RS Vfgh 1994/6/14 B1919/93

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Veröffentlicht am 14.06.1994
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art90 Abs2
B-VG Art144 Abs1 / Verfahrensanordnung
StGG Art5
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
RAO §9
DSt 1990 §28 Abs2

Leitsatz

Keine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Abweichungen des Disziplinarerkenntnisses betreffend die Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt vom Einleitungsbeschluß; keine Verletzung im Gleichheits-, im Eigentumsrecht und in der Erwerbsausübungsfreiheit; keine in die Verfassungssphäre reichenden Verfahrensfehler

Rechtssatz

Gegenstand eines Disziplinarverfahrens ist nur die im Einleitungsbeschluß konkret umschriebene Tat (vgl. VfSlg. 5523/1967). Spricht die Behörde über Anschuldigungen ab, die nicht Gegenstand des Einleitungsbeschlusses waren, so wird eine Zuständigkeit in Anspruch genommen, die der Behörde nicht zukommt (vgl. VfSlg. 11350/1987, 12698/1991, 12915/1991). Bei einem Einleitungsbeschluß handelt es sich lediglich um eine prozeßleitende Verfügung, die der Durchführung eines Disziplinarverfahrens vorauszugehen hat (vgl. VfSlg. 9425/1982, 10944/1986, 11448/1987, 11608/1988, 12698/1991, 12881/1991). Dem Einleitungsbeschluß kommt nicht die Funktion einer Anklageschrift nach der StPO zu, was aber unter dem Aspekt des Art90 Abs2 B-VG verfassungsrechtlich unbedenklich ist, weil es sich bei einem Disziplinarverfahren nicht um ein Strafverfahren im Sinne dieser Verfassungsbestimmung handelt (vgl. VfSlg. 12462/1990, VfGH 14.06.93, B1564/92).

Dem Beschwerdeführer mußte auf Grund des Einleitungsbeschlusses klar sein, daß Gegenstand des Disziplinarverfahrens seine besondere Sorgfaltspflicht bei der Bestimmung des Wertes der Liegenschaft und des Kaufpreises war, die sich aus dem Umstand ergab, daß seine Ehefrau Vertragspartnerin seiner Mandantin war. Der Disziplinarbehörde oblag es im Zuge des Disziplinarverfahrens zu untersuchen, ob der im Einleitungsbeschluß erhobene Vorwurf zutrifft und im Disziplinarerkenntnis zu konkretisieren, inwiefern zutreffendenfalls Ehre und Ansehen des Standes verletzt wurden.

Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis VfSlg. 9425/1982 mit eingehender Begründung dargelegt, daß das unter dem Aspekt des Verfahrens vor dem gesetzlichen Richter maßgebende Kriterium die rechtzeitige Information des Disziplinarbeschuldigten über die ihm konkret zur Last gelegten Disziplinarverfehlungen ist, wobei zB eine "Erweiterung" der Anschuldigungspunkte in der mündlichen Disziplinarverhandlung nicht ausgeschlossen ist.

Im vorliegenden Fall ist diese Information des Beschwerdeführers rechtzeitig erfolgt.

Spruchpunkt I.b) des Erkenntnisses des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien unterscheidet sich von litd) des Einleitungsbeschlusses nur in der Formulierung. Eine Erweiterung der Anschuldigungspunkte hat insofern nicht stattgefunden.

Der Verfassungsgerichtshof vermag keine Verfassungsverletzung zu erkennen, wenn die belangte Behörde das exakte Ausmaß der Überhöhung der Honorarforderung nicht festgestellt hat, zumal von der Beschwerde nicht bestritten wird, daß der Beschwerdeführer im Verlassenschaftsverfahren Leistungen auf Grundlage des Wertes der Verlassenschaft verrechnete, die mit diesem Verfahren nichts zu tun hatten.

Die OBDK hat die Sachverhaltsfeststellungen, die Beweiswürdigung und die rechtliche Beurteilung in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise vorgenommen.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Rechtsanwälte, Disziplinarrecht Rechtsanwälte, Bescheidbegriff, Verfahrensanordnung, Anklageprinzip, Einleitungsbeschluß (Disziplinarverfahren)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1994:B1919.1993

Dokumentnummer

JFR_10059386_93B01919_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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