab und lässt den konkreten Sachverhalt, der sich aus dem Inhalt der Akten ergibt, außer Acht. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist darin jedenfalls ein willkürliches Verhalten der belangten Behörde gelegen (VfSlg. 8808/1980; 11.852/1988).

Um sich einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem von uns gestellten Antrag im Zusammenhang mit der Zuschlagserteilung, die nicht an den Bestbieter erfolgt ist, zu entziehen hat die belangte Behörde daher leichtfertig entschieden. Dabei ist nicht einmal das Bemühen vorgelegen, eine Sachentscheidung zu treffen. Im Ergebnis hat die belangte Behörde unser Parteivorbringen ignoriert und die gebotene Ermittlungstätigkeit, die sie anhand der vorliegenden Urkunden - allenfalls durch Einholung von Sachverständigenbeweisen - vornehmen hätte müssen, unterlassen. Sie hätte nachvollziehbar begründen müssen, ob und weshalb die Zuschlagserteilung (nicht) an den Bestbieter erteilt worden ist. Sie hat daher die von Amts wegen gebotene Ermittlungstätigkeit zur Gänze unterlassen und auch so Willkür geübt."

2. a) Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg. 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn sie in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).

Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.413/1985, 11.682/1988) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten kann der Behörde unter anderem dann vorgeworfen werden, wenn sie den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat oder aber, wenn der angefochtene Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg. 10.337/1985, 11.436/1987).

b) Mit dem bekämpften Bescheid hat das BVA den Antrag der beschwerdeführenden Gesellschaft auf Feststellung, dass im Vergabeverfahren der Zuschlag nicht dem Bestbieter erteilt worden sei, mit der Begründung abgewiesen, dass bereits die Ausschreibung jede Gewichtung der Zuschlagskriterien vermissen lasse. Der Zuschlag habe deshalb von vornherein nicht dem Bestbieter erteilt werden können und sei daher jedenfalls rechtswidrig erfolgt; die von der beschwerdeführenden Gesellschaft relevierten Fragen hätten deshalb "dahinstehen" können.

Schon in seiner Entscheidung VfSlg. 16.919/2003 hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass das Vergaberechtsschutzsystem des BVergG 1997 [in Umsetzung der Rechtsmittel-Richtlinie 89/665/EWG (RM-RL)] einem übergangenen Bieter bei schuldhafter Verletzung des BVergG gegen den Auftraggeber einen Anspruch auf Ersatz der Kosten der Angebotsstellung und durch die Teilnahme am Vergabeverfahren entstandenen sonstigen Kosten einräumt (§122 Abs1 BVergG). Das BVergG gewährt diesen Schadenersatzanspruch jedem Bieter, der sich im Vertrauen auf ein rechtsrichtiges Vergabeverfahren durch Legung eines Angebotes an diesem beteiligt hat, der durch eine rechtswidrige Entscheidung des Auftraggebers aber in seiner Aussicht, im Verfahren als Bestbieter evaluiert zu werden ("echte Chance auf Zuschlagserteilung" - §113 Abs3 BVergG), frustriert wurde. Die Geltendmachung des Schadenersatzanspruches vor den ordentlichen Gerichten ist gemäß §125 Abs2 BVergG lediglich davon abhängig, dass das BVA auf Antrag des Bieters das Vorliegen eines Vergaberechtsverstoßes bescheidmäßig festgestellt hat. Im angefochtenen Bescheid wird eine (mittelbar auf die Erlangung von Schadenersatz gerichtete) Sachentscheidung über das Vorbringen der beschwerdeführenden Gesellschaft schon mit der Begründung verwehrt, dass das Vergabeverfahren bereits aus einem anderen als dem geltend gemachten Grund an Rechtswidrigkeit gelitten habe: Der Auftraggeber habe nämlich bereits eine Gewichtung der Zuschlagskriterien unterlassen.

Ein solches Rechtsverständnis widerspricht dem Sinngehalt des §122 Abs1 BVergG, weil es den Ersatz eines etwaig entstandenen Vertrauensschadens der beschwerdeführenden Gesellschaft trotz festgestellter Rechtswidrigkeit des Vergabeverfahrens (in concreto: der Ausschreibung) verhindert. Auch das Vorliegen einer vom betreffenden Bieter selbst nicht gerügten, sondern amtswegig aufgegriffenen Rechtswidrigkeit ändert nichts daran, dass der Bieter in seiner Vermögenssphäre nachteilig betroffen sein kann. Das amtswegige Aufgreifen einer Rechtswidrigkeit des Vergabeverfahrens darf dem Bieter nicht zum Nachteil gereichen, wenn er im Falle einer rechtskonformen Ausschreibung eine entsprechende Chance auf Zuschlagserteilung gehabt hätte bzw. eine solche nicht auszuschließen gewesen wäre. Die Abweisung eines Feststellungsantrages aufgrund einer (amtswegig) festgestellten Rechtswidrigkeit des Vergabeverfahrens ohne Prüfung des Vorbringens des Bieters stellt deshalb eine denkunmögliche Anwendung des BVergG (in concreto der §§113 Abs3 iVm §115 Abs1 BVergG) dar.

Der angefochtene Bescheid verletzt daher die beschwerdeführende Gesellschaft in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz.

III. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 327,-- sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 180,-- enthalten.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Rechtsschutz, Vergabewesen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:B1512.2002

Dokumentnummer

JFT_09958870_02B01512_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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