TE Vfgh Erkenntnis 2004/11/30 B1918/02

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Veröffentlicht am 30.11.2004
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Index

L7 Wirtschaftsrecht
L7200 Beschaffung, Vergabe

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art83 Abs2
Wr LandesvergabeG §16, §32, §37, §38, §41

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Abweisung des Antrags auf Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung bzw auf Feststellung der Nichtigkeit der Entscheidung des Auftraggebers hinsichtlich der Festlegung von Kalkulationserfordernissen sowie des Vergabeverfahrens betreffend die Verbringung und Behandlung von Baurestmassen

Spruch

Die beschwerdeführenden Gesellschaften sind durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Stadt Wien hat ein offenes Vergabeverfahren nach den Bestimmungen des Wiener Landesvergabegesetzes (WLVergG), LGBl. 36/1995 idF 50/2000, zur Verbringung und Endlagerung/Verwertung von Baurestmassen durchgeführt. Am Vergabeverfahren hat sich u.a. die aus den beschwerdeführenden Gesellschaften bestehende Bietergemeinschaft durch Legung eines Angebotes beteiligt.

In der Folge wurde den beschwerdeführenden Gesellschaften mitgeteilt, dass das Vergabeverfahren gemäß §32 Abs3 WLVergG aus zwingenden Gründen widerrufen werde. Begründet wurde dieser Widerruf im Wesentlichen damit, dass die gewählten Zuschlagskriterien zur Ermittlung eines Bestbieters nicht geeignet wären.

Die beschwerdeführenden Gesellschaften wandten sich an den Vergabekontrollsenat des Landes Wien (VKS) und beantragten die Nichtigerklärung der Entscheidung, das Vergabeverfahren zu widerrufen, sowie die Erlassung einer einstweiligen Verfügung.

Mit Bescheid vom 25. Oktober 2002 wurden diese Anträge abgewiesen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung der beschwerdeführenden Gesellschaften in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gerügt und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt wird.

Der VKS hat die Verwaltungsakten vorgelegt sowie eine Gegenschrift erstattet, in der er den Beschwerdebehauptungen im Einzelnen entgegentritt und die Abweisung der Beschwerde begehrt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Der VKS hat im angefochtenen Bescheid die Ansicht vertreten, dass der Widerruf der Ausschreibung gesetzeskonform erfolgt sei, da die Zuschlagskriterien zur Ermittlung des Bestbieters nicht geeignet gewesen wären und dieser Mangel nur durch Widerruf der Ausschreibung behoben werden konnte. Er führt dazu wie folgt näher aus:

"Der Auftragsgegenstand ist die Verbringung und Endlagerung/Verwertung von Baurestmassen: Der Umfang der zu verbringenden und endzulagernden Baurestmassen ist gleich. Daher ist jede unterschiedliche Gewichtung des Preises für die Endlagerung und die Transportkosten von vornherein ungeeignet, das wirtschaftlich günstigste Angebot zu ermitteln.

Für die Auftraggeberin ist es - in wirtschaftlicher Betrachtungsweise - völlig egal, ob die Kosten beim Transport oder bei der Endlagerung anfallen. Die Antragstellerin ist den Nachweis schuldig geblieben, dass eine solche unterschiedliche Gewichtung zur Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebotes geeignet sein kann, da nur der Gesamtpreis maßgebend sein konnte. Ist dieser jedoch maßgebend, ist eine unterschiedliche Gewichtung der Teilpreise - bei gleicher Menge für die Kalkulation der Teilpreise - schlechthin ungeeignet.

Im Übrigen hat die Antragstellerin im Schriftsatz vom 25. September 2002 selbst der Auftraggeberin vorgeworfen, dass sie willkürlich und ohne jeden Bezug zur Einzelkalkulation der verschiedenen Bieter in 85 % für den Preis der Endlagerung und in 10 % für den Preis der Transportkosten aufteilte.

Wenn die Antragstellerin selbst von einer willkürlichen Aufteilung der Zuschlagskriterien ausgeht, bestätigt sie damit, dass der Widerruf der Ausschreibung dem Gesetz entsprochen hat.

Weshalb trotzdem kein zwingender Widerrufsgrund vorgelegen sei, hat die Antragstellerin nicht begründet."

Nach Abschluss des Nachprüfungsverfahrens käme auch die Erlassung einer einstweiligen Verfügung nicht mehr in Betracht, weshalb auch der darauf abzielende Antrag abzuweisen gewesen sei.

2. Die beschwerdeführenden Gesellschaften werfen dem VKS zunächst vor, den Nachprüfungsantrag willkürlich - sohin unter Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit vor dem Gesetz - abgewiesen zu haben. Die Gewichtung der Zuschlagskriterien wäre - entgegen der Ansicht des VKS - unbedenklich gewesen:

"Der Auftraggeber hatte ein Punktesystem vorgegeben, bei dem der Preis der Verwertung/Endlagerung mit 85 %, der Transport mit 10 % und die umweltrelevante Fahrzeugausstattung mit 5 % gewichtet waren.

Zugrunde lag die Erkenntnis, dass Transportkosten weniger gestaltbar sind als Entsorgungs-/Verwertungskosten. Die besondere Bedeutung der Entsorgung-Verwertung führte ja auch tatsächlich - wie das Angebotsergebnis zeigt - zu verstärkten Bemühungen einer günstigen Verwertung, resultierend in maßgeblich abweichenden Entsorgungs-/Verwertungspreisen der verschiedenen Anbieter. Im übrigen hat kein Bieter diese Gewichtung beeinsprucht.

