RS Vfgh 1994/12/15 B1045/94

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Veröffentlicht am 15.12.1994
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Index

40 Verwaltungsverfahren
40/01 Verwaltungsverfahren außer Finanz- und Dienstrechtsverfahren

Norm

B-VG Art83 Abs2
B-VG Art129a Abs1
B-VG Art132
VStG §24
AVG §72 Abs4
AVG §73

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch die Zurückweisung eines Devolutionsantrages betreffend einen in einem Verwaltungsstrafverfahren gestellten Wiedereinsetzungsantrag; Bestehen der Entscheidungspflicht über die Wiedereinsetzung auch in Verwaltungsstrafsachen trotz des Ausschlusses der Anwendbarkeit von §73 AVG im Verwaltungsstrafverfahren; Zuständigkeit der Unabhängigen Verwaltungssenate zur Entscheidung über Wiedereinsetzungsanträge in Verwaltungsstrafsachen

Rechtssatz

Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol übersieht, daß sich die Funktion des die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes auf Verfassungsebene bestimmenden Art132 B-VG (bei dem es ua. um die Abhilfe gegen eine Säumnis der unabhängigen Verwaltungssenate geht) von der Funktion des die Zuständigkeit der unabhängigen Verwaltungssenate regelnden Art129a Abs1 B-VG wesentlich unterscheidet.

Die Rechtsschutzlücke, die bei der vom Verwaltungsgerichtshof für geboten erachteten Auslegung des Begriffes "Verwaltungsstrafsachen" (siehe VwSlg. 11.682 A/1985) in Art132 B-VG entsteht (und die der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung selbst erkennt), ist angesichts der Tribunalqualität der unabhängigen Verwaltungssenate viel geringer, als sie es wäre, wollte man Art129a B-VG in ähnlicher Weise auslegen und damit die Nichtentscheidung über Wiedereinsetzungsanträge in Verwaltungsstrafverfahren durch Verwaltungsbehörden gänzlich einer Kontrolle durch eine unabhängige Kontrollinstanz entziehen. Ein derartiges Ergebnis käme in noch stärkerem Maß in Konflikt mit dem rechtsstaatlichen Prinzip der Bundesverfassung, als die Auslegung des Art132 B-VG in dem genannten Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes.

Gemäß §24 VStG sind die Regelungen des §73 AVG im Verwaltungsstrafverfahren nicht anzuwenden. Diese Bestimmung hat der Verwaltungsgerichtshof in VwSlg. 9935 A/1979 so verstanden, daß im Falle eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in einer Verwaltungsstrafsache ungeachtet der Bestimmung des §24 VStG Entscheidungspflicht im Sinne des §73 AVG hinsichtlich der Entscheidung über die Wiedereinsetzung besteht, zumal im Verwaltungsstrafverfahren auch die Vorschriften des §71 und §72 AVG über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand anzuwenden sind.

Dem ist sowohl aus den vom Verwaltungsgerichtshof ins Zentrum seiner Begründung gestellten systematischen wie auch aus teleologischen Gründen zuzustimmen, ist doch das (Rechtsschutz)Interesse eines Betroffenen an der Geltendmachung der Entscheidungspflicht über einen Wiedereinsetzungsantrag im Verwaltungsstrafverfahren in der Regel grundlegend anders gelagert als das allfällige (Rechtsschutz)Interesse gegenüber einer in der Sache selbst untätig bleibenden Verwaltungsstrafbehörde.

Eine Säumnisbeschwerde an den unabhängigen Verwaltungssenat gegen die Nichtentscheidung über Wiedereinsetzungsanträge in Verwaltungsstrafsachen ist nach den Verwaltungsverfahrensgesetzen vorgesehen (siehe §73 Abs2 iVm §72 Abs4 AVG).

Die Zuständigkeit zur Entscheidung über Wiedereinsetzungsanträge in Verwaltungsstrafsachen ist den unabhängigen Verwaltungssenaten durch §73 Abs2 iVm §72 Abs4 AVG zugewiesen. Der Verfassungsgerichtshof sieht kein Hindernis, in Wiedereinsetzungsangelegenheiten die genannten Vorschriften des AVG als Gesetze im Sinne des Art129a Abs1 Z3 B-VG anzusehen, zumal nur durch eine solche Betrachtung eine dem rechtsstaatlichen Prinzip zuwiderlaufende Rechtsschutzlücke vermieden werden kann.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Unabhängiger Verwaltungssenat, Verwaltungsgerichtshof, Säumnisbeschwerde, Verwaltungsverfahren, Entscheidungspflicht, Wiedereinsetzung, Anwendbarkeit AVG, Verwaltungsstrafrecht, Rechtsstaatsprinzip, Rechtsschutz, Devolution

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1994:B1045.1994

Dokumentnummer

JFR_10058785_94B01045_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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