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40 VerwaltungsverfahrenNorm
EMRK österr Vorbehalt zu Art5Leitsatz
Verletzung im Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor einem Tribunal durch Bescheiderlassung seitens des Unabhängigen Verwaltungssenates betreffend Inbetriebnahme eines Kraftfahrzeugs in alkoholisiertem Zustand wegen Unterlassung der Durchführung einer Berufungsverhandlung; keine Bedenken gegen die dem UVS einen Ermessensspielraum einräumende verwaltungsstrafrechtliche Bestimmung über das Absehen von einer BerufungsverhandlungSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor einem Tribunal verletzt worden.
Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit € 2.076,60 bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.1. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Kufstein wurde über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe iHv € 1.453,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 10 Tage) verhängt, weil er als Geschäftsführer einer näher bezeichneten GmbH eine Transitfahrt von Deutschland nach Italien durch Österreich veranlasst habe, ohne dem Fahrer die entsprechende Anzahl von Ökopunkten zu übergeben.
Gegen diese Entscheidung erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er die Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung beantragte.
1.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol (im Folgenden: UVS) wies diese Berufung mit Erkenntnis vom 26. Jänner 2004 als unbegründet ab, ohne eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt zu haben.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der unter anderem die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein faires Verfahren (Art6 EMRK) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt wird.
3. Der UVS legte fristgerecht die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der er die Abweisung der Beschwerde beantragt. Der UVS weist darauf hin, dass auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht unter allen Umständen für erforderlich halte, insbesondere dann nicht, wenn keine Tatsachen- oder Rechtsfragen aufgeworfen würden, die eine mündliche Verhandlung erforderlich machten. Im vorliegenden Fall sei der entscheidungsrelevante Sachverhalt geklärt und die Ausführungen des Beschwerdeführers in seiner Berufung hätten keine Tatsachen- oder Rechtsfragen aufgeworfen, die eine mündliche Verhandlung erforderlich gemacht hätten.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Mit Erkenntnis vom 25. September 2002, B1737/01, hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass im Verwaltungsstrafverfahren eine Verletzung der durch Art6 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Verfahrensgarantie stattfindet, wenn der UVS - als das zur Entscheidung über die strafrechtliche Anklage zuständige Tribunal - einen Schuldspruch fällt, ohne zuvor die erforderliche mündliche Verhandlung durchgeführt zu haben, obwohl keine Gründe für ein Absehen von der mündlichen Verhandlung vorliegen.
2. Der Beschwerdeführer hat in seiner Berufung die Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung beantragt. Damit kommt aber die Anwendung des §51e Abs3 VStG, der den UVS allenfalls ermächtigt hätte, von einer mündlichen Verhandlung abzusehen, schon von seinen Voraussetzungen her nicht mehr in Betracht. Daraus folgt aber auch, dass der UVS verpflichtet gewesen wäre, eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Diese Unterlassung führt nicht nur zur Gesetzwidrigkeit des Bescheides, sondern hat - da im Beschwerdefall keine besonderen Gründe erkennbar sind, die im Lichte der Rechtsprechung des EGMR zu Art6 EMRK allenfalls den Entfall einer mündlichen Verhandlung rechtfertigen könnten (vgl. EGMR 19.2.1998, Fall Allan Jacobsson gegen Schweden, RJD 1998-I, S. 154, Rz. 46 ff.; EGMR 26.4.1995, Fall Fischer gegen Österreich, Serie A Nr. 312, Rz. 43 f.) - auch die Verletzung des Art6 Abs1 EMRK zur Folge (vgl. auch die hg. Erkenntnisse vom 25. Februar 2003, B1421/02, sowie vom 22. September 2003, B1482/02).
3. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid sohin in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor einem Tribunal (Art6 Abs1 EMRK) verletzt worden.
Der angefochtene Bescheid war schon aus diesem Grund aufzuheben.
4. Der Kostenzuspruch beruht auf §88 VfGG. Im - im beantragten Ausmaß - zugesprochenen Betrag ist eine Eingabegebühr iHv € 180,-- und Umsatzsteuer in Höhe der verzeichneten € 261,60 enthalten.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Ermessen, Straßenpolizei, Alkoholisierung, Unabhängiger Verwaltungssenat, Verwaltungsstrafrecht, Berufung, Verhandlung mündliche, Öffentlichkeitsprinzip, VfGH / KostenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2004:B364.2004Dokumentnummer
JFT_09958870_04B00364_00