Index
L9 Sozial- und GesundheitsrechtNorm
B-VG Art15aLeitsatz
Feststellung der Verfassungswidrigkeit der im Sbg SozialhilfeG normierten Ermächtigung zur Kundmachung von Vereinbarungen der Länder untereinander nach Art15a B-VG in Angelegenheiten der Sozialhilfe im Landesgesetzblatt; Anordnung eines nicht in der Bundesverfassung vorgesehenen Rechtserzeugungsprozesses; Notwendigkeit der Transformation solcher Vereinbarungen ebenso wie bei Staatsverträgen; Wegfall des Normcharakters einer auf die als verfassungswidrig festgestellte Kundmachungsermächtigung gestützten Kundmachung einer Vereinbarung von Ländern untereinander in Angelegenheiten der Sozialhilfe; Einstellung des Verordnungsprüfungsverfahrens wegen Wegfalls des SubstratesRechtssatz
Zulässigkeit des Gesetzesprüfungsverfahrens hinsichtlich §53 Sbg SozialhilfeG über die Vereinbarungen nach Art15a B-VG in Angelegenheiten der Sozialhilfe.
§53 Abs3 letzter Satz Sbg SozialhilfeG idF vor LGBl. Nr. 27/1994 (betreffs die Möglichkeit der Kundmachung von gemäß Art15a B-VG geschlossenen Vereinbarungen der Länder in Angelegenheiten der Sozialhilfe) ist gegenüber dem Salzburger "Gesetz über das Landesgesetzblatt 1946", LGBl. 12, idF LGBl. 72/1975 und 36/1988, (nunmehr: Gesetz vom 17. Feber 1993, LGBl. 75, über das Landesgesetzblatt) die lex specialis. Der Verfassungsgerichtshof hätte sohin §53 Sbg SozialhilfeG im Verordnungsprüfungsverfahren betreffend die Kundmachung der Salzburger Landesregierung vom 12.09.75, LGBl. Nr. 95, mit der der Beitritt des Landes Salzburg zur Vereinbarung gemäß Art15a B-VG in Angelegenheiten der Sozialhilfe verlautbart wird, schon bei Lösung der Frage der Zulässigkeit des Antrags (hinsichtlich der Frage des Verordnungscharakters der Sbg Sozialhilfe-Kundmachung) anzuwenden. Diese landesgesetzliche Bestimmung bildet eine untrennbare Einheit und ist mithin zur Gänze präjudiziell in der Bedeutung des Art140 Abs1 B-VG, sodaß der ganze §53 Sbg SozialhilfeG in Prüfung zu ziehen ist (vgl. VfSlg. 9886/1983, S 490 f.).
§53 des Gesetzes vom 13.12.74, LGBl. Nr. 19/1975, über die Sozialhilfe im Lande Salzburg (Sbg SozialhilfeG), idF vor der Novelle LGBl. Nr. 27/1994, war verfassungswidrig.
Ländervereinbarungen nach Art15a B-VG berechtigen und verpflichten als solche nur die Vertragsparteien, also ausschließlich die Bundesländer (vgl. VfSlg. 9581/1982, S 427; 9886/1983, S 491). Ohne entsprechenden Transformationsakt, der ausschließlich zwischen den Ländern geltendes Vertragsrecht in Recht umwandelt, das den Normunterworfenen (hier: Sozialhilfeträger) berechtigt und verpflichtet, entfaltet eine Ländervereinbarung für den Normunterworfenen keine Rechtswirkungen (s. VfSlg. 9581/1982, S 428).
Geltungsgrund der den Normunterworfenen bindenden Vorschrift ist in der Folge nicht die Ländervereinbarung nach Art15a B-VG, sondern das Gesetz oder die Verordnung, selbst wenn diese nur den Text der Vereinbarung wörtlich übernehmen (s. VfSlg. 9581/1982, S 428, VfSlg. 9886/1983).
Der Sinn der von §53 Sbg SozialhilfeG idF vor LGBl. Nr. 27/1994 erteilten Ermächtigung zur Kundmachung von gemäß Art15a B-VG geschlossenen Vereinbarungen in Angelegenheiten der Sozialhilfe liegt - ebenso wie jener des seinerzeitigen §44 Wr SozialhilfeG - darin, die Vereinbarung durch Kundmachung im Landesgesetzblatt mit Wirkung für die einzelnen Normunterworfenen (insbesondere für die Sozialhilfeträger) auszustatten. Ein anderer Sinn des Gesetzes, nämlich derart, daß die Kundmachung der Vereinbarung bloß der Information der Betroffenen dienen solle, kann dem Gesetzgeber nicht zugesonnen werden.
§53 Sbg SozialhilfeG ordnet einen besonderen Rechtserzeugungsprozeß an: (Auch) Normunterworfene unmittelbar bindendes Landesrecht soll dadurch geschaffen werden, daß das Land zunächst eine Vereinbarung nach Art15a B-VG abschließt und daß diese Vereinbarung sodann im Landesgesetzblatt kundgemacht wird; dabei soll die Publikation die Bedeutung eines unselbständigen Teilaktes des Rechtssetzungsverfahrens (gleich der Publikation eines Gesetzes) haben.
Abgesehen davon, daß §53 Sbg SozialhilfeG die Kundmachung ins Belieben der Landesregierung stellt, gleicht diese landesgesetzliche Bestimmung in der hier maßgebenden Hinsicht der für die Transformation von Staatsverträgen geltenden besonderen Normerzeugungsregel des Art49 und Art50 B-VG.
Eine solche Sonderregel sieht die Bundesverfassung für Vereinbarungen iS des Art15a B-VG nicht vor. §53 Sbg SozialhilfeG enthält also eine von der Bundesverfassung nicht vorgesehene Methode der Rechtserzeugung.
Die Kundmachung der Salzburger Landesregierung vom 12.09.75, LGBl. Nr. 95, mit der der Beitritt des Landes Salzburg zur Vereinbarung gemäß Art15a B-VG in Angelegenheiten der Sozialhilfe verlautbart wird, ist eine Norm, die in der Bundesverfassung keine Rechtsgrundlage hat und die nur durch §53 Sbg SozialhilfeG Eingang in die Rechtsordnung gefunden hat.
Die Feststellung, daß §53 Sbg SozialhilfeG verfassungswidrig war, bewirkt für den Anlaßfall (für das zu V105/92 eingeleitete Verordnungsprüfungsverfahren) den Wegfall der Eigenschaft der Sbg Sozialhilfe-Kundmachung als Rechtsnorm (vgl. VfSlg. 9992/1984). Auch die in der Kundmachung zitierte und eine Anlage hiezu bildende Vereinbarung verlor damit ihre rechtliche Wirkung gegenüber Dritten (etwa den Sozialhilfeträgern).
Das Verordnungsprüfungsverfahren war daher wegen Wegfalls des ihm zugrundeliegenden Substrates einzustellen.
Entscheidungstexte
Schlagworte
VfGH / Präjudizialität, Sozialhilfe, VfGH / Verfahren, VfGH / Prüfungsumfang, Anwendbarkeit Vereinbarung nach Art 15a B-VG, Vereinbarungen nach Art 15a B-VG, Rechtsquellensystem, Kundmachung, VfGH / Gegenstandslosigkeit, VfGH / Sachentscheidung Wirkung, Verordnungsbegriff, VfGH / Anlaßverfahren, lex specialis, Transformation (von Vereinbarungen nach Art 15a B-VG)European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1994:G231.1992Dokumentnummer
JFR_10059383_92G00231_01