RS Vfgh 1995/6/29 B2534/94, B2535/94, B2536/94, B2537/94, B2538/94, B2539/94, B2608/94, B2627/94, B2

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Veröffentlicht am 29.06.1995
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht

Norm

B-VG Art18 Abs1
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art130 ff
B-VG Art144 Abs1 / Allg
PersFrSchG 1988 Art6 Abs1
FremdenG §51 Abs1
FremdenG §52

Leitsatz

Verletzung in den Rechten auf persönliche Freiheit und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch die Zurückweisung von Schubhaftbeschwerden aufgrund der Entlassung der Beschwerdeführer aus der Schubhaft; Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes zur Prüfung solcher Beschwerden auch nach Entlassung des Schubhäftlings; keine Annahme einer Zuständigkeitsverschiebung zu den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts aus Gründen des Rechtsschutzes

Rechtssatz

Der unabhängige Verwaltungssenat ist nach dem FremdenG ua zur Prüfung der behaupteten Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme und Anhaltung in Schubhaft auch dann zuständig, wenn die Beschwerdeerhebung gemäß §51 FremdenG erst nach Entlassung des Schubhäftlings aus der Schubhaft erfolgte (siehe Vorjudikatur).

Die von der belangten Behörde vertretene Auffassung, wonach eine Beschwerde iS des §51 FremdenG an den unabhängigen Verwaltungssenat nur ein Haftprüfungsverfahren auslöse, steht nicht nur mit dem Wortlaut dieser Bestimmung in Widerspruch. Sie steht auch mit dem Sinn des behauptetermaßen allein gewährten bloßen Haftprüfungsverfahrens ("Habeas corpus") in Widerspruch: Danach wäre nämlich nicht maßgeblich, ob sich der Fremde zum Zeitpunkt der Einbringung einer auf §51 FremdenG gestützten Beschwerde noch in Schubhaft befindet, sondern der Zeitpunkt der Entscheidung durch den unabhängigen Verwaltungssenat. Einer solchen Annahme stehen aber sowohl der Wortlaut und Sinn des Art6 Abs1, letzter Satz, PersFrSchG 1988, der das Vorliegen eines bloßen Haftprüfungsverfahrens ausschließt, als auch der Wortlaut des §52 Abs2 Z2 FremdenG entgegen.

Das in §51 Abs1 FremdenG vorgesehene Rechtsmittel wendet sich auch gegen den Schubhaftbescheid, nicht nur gegen die Festnahme und Anhaltung in Schubhaft.

Eine solche Zuständigkeitsverschiebung (Wiedereröffnung eines Rechtszuges an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) erschiene verfassungswidrig, weil einerseits Art83 Abs2 iVm Art18 B-VG den Gesetzgeber dazu verhält, klare und eindeutige Zuständigkeitsregelungen zu treffen (VfSlg 9937/1984, 10311/1984, 11287/1987, VfGH 16.6.1994, B1774/93), bei einer solchen Auslegung des Gesetzes aber die Zuständigkeit von Umständen abhinge - nämlich dem Zeitpunkt der Entlassung aus der Schubhaft -, die vom Rechtsunterworfenen nicht vorhersehbar sind und eine willkürliche Änderung der Zuständigkeit ermöglichten (VfSlg 13029/1992, 13042/1992).

Andererseits könnte sich bei einer solchen Auslegung des §51 Abs1 FremdenG eine - mit dem Rechtsschutzsystem der Art130 ff und des Art144 B-VG unvereinbare - Rechtsschutzlücke ergeben.

In allen jenen Fällen, in denen ein Fremder vor, aber auch nach Ablauf der sechswöchigen (Beschwerde-)Frist ab Erlassung des Schubhaftbescheides aus der Schubhaft entlassen wird, ohne daß er bis dahin eine Schubhaftbeschwerde erhoben hat, würde die Annahme einer Zuständigkeitsverschiebung dazu führen, daß der Schubhaftbescheid weder vor dem unabhängigen Verwaltungssenat noch vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts anfechtbar wäre. Dies aber stünde mit dem Rechtsschutzsystem der österreichischen Bundesverfassung in Widerspruch.

Dem FremdenG ist nicht zu entnehmen, daß die einzelnen Beschwerdepunkte im Hinblick auf den Zeitpunkt der Einbringung der Schubhaftbeschwerde differenziert zu behandeln wären.

(ebenso: E v 25.09.95, B445/95 ua, E v 08.06.98, B218/98).

Entscheidungstexte

Schlagworte

Fremdenrecht, Fremdenpolizei, Schubhaft, Rechtsschutz, Behördenzuständigkeit, Unabhängiger Verwaltungssenat

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1995:B2534.1994

Dokumentnummer

JFR_10049371_94B02534_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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