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L8 Boden- und VerkehrsrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmung des Tir RaumOG 1994 anläßlich der Prüfung eines vor Inkrafttreten des neuen Raumordnungsgesetzes erlassenen Flächenwidmungsplanes; Beurteilung der inhaltlichen Gesetzmäßigkeit von Verordnungen aufgrund der Rechtslage zum Zeitpunkt der Fällung des verfassungsgerichtlichen Erkenntnisses; Aufhebung der Verordnungsermächtigung zur Festlegung von Betriebsverboten für bestimmte Arten von Betrieben im Gewerbe- und Industriegebiet in Flächenwidmungsplänen im Tir RaumOG 1994 wegen Verstoßes gegen das Determinierungsgebot und gegen die Erwerbsausübungsfreiheit; keine Determinierung der zulässigen Betriebsverbote; keine Benennung der Bedingungen für ein Verbot eines Erwerbszweiges im öffentlichen Interesse; keine Beantwortung der Frage der kompetenzrechtlichen Zuordnung der in Prüfung gezogenen Regelung angesichts ihrer UnbestimmtheitRechtssatz
Die den Gegenstand des (Anlaß-)Verordnungsprüfungsverfahrens bildende Verordnungsbestimmung wurde unter Berufung auf §13 Abs2 des Tir RaumOG 1984, erlassen. Für die Beurteilung der inhaltlichen Gesetzmäßigkeit von Verordnungen, die mit Individualantrag gemäß Art139 Abs1 letzter Satz B-VG angefochten werden, ist aber nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes die Rechtslage zum Zeitpunkt der Fällung des verfassungsgerichtlichen Erkenntnisses maßgebend (so zB VfSlg. 9947/1984).
Mangels einer besonderen, in den Abs2 ff des §109 Tir RaumOG 1994 enthaltenen Regelung über die Überleitung der Widmungskategorie Gewerbe- und Industriegebiet ist die Z1 der litb der Ergänzung des Flächenwidmungsplans der Gemeinde Lans (nicht mehr anhand des §13 Abs2 Tir RaumOG 1984, sondern) an dem die neue gesetzliche Grundlage dieser Verordnungsbestimmung bildenden §39 Abs2 Tir RaumOG 1994 zu messen.
Der Verwendungszweck von Grundstücken, die früher erlassenen und kraft §108 Abs2 Tir RaumOG 1994 übergeleiteten Flächenwidmungsplänen unterliegen, bemißt sich nach Maßgabe des §37 ff des Tir RaumOG 1994.
Auch wenn zufolge grammatikalischer und historischer Interpretation §109 Abs1 Tir RaumOG 1994 dahin verstanden werden muß, daß dadurch übergeleiteten Flächenwidmungsplänen jener Inhalt zukommt, der der entsprechenden Umschreibung zulässiger Nutzungen im Tir RaumOG 1994 entspricht, wird dadurch nicht in verfassungswidriger Weise in die der Gemeinde kraft Art118 Abs3 Z9 B-VG garantierten, im eigenen Wirkungsbereich zu besorgenden Aufgabe der örtlichen Raumplanung eingegriffen.
Dem Gesetzgeber ist es überlassen, im Rahmen der verfassungsrechtlichen Schranken, insbesondere auch des Sachlichkeitsgebots, den Inhalt und die rechtlichen Folgen raumplanerischer Widmungen zu umschreiben. Diese Schranken sind im vorliegenden Fall nicht verletzt.
Die Wortfolge "oder b) bestimmte Arten von Betrieben nicht zulässig" in §39 Abs2 des Gesetzes vom 06.07.93 über die Raumordnung in Tirol (Tir RaumOG 1994), LGBl. für Tirol Nr. 81/1993, wird als verfassungswidrig aufgehoben.
§39 Abs2 litb Tir RaumOG 1994 widerspricht dem verfassungsrechtlichen Verbot einer lediglich formalgesetzlichen Delegation von Verordnungsbefugnissen gemäß Art18 Abs2 B-VG.
Will der Gesetzgeber den - im Bereich des Raumordnungsrechtes wohl nicht gangbaren - Weg einer Determinierung durch die von ihm selbst vorgenommene konkrete Widmung bestimmter Gebiete nicht beschreiten, so ist er auf eine finale Determinierung verwiesen, die einen umfassenden gesetzlichen Zielkatalog ebenso unabdingbar macht wie Anordnungen für die Erstellung von Entscheidungsgrundlagen, durch welche die Methode der Raumplanung selbst bindend vorgeschrieben wird (vgl. dazu VfGH 2.3.1995, G289/94 ua.).
