RS Vfgh 1994/10/4 B986/94, B1102/94, B1109/94, B1149/94

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Veröffentlicht am 04.10.1994
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht

Norm

B-VG Art83 Abs2
EMRK Art3
Flüchtlingskonvention Genfer, BGBl 55/1955 Art33
FremdenG §37
FremdenG §54

Leitsatz

Keine Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch die Feststellung des Nichtvorliegens eines Refoulement-Verbotes für Kosovo-Albaner hinsichtlich Rest-Jugoslawien; Verletzung des Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch diese Feststellung wegen der im erstinstanzlichen Bescheid erfolgten Beschränkung dieser Feststellung auf Slowenien in einem Fall; Verletzung im Recht, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung iSd Art3 EMRK unterworfen zu werden, durch die Unterlassung von Ermittlungen zur aktuellen Situation von zum Wehrdienst einberufenen, geflüchteten Kosovo-Albanern in Rest-Jugoslawien beim Abspruch über die Zulässigkeit der Abschiebung; keine Verletzung des Art3 EMRK durch die Feststellung des Nichtvorliegens von Gründen für die Unzulässigkeit einer Zurückweisung oder Zurückschiebung im Sinne des §37 Abs2 FremdenG (Gefahr für Leben oder Freiheit); keine Verletzung des Art3 EMRK durch die Entscheidung über das Nichtvorliegen eines Refoulement-Verbotes hinsichtlich Ungarns, Sloweniens und der Slowakei; keine Glaubhaftmachung einer konkreten Gefahr der durch Art3 EMRK verpönten Behandlung oder Strafe in diesen Staaten; Bekämpfbarkeit von Verletzungen der EMRK seitens dieser Staaten in Straßburg

Rechtssatz

Keine Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch die Feststellung, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen, daß die Beschwerdeführer (Kosovo-Albaner) in Restjugoslawien iS des §37 Abs1 oder Abs2 FremdenG bedroht seien.

Die Beschwerdeführer behaupten lediglich, die belangte Behörde habe sich mit ihrem Vorbringen betreffend die politischen Verhältnisse in Restjugoslawien nicht entsprechend auseinandergesetzt. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer ist jedoch eine solche Auseinandersetzung erfolgt.

Der erstinstanzliche Bescheid hatte sowohl nach der Formulierung seines Spruches als auch nach seiner Begründung ersichtlich nur eine Feststellung gemäß §54 FremdenG hinsichtlich Slowenien getroffen.

Im Verfahren zu B986/94 wurde der Beschwerdeführer, soweit durch den angefochtenen Bescheid festgestellt wurde, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen, daß der Beschwerdeführer in Restjugoslawien iS des §37 Abs1 oder Abs2 FremdenG bedroht sei, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

Der Verfassungsgerichtshof geht in Übereinstimmung mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte davon aus (vgl. VfSlg. 13314/1992, VfGH 19.06.93, B1084/92, 04.10.93, B364/93, 16.06.94, B1774/93, 02.07.94, B2233/93), daß die Entscheidung eines Vertragsstaates, einen Fremden auszuliefern - oder in welcher Form immer außer Landes zu schaffen -, unter dem Blickwinkel des Art3 EMRK erheblich werden und demnach die Verantwortlichkeit des Staates nach der EMRK begründen kann, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden sind, daß der Fremde konkret Gefahr liefe, in dem Land, in das er ausgewiesen werden soll, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden.

Bei der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen der angefochtenen Bescheide könnten diese das gemäß Art3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht nur verletzen, wenn sie auf einer dem genannten Grundrecht widersprechenden Auslegung des Gesetzes beruhen oder wenn der Behörde bei der nach §54 iVm §37 Abs1 FremdenG vorzunehmenden Prognose grobe Verfahrensfehler unterlaufen sind.

Die Beschwerdeführer (Kosovo-Albaner) wurden durch die angefochtenen Bescheide, soweit festgestellt wurde, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen, daß die Beschwerdeführer in Restjugoslawien iS des §37 Abs1 FremdenG bedroht seien, in dem gemäß Art3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, verletzt.

