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41 Innere AngelegenheitenNorm
B-VG Art130Leitsatz
Zulässigkeit der Beschwerde eines bereits abgeschobenen türkischen Staatsangehörigen kurdischer Abstammung gegen die Abweisung seines Antrags auf Feststellung der Unzulässigkeit seiner Abschiebung in die Türkei; subjektives Recht auf Erlassung eines solchen Feststellungsbescheides; kein Wegfall des objektiven Interesses durch die Abschiebung; Zuständigkeit des VwGH zur Kontrolle von in den Schutzbereich des Art3 EMRK fallenden Verwaltungsakten wie des hier angefochtenen Bescheides; keine Verletzung des Rechts auf Schutz vor Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung durch etwaige schwere Verfahrensfehler; keine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren; kein Eingriff in das Recht auf persönliche Freiheit; keine Verletzung des Rechts auf eine wirksame Beschwerde vor einer nationalen Instanz; Zulässigkeit einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof gegen die letztinstanzliche Entscheidung der Sicherheitsdirektion über die Unzulässigkeit der AbschiebungRechtssatz
Der Beschwerdeführer hat gemäß §54 FremdenG ein subjektives Recht auf bescheidmäßige Feststellung der Unzulässigkeit seiner Abschiebung in einen bestimmten Staat. Dieses subjektive Recht besteht unabhängig davon, ob der Beschwerdeführer bereits in diesen Staat abgeschoben worden ist oder nicht; er kann daher auch noch nach erfolgter Abschiebung in diesem subjektiven Recht verletzt werden.
Durch die Abschiebung fällt auch nicht das objektive Interesse des Beschwerdeführers an der Beseitigung des angefochtenen Bescheides weg: Wird der angefochtene Bescheid aufgehoben und in der Folge festgestellt, daß eine Abschiebung des Beschwerdeführers in diesen Staat unzulässig ist, wirkt diese Feststellung pro futuro, sodaß der Beschwerdeführer - gelingt ihm die Ausreise aus diesem Staat und wird er in Österreich aufgegriffen - nicht neuerlich in diesen Staat ab- bzw zurückgeschoben oder an der Grenze zurückgewiesen werden darf. Im übrigen besteht nach wie vor ein Feststellungsinteresse im Hinblick auf allfällige Amtshaftungsansprüche (vgl. etwa auch VwSlgNF 12217 A/1986).
Jede andere Auslegung stünde auch mit dem Rechtsschutzsystem der österreichischen Bundesverfassung, insbesondere mit Art13 EMRK, in Widerspruch.
Bescheide eines unabhängigen Verwaltungssenates, die zwar nicht gegen Art3 EMRK verstoßen, wiewohl sie dessen Schutzbereich betreffen, können im Hinblick auf die bei ihrer Erlassung anzuwendenden einfachgesetzlichen Regelungen, insbesondere Verfahrensvorschriften, rechtswidrig sein; insoweit unterliegt auch ein Art3 EMRK nicht verletzender Bescheid der Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes gemäß Art130 und Art131 B-VG (siehe hiezu die im Erkenntnis zitierte Judikatur des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes).
Der Bescheid eines unabhängigen Verwaltungssenates verletzt das durch Art3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, wenn er eine in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt erfolgte Verletzung desselben nicht wahrnimmt. Ein solcher verfassungswidriger Eingriff liegt auch vor, wenn der Bescheid in Anwendung eines der genannten Verfassungsvorschrift widersprechenden Gesetzes ergangen ist oder wenn der Behörde auf einer grundrechtswidrigen Auslegung beruhende oder sonst grobe Verfahrensfehler unterlaufen sind.
Ein Bescheid, mit dem ein Antrag gemäß §54 FremdenG auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat abgewiesen wird, greift in den Schutzbereich des Art3 EMRK ein.
Keine in die Verfassungssphäre (behauptete Verletzung des Art6 EMRK) reichenden Verfahrensfehler.
Die belangte Behörde hat im einzelnen begründet, warum die Zeugenvernehmung unterblieben ist und den Behauptungen des Beschwerdeführers nicht gefolgt wurde. Unter Würdigung aller Umstände ist ein grober, das gemäß Art3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht verletzender Verfahrensmangel nicht zu erkennen.
Kein Eingriff in das Recht auf persönliche Freiheit.
Ein Feststellungsverfahren gemäß §54 FremdenG unterliegt nicht den spezifischen Verfahrensgarantien des Art6 EMRK (keine "civil rights" und "criminal charges").
Keine Verletzung des Art13 EMRK.
Art13 EMRK geht nicht soweit, irgendeine bestimmte Form eines Rechtsmittels zu verlangen; den Vertragsstaaten kommt bei der Erfüllung ihrer Verpflichtungen nach dieser Bestimmung ein Ermessensspielraum zu.
Dagegen, daß über die Unzulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat letztlich die Sicherheitsdirektion (§70 Abs1 FremdenG) zu entscheiden befugt ist, bestehen deshalb aus der Sicht des Art13 EMRK keine Bedenken.
Dem aus Art13 EMRK erfließenden Erfordernis der Möglichkeit einer wirksamen Beschwerde bei einer nationalen Instanz gegen eine Verletzung des Art3 EMRK wird durch die Zulässigkeit einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof entsprochen (siehe hiezu die im Erkenntnis zitierte Literatur und Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und des Verfassungsgerichtshofes).
Schlagworte
VfGH / Legitimation, Rechte subjektive, Fremdenrecht, Fremdenpolizei, Aufenthaltsverbot, Rechtsschutz, Verwaltungsgerichtshof, Zuständigkeit Verwaltungsgerichtshof, Unabhängiger Verwaltungssenat, Mißhandlung, civil rights, Strafrecht, Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Refoulement-Verbot, Zeugenbeweis, fair trialEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1994:B2233.1993Dokumentnummer
JFR_10059298_93B02233_01