Auch dann, wenn die vom Verordnungsgeber zu erlassenden Planungsnormen ihrem Wesen nach nur final, das heißt im Hinblick auf bestimmte zu erreichende Planungsziele, gesetzlich determiniert werden können, müssen die Widmungsarten selbst, also die durch den Raumplan festzulegenden Raumfunktionen, vom Gesetzgeber im vorhinein festgelegt werden.
Der der Planungsbehörde gesetzlich eingeräumte Entscheidungsspielraum besteht lediglich hinsichtlich der Frage, welchen vom Gesetz vorgesehenen Raumordnungszielen die Behörde bei der konkreten Planung Vorrang einräumt und mit welchen der gesetzlich vorgesehenen Widmungskategorien sie die von ihr gewählten Ziele verwirklicht.
Der Gesetzgeber hat es dem Belieben der Planungsbehörde überlassen, abweichend von den im Abs1 des §39 des Tir RaumOG 1994 gesetzlich bestimmten Verwendungszwecken der als "Gewerbe- und Industriegebiet" gewidmeten Liegenschaften festzulegen, daß nur bestimmte Arten von Betrieben zulässig oder bestimmte Arten von Betrieben nicht zulässig sind. Er hat es damit dem gesetzlich nicht näher determinierten Belieben der Planungsbehörde überlassen, konkrete Betriebsarten anzuführen, die abweichend vom Gesetz im Gewerbe- und Industriegebiet zulässig bzw. nicht zulässig sind.
§39 Abs2 Tir RaumOG 1994 verletzt auch die verfassungsgesetzlich gewährleistete Freiheit der Erwerbsbetätigung gemäß Art6 StGG.
Es bedeutet keinen Eingriff in die Freiheit der Erwerbsbetätigung gemäß Art6 StGG, wenn durch raumplanerische Flächenwidmungen eine bestimmte Erwerbsbetätigung an einem bestimmten Ort faktisch verhindert wird.
Sieht hingegen ein Gesetz eine Maßnahme - wie etwa §39 Abs2 litb Tir RaumOG 1994 die Festlegung der Unzulässigkeit "bestimmte(r) Arten von Betrieben" im Gewerbe- und Industriegebiet (und damit überhaupt in der betreffenden Gemeinde, wie etwa im Anlaßfall) oder in Teilen davon - vor, so will damit der Gesetzgeber jedenfalls die Neuerrichtung der für "nicht zulässig" erklärten Arten von Betrieben und gleichzeitig auch die mit dem Betrieb zwangsläufig verbundene Erwerbstätigkeit verhindern. Im Ergebnis wird dadurch ein System der Zulassung von Wirtschaftsbetrieben eingerichtet. Die in Prüfung gezogene Regelung greift daher in den Schutzbereich des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Freiheit der Erwerbsbetätigung gemäß Art6 StGG ein.
Die verfassungsrechtlich gemäß Art6 StGG gebotene Adäquanz eines wie etwa im Anlaßfall für ein ganzes Gemeindegebiet geltenden Verbots bestimmter Betriebsarten ist nur dann hinreichend zu beurteilen, wenn entsprechende, im Einzelfall schwerer als die Freiheit der Erwerbsbetätigung wiegende Voraussetzungen eines derartigen flächenbezogenen Betriebsverbotes vom Gesetzgeber genannt sind. Die gesetzliche Regelung des §39 Abs2 Tir RaumOG 1994 läßt derartige Voraussetzungen nicht erkennen.
Angesichts der Unbestimmtheit der Regelung des §39 Abs2 Tir RaumOG 1994 konnte die im Prüfungsbeschluß aufgeworfene Frage nach ihrer kompetenzrechtlichen Zuordnung nicht beantwortet werden.
(siehe auch E v 22.06.95, V42/93 - Aufhebung eines Teils der Ergänzung des Berichts zum Flächenwidmungsplan Lans, anläßlich dessen Prüfung das gegenständliche Gesetzesprüfungsverfahren eingeleitet wurde).
Schlagworte
VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsmaßstab, Raumordnung, Übergangsbestimmung, Wirkungsbereich eigener, Raumplanung örtliche, Flächenwidmungsplan, Planungsakte (Flächenwidmungsplan), Erwerbsausübungsfreiheit, Kompetenz Bund - Länder, Determinierungsgebot, Delegation formalgesetzlicheEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1995:G297.1994Dokumentnummer
JFR_10049378_94G00297_01