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40 VerwaltungsverfahrenNorm
EMRK Art6 Abs1 / VerfahrensgarantienLeitsatz
Verletzung im Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor einem Tribunal durch Absehen von einer Berufungsverhandlung vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat in einem Verwaltungsstrafverfahren infolge Verhängung einer Geldstrafe von weniger als 500,- €; kein Verzicht des Beschwerdeführers auf eine VerhandlungSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor einem Tribunal (Art6 Abs1 EMRK) verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Das Land Burgenland ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.142,-- bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See vom 4. Oktober 2002 wurde dem Beschwerdeführer zur Last gelegt, dass er 1. ein mehrspuriges Kraftfahrzeug auf einer Straßenstrecke, die durch das Vorschriftszeichen "Überholen verboten" gekennzeichnet ist, überholt habe, 2. die Sperrlinie überfahren und 3. die mit Verkehrszeichen kundgemachte Geschwindigkeitsbeschränkung von 70 km/h erheblich überschritten habe. Wegen Übertretung des §51 lita Z4 StVO 1960, des §9 Abs1 StVO 1960 und §52 lita Z10 StVO 1960 wurden über ihn Geldstrafen in der Höhe von zweimal € 74,- und einmal € 70,- bzw. Ersatzfreiheitsstrafen von zweimal 60 und einmal 54 Stunden verhängt.
Gegen dieses Straferkenntnis erhob der Beschwerdeführer Berufung an den Unabhängigen Verwaltungssenat Burgenland (im Folgenden: UVS), in der er auch die Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung beantragte.
Mit Bescheid vom 30. Dezember 2003 gab der UVS dieser Berufung - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - keine Folge.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor einem Tribunal (Art6 EMRK) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt wird.
3. Der UVS hat die Verwaltungsakten vorgelegt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Im Verwaltungsstrafverfahren findet eine Verletzung der durch Art6 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Verfahrensgarantie statt, wenn der UVS - der insofern als das zur Entscheidung über die strafrechtliche Anklage zuständige Tribunal entscheidet - einen Schuldspruch fällt, ohne zuvor die erforderliche mündliche Verhandlung durchgeführt zu haben, obwohl keine Gründe für ein Absehen von der mündlichen Verhandlung vorliegen (vgl. VfSlg. 16624/2002; VfGH 18.6.2003, B1312/02).
2. In seinem Bescheid hat der UVS die Beweise auf Grund der Aktenlage gewürdigt und von einer mündlichen Verhandlung abgesehen, obwohl diese beantragt war. Die Anwendung des §51e Abs3 VStG - der den UVS allenfalls ermächtigt hätte, von einer mündlichen Verhandlung abzusehen - kommt daher schon von seinen Voraussetzungen her nicht in Betracht. Die Unterlassung der Durchführung führt nicht nur zur Gesetzwidrigkeit des Bescheides, sondern hat - da im Beschwerdefall keine besonderen Gründe erkennbar sind, die im Lichte der Rechtsprechung des EGMR zu Art6 EMRK allenfalls den Entfall einer mündlichen Verhandlung rechtfertigen könnten (vgl. EGMR 19.2.1998, Fall Allan Jacobsson gegen Schweden, RJD 1998-I, S 154, Rz. 46ff.; EGMR 26.4.1995, Fall Fischer gegen Österreich, Serie A Nr. 312, Rz. 43f.) - auch die Verletzung des Art6 Abs1 EMRK zur Folge (vgl. auch die hg. Erkenntnisse vom 25. Februar 2003, B1421/02, sowie vom 22. September 2003, B1482/02).
3. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid daher in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor einem Tribunal (Art6 Abs1 EMRK) verletzt worden.
Der angefochtene Bescheid war schon aus diesem Grunde aufzuheben.
III. 1. Der Kostenzuspruch beruht auf §88 VfGG. Im zugesprochenen Betrag sind die Umsatzsteuer in Höhe von € 327,- sowie der Ersatz der gemäß §17a VfGG entrichteten Eingabengebühr in Höhe von € 180,-
enthalten.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Auslegung verfassungskonforme, Ermessen, Unabhängiger Verwaltungssenat, Verwaltungsstrafrecht, Berufung, Verhandlung mündliche, ÖffentlichkeitsprinzipEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2004:B160.2004Dokumentnummer
JFT_09958870_04B00160_00