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62 ArbeitsmarktverwaltungNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Verfassungswidrigkeit einer Bestimmung des AlVG über die Verpflichtung zur Rückzahlung von Arbeitslosengeld bzw Notstandshilfe zur Gänze infolge Überschreitung der Geringfügigkeitsgrenze des Einkommens eines selbständig Erwerbstätigen ohne Vorhersehbarkeit der Ungebührlichkeit der Leistung wegen Verstoß gegen den GleichheitssatzRechtssatz
Der dritte Satz des §25 Abs1 AlVG, BGBl 609/1977 idF BGBl 615/1987, war verfassungswidrig.
Der Verfassungsgerichtshof hat bei Behandlung einer Beschwerde den dritten Satz des §25 Abs1 AlVG in der in Prüfung gezogenen Fassung anzuwenden. Im Anlaßfall handelt es sich um die Verpflichtung zur Rückzahlung von ungebührlich bezogener Notstandshilfe. Die in Prüfung gezogene Gesetzesstelle betrifft jedoch auch das Arbeitslosengeld und ist insoweit nicht präjudiziell. Das Verfahren G271/94 ist daher insoweit einzustellen.
Der zu G26/95 gestellte Antrag des Verwaltungsgerichtshofes hingegen ist nur insoweit zulässig, als er sich auf das Arbeitslosengeld bezieht. Der bei diesem Gerichtshof anhängige Beschwerdefall betrifft nämlich nur das Arbeitslosengeld. Der zu G26/95 gestellte Antrag ist daher hinsichtlich des die Notstandshilfe betreffenden Teiles zurückzuweisen.
Nach dem dritten Satz des §25 Abs1 AlVG kommt es anders als im Regelfall (Satz 1) auch dann zur Rückzahlungsverpflichtung, wenn der Empfänger weder den Bezug durch unwahre Angaben oder Verschweigung maßgeblicher Tatsachen herbeigeführt hat noch erkennen konnte, daß die Leistung nicht (oder nicht in dieser Höhe) gebührt. Den selbständig tätigen Empfänger einer Leistung aus der Arbeitslosenversicherung trifft nach dieser Bestimmung schlechthin das Risiko, daß er die Leistung zur Gänze zu Unrecht empfangen hat, weil sein Einkommen die Geringfügigkeitsgrenze überschreitet.
Dem Empfänger von Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe kann nicht zugemutet werden, jenen Teil der Leistung, der die Geringfügigkeitsgrenze übersteigt, für den mehr oder minder wahrscheinlichen Fall unverbraucht liegen zu lassen, daß sich später ein diese Grenze übersteigendes Einkommen ergibt. Der Arbeitslose geht davon aus und darf davon ausgehen, daß ihm das Geld zur Bestreitung seines Unterhaltes zur Verfügung steht.
Unter den vorauszusetzenden besonderen Verhältnissen ist eine Rückzahlungspflicht, die über die Pflicht zur Herausgabe des zusätzlichen eigenen Einkommens hinausgeht, nur zulässig, wenn den Bezieher der Leistung ein Vorwurf trifft oder er den naheliegenden Verdacht eines solchen nicht widerlegen kann oder aber seine nunmehrige Leistungsfähigkeit aus der neu eröffneten Erwerbsquelle oder auf andere Weise feststeht. Ohne solche Einschränkung widerspricht die Pflicht zur Rückzahlung verbrauchter Gelder aus der Arbeitslosenversicherung dem aus dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz abzuleitenden Sachlichkeitsgebot.
Ausdehnung der Anlaßfallwirkung auf zwei beim Verwaltungsgerichtshof anhängige Beschwerden, da eine förmliche Einbeziehung der diesbezüglichen Anträge des Verwaltungsgerichtshofs in das vorliegende Gesetzesprüfungsverfahren im Hinblick auf das fortgeschrittene Prozeßgeschehen nicht mehr möglich war. Diese Verfahren (G27/95 und G34/95) werden daher eingestellt. (ebenso E v 13.06.96, G 1395/95 ua).
(Anlaßfall B1689/93, E v 16.03.95, Aufhebung des angefochtenen Bescheides; Quasi-Anlaßfall E v 29.06.95, B484/94; siehe auch E v 12.06.95, G29/95 ua - Feststellung der Verfassungswidrigkeit des §25 Abs1 dritter Satz AlVG idF BGBl 416/1992; E v 12.06.95, B110/95, E v 29.06.95, B2624/94 - Quasi-Anlaßfälle zu G29/95 ua; Aufhebung der angefochtenen Bescheide).
Entscheidungstexte
Schlagworte
Arbeitslosenversicherung, VfGH / Anlaßfall, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsumfang, NotstandshilfeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1995:G271.1994Dokumentnummer
JFR_10049684_94G00271_01