Die Einberufung zum Militärdienst bzw die strafrechtliche Verfolgung wegen Desertion und Refraktion stellt nun gewiß in aller Regel keine Folter oder unmenschliche Strafe oder Behandlung iS des Art3 EMRK dar.

Angesichts der sich laufend verändernden Verhältnisse in Restjugoslawien, welches der EMRK nicht beigetreten ist, genügt jedoch eine Beurteilung der Frage des Vorliegens eines Refoulement-Verbotes anhand von vor drei Jahren erhaltenen "Informationen" - deren Quellen überdies im Dunkeln geblieben sind und sich deshalb einer Überprüfung entziehen - den Anforderungen des Art3 EMRK nicht.

Keine Verletzung des Art3 EMRK durch die Feststellung, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen, daß die Beschwerdeführer in Restjugoslawien iS des §37 Abs2 FrG bedroht seien.

Der Abs1 des §37 FremdenG dient der Konkretisierung des durch Art3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes, Abs2 aber der innerstaatlichen Durchführung der durch die Genfer Flüchtlingskonvention übernommenen völkerrechtlichen Verpflichtungen Österreichs (mit ausführlichen Hinweisen zur Entstehungsgeschichte des §37 Abs2 FremdenG und seiner Beziehung zu Art33 Genfer Flüchtlingskonvention).

Die gemäß §37 Abs2 FremdenG umschriebenen Gefahren können an sich auch jenen Grad und jene Schwere erreichen, wie sie in §37 Abs1 FremdenG umschrieben sind. Wie immer aber das Verhältnis von Abs1 zu Abs2 des §37 FremdenG zu sehen ist, der Realisierung der durch Art3 EMRK übernommenen Verpflichtung dient allein schon die Feststellung gemäß §54 iVm §37 Abs1 FremdenG. Es bedarf dazu nicht der zusätzlichen Bedachtnahme auf eine Feststellung iS des §37 Abs2 FremdenG, um den Schutzbereich des durch Art3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes zu wahren.

Die Beschwerdeführer (Kosovo-Albaner) wurden durch die angefochtenen Bescheide, soweit festgestellt wurde, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen, daß die Beschwerdeführer in Ungarn (B1102/94, B1109/94, B1149/94), in Slowenien (B986/94, B1149/94) sowie in der Slowakei (B1109/94) iS des §37 Abs1 oder Abs2 FremdenG bedroht seien, nicht in dem gemäß Art3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, verletzt.

Die Beschwerden versuchen vornehmlich darzutun, daß die genannten Staaten ihren aus der Genfer Flüchtlingskonvention übernommenen Verpflichtungen nicht (voll) nachkommen; das ist aber aus der Sicht des Art3 EMRK nicht aufzugreifen.

Es ist zunächst davon auszugehen, daß seitens dieser Staaten die EMRK, insbesondere auch deren Art3 beachtet wird, zumal behauptete Verletzungen der EMRK durch Organe dieser Staaten mit Beschwerde in Straßburg bekämpft werden könnten (siehe die im Erkenntnis angeführten Beitrittserklärungen dieser Staaten).

Der belangten Behörde kann ferner aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegengetreten werden, wenn sie zur Auffassung gelangte, daß die Beschwerdeführer stichhaltige Gründe für die Annahme, daß sie in diesen Staaten konkret Gefahr liefen, einer durch Art3 EMRK verpönten Behandlung oder Strafe unterworfen zu werden, nicht glaubhaft machen konnten. Für diese Beurteilung ist der Umstand nicht unmaßgeblich, daß bislang gehäufte Verstöße der umschriebenen Art gegen Art3 EMRK durch die genannten Staaten gegenüber Kosovo-Albanern nicht bekanntgeworden sind.

(siehe auch E v 28.02.95, B1594/94 ua; E v 13.06.95, B1819/94).

Entscheidungstexte

Schlagworte

Fremdenrecht, Refoulement-Verbot, Mißhandlung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1994:B986.1994

Dokumentnummer

JFR_10058996_94B00986_2_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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