RS Vfgh 1995/9/25 B1695/94

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Veröffentlicht am 25.09.1995
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Index

95 Technik
95/06 Ziviltechniker

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
EMRK Art10
Standesregeln der Ziviltechniker Pkt 4.1., Pkt 4.2.
IngenieurkammerG §48 Abs1 Z1 und Z2

Leitsatz

Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit und des Gleichheitsrechts durch Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Ziviltechniker wegen unkollegialen Verhaltens und herabsetzender Kritik gegenüber einem Kollegen; keine Überschreitung des Rahmens einer zulässigen Meinungsäußerung; kein ausreichendes Ermittlungsverfahren

Rechtssatz

Soweit die gesetzlichen Regelungen des Disziplinarrechts für Ziviltechniker derartige, nach Form oder/und Inhalt bedenkliche, weil Berufskollegen unsachlich beeinträchtigende Äußerungen hintanzuhalten geeignet sind, besteht danach (sogar) ein "dringendes soziales Bedürfnis" iSd Art10 Abs2 EMRK (vgl VfSlg 10700/1985, 11996/1989, VfGH 02.03.94, B2045/1992).

Weder der Grundsatz der Kollegialität, geschweige denn die Achtung "der Ehre und Würde des Standes" können einen Ziviltechniker oder einen Angehörigen eines anderen freien Berufes vor einer sachlichen, in der gebotenen Form geäußerten Kritik durch einen anderen Standesangehörigen schützen. Sosehr es angesichts der Aufgaben und angesichts des besonderen Vertrauens, das Ziviltechniker in der Öffentlichkeit genießen, berechtigt ist, "eine unsachliche oder herabsetzende Kritik an anderen Ziviltechnikern und deren Leistungen" für "unzulässig" zu erklären und disziplinarstrafrechtlich zu ahnden, wie dies durch Punkt 4.2 der Standesregeln in Verbindung mit dem Disziplinarrecht geschehen ist, sowenig dürfen "die Grundsätze der Kollegialität" nach Punkt 4.1 der Standesregeln dahin verstanden werden, daß dadurch die sachliche, in der gebotenen Form vorgetragene Kritik eines Ziviltechnikers an der Tätigkeit eines Fachkollegen verhindert würde (siehe VfSlg 11996/1989).

Die Erklärung des Beschwerdeführers, wonach eine Grenzverhandlung nur vom Ziviltechniker selbst durchgeführt werden dürfe und es den Mitarbeitern von Ingenieurkonsulenten für Vermessungswesen nicht erlaubt sei, Privatgrund zu betreten, überschreitet offenkundig nicht den Rahmen einer zulässigen Meinungsäußerung; die ihr zugrundeliegende Rechtsansicht des Beschwerdeführers mag zutreffend sein oder nicht, im Lichte des zu Art10 EMRK vorstehend Ausgeführten kann sie für sich alleine eine disziplinäre Verantwortlichkeit des Beschwerdeführers jedenfalls nicht auslösen.

Es bleibt offen, ob die vom Beschwerdeführer in einem Telefongespräch mit seinem Kollegen verwendete Formulierung, er nehme nur jene Termine wahr, die am meisten Geld einbringen, als disziplinäre Verfehlung zu werten ist. Gerade insofern hat die belangte Behörde aber jegliches Beweisverfahren darüber, ob diese Wortfolge als Behauptung ausgesprochen oder als pointierte Frage gestellt wurde sowie überhaupt über die näheren Umstände und Zusammenhänge, die zu dieser im angefochtenen Bescheid disziplinär geahndeten Wortfolge führten, unterlassen. Demnach unterblieb gerade in der entscheidungsrelevanten Frage nach den genauen Umständen der inkriminierten Äußerung jegliche Ermittlungstätigkeit.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Ziviltechniker, Disziplinarrecht Ziviltechniker, Meinungsäußerungsfreiheit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1995:B1695.1994

Dokumentnummer

JFR_10049075_94B01695_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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