RS Vfgh 1995/6/14 V94/93

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Veröffentlicht am 14.06.1995
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8000 Raumordnung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verordnung
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art118 Abs3 Z9
StGG Art5
Flächenwidmungsplan der Marktgemeinde St. Johann i.T, vom 03.06.81
Tir RaumOG 1972 §8 Abs2
Tir RaumOG 1972 §9
Tir RaumOG 1972 §26, §27
Tir RaumOG 1972 §28
Tir RaumOG 1972 §30
Tir RaumOG 1994 §27 Abs2

Leitsatz

Abweisung eines Individualantrags auf Aufhebung eines Flächenwidmungsplanes hinsichtlich der Rückwidmung eines Grundstücks von Bauland in Freiland anläßlich der erstmaligen Erlassung des Flächenwidmungsplanes nach dem Tir RaumOG 1972; kein Vorliegen von Verfahrensmängeln bei Erlassung des Flächenwidmungsplanes; Durchführung einer ausreichenden Grundlagenforschung; kein erhöhter Bestands- und Vertrauensschutz für die vor erstmaliger Erlassung des Flächenwidmungsplanes geltenden, einzelflächenbezogen beschlossenen Widmungen; keine Überschreitung der planerischen Gestaltungsfreiheit der Gemeinde angesichts der Zielvorstellungen des Verordnungsgebers, nämlich Abbau des Baulandüberhanges und Verhinderung weiterer Zersiedlung; keine Verletzung der Antragsteller im Gleichheitsrecht und im Eigentumsrecht durch die Freilandwidmung des in ihrem Eigentum stehenden Grundstücks

Rechtssatz

Anders als die Antragsteller meinen erfolgten sowohl die Auflegung des Entwurfes des dann beschlossenen Flächenwidmungsplanes, deren Kundmachung und die Verständigung der Nachbargemeinden von der Auflegung, als auch die Kundmachung des vom Gemeinderat beschlossenen und von der Tiroler Landesregierung genehmigten Flächenwidmungsplanes gemäß den Vorschriften des §26 und §27 Tir RaumOG 1972.

Zu Unrecht bemängeln die Antragsteller auch das Fehlen einer vor Erlassung des Flächenwidmungsplanes durchgeführten Grundlagenforschung. Die Marktgemeinde St. Johann i.T. hat unter Berücksichtigung der Ergebnisse von fünf mit der Entwicklung der gemeindlichen Zielvorstellung betrauten Arbeitskreisen sowie der Tätigkeit eines besonderen Planungsausschusses des Gemeinderates zur Koordination der Arbeitskreise eine besonders gründliche Erarbeitung der Planungsgrundlagen betrieben.

Trotz der Änderung der vorher (kraft Verbauungsplan) geltenden Baulandwidmung des Grundstücks der Antragsteller in eine (kraft Flächenwidmungsplan) geltende Freilandwidmung finden die Vorschriften des §28 Tir RaumOG 1972 über die Änderung eines Flächenwidmungsplanes keine Anwendung, weil die Freilandwidmung anläßlich der erstmaligen Erlassung des Flächenwidmungsplanes nach dem Tiroler Raumordnungsgesetz verordnet wurde.

Es ist dem Gesetzgeber nicht entgegenzutreten, wenn er einen besonderen Vertrauensschutz erst für die Widmungen des Flächenwidmungsplanes einräumt, die ein bestimmtes Gemeindegebiet oder zumindest einen größeren Teil davon in seiner Gesamtheit betreffen.

Zwar ist die bisherige Widmung eines Grundstücks bei dessen Bestandsaufnahme iSd §9 Abs1 Tir RaumOG 1972 zu

berücksichtigen; dies bedeutet aber nicht, daß die in der Folge im Flächenwidmungsplan auf Grund entsprechender, in sich konsistenter Zielvorstellungen für das gesamte Gemeindegebiet vorzunehmenden Widmungen diesen früheren Widmungen gleichsam automatisch und in jedem Fall entsprechen müssen.