Es wurde auch den Anbietern kein 'zu großer Spielraum in der Preiskalkulation' eingeräumt, weil die Ansätze ohnehin plausibel und angemessen sein müssen - diese Plausibilität und Angemessenheit der Ansätze des Angebotes der Beschwerdeführer als Bietergemeinschaft hat sich im Zuge der vertieften Angebotsprüfung bestätigt.

Kreativitätsdruck bei der Verwertung führt im übrigen nicht nur zu einem günstigeren Preis, sondern auch zu einer umweltgerechteren, besseren Verwertung der Baurestmassen - was auch in Übereinstimmung mit den EU-rechtlichen Vorgaben bei der Vergabeentscheidung Berücksichtigung finden kann.

Es gehört zu den Grundsätzen jedes Vergabeverfahrens, dass sich der Auftraggeber an die festgelegten Zuschlagskriterien hält - zumal diese wegen §98 Z2 Wiener Landesvergabegesetz auch nicht mehr angreifbar wären.

Eine Gewichtung von Zuschlagskriterien in der Ausschreibung ist nicht nur zulässig sondern geboten; dass sich nach Angebotsöffnung Konstellationen ergeben können, bei denen der Auftraggeber nachträglich lieber eine andere Gewichtung vornehmen würde, liegt auf der Hand. Einen Widerruf des Vergabeverfahrens kann dies in keinem Fall rechtfertigen.

Auch ist der Bestbieter nach den Zuschlagskriterien der Ausschreibung exakt und jedenfalls nachvollziehbar feststellbar - es ist, wie der Auftraggeber der belangten Behörde selbst vorgerechnet hat - ohne jede Unklarheit die Bietergemeinschaft der Beschwerdeführer.

Ein Widerruf ist unter diesen Umständen weder zwingend noch möqlich!

Im Hinblick darauf, dass den Beschwerdeführern als Bietergemeinschaft damit der Zuschlag abgeschnitten wird, steht die substratlose Berufung auf einen zwingenden Widerrufsgrund und die Weigerung der belangten Behörde, den Widerruf für nichtig zu erklären, wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch und stellt einen Akt der Willkür dar.

Die belangte Behörde übernimmt die 'Feststellungen' des Auftraggebers in seiner Stellungnahme vom 03.09.2002, ohne sich mit den Gründen auseinanderzusetzen, die für den Anspruch der Beschwerdeführer auf Nichtigerklärung des Widerrufs sprechen.

Dadurch, dass die belangte Behörde ohne Grund einen zwingenden Widerrufsgrund annimmt und es damit dem Auftraggeber ermöglicht, der anspruchsgemäßen Vergabe an die Bietergemeinschaft der Beschwerdeführer als Bestbieter auszuweichen, hat sie die Beschwerdeführer in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt."

Ihr verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter habe die Behörde - so die beschwerdeführenden Gesellschaften weiter - dadurch verletzt, dass sie eine Entscheidung über den Antrag unterlassen habe, festzustellen, dass die beschwerdeführenden Gesellschaften als Bestbieter anzusehen gewesen wären. Ebenso sei eine ausdrückliche Entscheidung über den Antrag, festzustellen, dass der Auftraggeber im gegenständlichen Vergabeverfahren den Widerruf ohne zwingenden Grund vorgenommen habe, unterblieben.

3. a) Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten kann der Behörde unter anderem dann vorgeworfen werden, wenn sie den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat oder aber, wenn der angefochtene Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg. 10.065/1984, 14.776/1997, 16.273/2001).

Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg. 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn sie in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).

b) Mit der vorliegenden Entscheidung hat die belangte Behörde in gemeinschaftsrechtskonformer Weise ihre Zuständigkeit in Anspruch genommen, über einen Antrag auf Nichtigerklärung des Widerrufs meritorisch zu entscheiden. Sie gelangt dabei zum Ergebnis, dass die Ausschreibung zwingend zu widerrufen gewesen sei, da die genannten Zuschlagskriterien eine nachvollziehbare Bestbieterermittlung nicht ermöglicht hätten.

Die Entscheidung erscheint dem Verfassungsgerichtshof im Ergebnis plausibel und nachvollziehbar; sie wurde vom VKS weder leichtfertig getroffen, noch wurde sonst Willkür geübt. Ob das Verfahren in jeder Hinsicht rechtmäßig geführt wurde und die materiell-vergaberechtlichen Fragen im Hinblick auf die Rechtskonformität der vom Auftraggeber gewählten Zuschlagskriterien zutreffend geklärt wurden, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen; und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen einen Bescheid des VKS (einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG) richtet, der beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. VfSlg. 10.565/1985, 10.659/1985, 12.697/1991).

Dem unter der Behauptung der Verletzung der beschwerdeführenden Gesellschaften in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter erhobenen Vorwurf, dass der VKS zwei Feststellungsanträge nicht förmlich erledigt habe, ist zu entgegnen, dass Säumnis einer Behörde im Wege einer Bescheidbeschwerde nach Art144 B-VG nicht geltend gemacht werden kann. Im Übrigen hätte es den Anträgen für eine meritorische Erledigung auch an einer gesetzlichen Grundlage gemangelt: Das WLVergG räumt nach erfolgter Zuschlagserteilung dem VKS allein die Zuständigkeit ein, festzustellen, ob wegen eines Verstoßes gegen das WLVergG der Zuschlag nicht dem Antragsteller als Bestbieter erteilt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

III. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Säumnis, Vergabewesen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:B1918.2002

Dokumentnummer

JFT_09958870_02B01918_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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