Der Verfassungsgerichtshof kann angesichts der Zielvorstellungen des §8 Abs2 lita, litb und lite Tir RaumOG 1972 sowie der Ziele der örtlichen Raumordnung gemäß §27 Abs2 Tir RaumOG 1994 nicht finden, daß die Gemeinde im Zuge der von ihr vorgenommenen Interessenabwägung durch die Freilandwidmung des Grundstücks der Antragsteller im Flächenwidmungsplan die von ihr zu beachtende Grenze der planerischen Gestaltungsfreiheit verletzt hat. Die Liegenschaft befindet sich in ca. 5 km Entfernung vom Ortszentrum, in einem ganz überwiegend landwirtschaftlich genutzten Gebiet, ca. 1,8 km vom nächsten Bauland entfernt, sodaß es sich "um eine extreme Streulage weit außerhalb des geschlossenen Baulandes der Marktgemeinde St. Johann in Tirol" in einem Gemeindebereich handelt, der weder eine öffentliche Kanalisation noch eine öffentliche Wasserversorgungsanlage aufweist.

Es trifft nicht zu, daß die Marktgemeinde St. Johann i.T. bei der Freilandwidmung der betroffenen Liegenschaft das ihr gesetzlich eingeräumte und durch Art118 Abs3 Z9 B-VG verfassungsgesetzlich als Ausfluß der örtlichen Raumplanung vorbehaltene "Planungsermessen" nicht selbst geübt hätte.

Mögen auch Bedienstete der zuständigen Fachabteilung des Amtes der Tiroler Landesregierung beim Planungsprozeß, insbesondere bei der Verwirklichung des von der Gemeinde selbst angestrebten Zieles einer Reduzierung übermäßiger Baulandreserven, deren Erschließung für die Gemeinde mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden gewesen wäre, mitgewirkt haben, und mag auch darauf hingewiesen worden sein, "daß bei Nichtberücksichtigung bestimmter Aspekte eine Genehmigung des Flächenwidmungsplanes durch die Landesregierung nicht zu erwarten sei" (so VfSlg. 10278/1984), so schadet dies nichts.

Die durch den Flächenwidmungsplan der Marktgemeinde St. Johann i.T. bewirkte Freilandwidmung des Grundstücks der Antragsteller verletzt auch nicht die Rechte auf Gleichheit vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums.

Die sachliche Rechtfertigung der Freilandwidmung, die eine Gleichheitsverletzung ausschließt, ist in den zureichend akzentuierten Zielvorstellungen des Verordnungsgebers, also im Abbau des Baulandüberhanges, der Verhinderung der Zersiedelung und (weiterer) Siedlungssplitter in dem von der Gemeinde nicht aufgeschlossenen, abgesehen von drei Einfamilienhäusern ausschließlich landwirtschaftlich genutzten Gebiet zu sehen.

Die in dieser Widmung liegende Eigentumsbeschränkung ist verfassungsrechtlich unbedenklich, weil sie vom öffentlichen Interesse geboten ist. Die Überlegungen und Zielvorstellungen des Verordnungsgebers beweisen die Erforderlichkeit der Freilandwidmung zur Verhinderung einer weiteren Zersiedelung des landwirtschaftlich genutzten Gebietes. Darin liegt aber auch kein unverhältnismäßiger Eingriff in das Eigentum der Antragsteller, weil jeden Eigentümer unbeschadet der im Verbauungsplan zum Zeitpunkt seines Grundeigentumserwerbs ausgewiesenen Baulandwidmung des von ihm erworbenen Grundstücks das Risiko traf, daß die zu jenem Zeitpunkt erst beginnende gesamthafte Flächenwidmungsplanung der Marktgemeinde St. Johann i.T. auf Grund des Tir RaumOG 1972 zu einer davon abweichenden (nämlich Freiland-)Widmung führen konnte und ihm eine Entschädigung lediglich unter den Voraussetzungen des §30 Tir RaumOG 1972 bei Verhinderung der Bebauung auf Grund eines Flächenwidmungsplanes zusteht.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Raumordnung, Flächenwidmungsplan, Entschädigung, Planungsakte Verfahren (Flächenwidmungsplan), Geltungsbereich (sachlicher) eines Gesetzes, Vertrauensschutz, Gemeinderecht, Wirkungsbereich eigener, Raumplanung örtliche

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1995:V94.1993

Dokumentnummer

JFR_10049386_93V00094_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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