RS Vfgh 1995/9/27 G1256/95, G1257/95, G1258/95, G1259/95, G1260/95, G1261/95, G1262/95, G1263/95, G1

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Veröffentlicht am 27.09.1995
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91 Post-und Fernmeldewesen
91/01 Fernmeldewesen

Norm

B-VG Art18 Abs1
B-VG Art140 Abs3
B-VG Art140 Abs5 / Fristsetzung
EMRK Art10
RundfunkG
BVG-Rundfunk ArtI Abs2
RundfunkV §20 Abs1
RundfunkV §24a, §24b

Leitsatz

Aufhebung des Verbots des aktiven Kabelrundfunks durch andere Betreiber als den ORF wegen unverhältnismäßigen Eingriffs in die Rundfunkfreiheit

Rechtssatz

Die Worte "Die empfangenen" und "nur zeitgleich sowie dem Inhalt nach vollständig und unverändert" im zweiten Satz des §20 Abs1, §24a und die Worte "im Kabeltext" in §24b Abs2 der - gemäß ArtI Abs1 Z7 des Bundesgesetzes BGBl 267/1972 als Bundesgesetz geltenden - RundfunkV, BGBl 333/1965 idF BGBl 345/1977 und BGBl 507/1993 werden als verfassungswidrig aufgehoben.

Art10 Abs1 EMRK garantiert als Bestandteil des Rechtes auf freie Meinungsäußerung auch die Freiheit zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen mit Hilfe von Rundfunk- einschließlich Fernsehrundfunkanlagen (individuelle Rundfunkfreiheit), doch schließt diese Gewährleistung es nicht aus, daß die Staaten Rundfunkunternehmungen einem Genehmigungsverfahren unterwerfen. Freilich müssen nach der Rechtsprechung des EGMR (siehe insbesondere seine Entscheidung Informationsverein Lentia ua gegen Österreich vom 24.11.93, Serie A, Nr. 276 (vgl auch Medien und Recht 1993, 239 ff und ÖJZ 1994, 32 ff)) die Ausgestaltung des Genehmigungsverfahrens und die Versagungsgründe einer Verhältnismäßigkeitsprüfung standhalten.

Der Verfassungsgerichtshof hat in VfSlg 9909/1983 den Standpunkt eingenommen, daß die Regelung des ArtI des BVG-Rundfunk bewirkt, daß ein solches Gesetz nicht Schranke, sondern Bedingung der Zulässigkeit der Veranstaltung von Rundfunk ist, daß also Rundfunk nur aufgrund einer bundesgesetzlichen Ermächtigung betrieben werden darf.

Für diese Ansicht sprechen nicht nur die im Vorjudikat genannten Umstände und Belegstellen aus der Literatur, sondern auch der subjektive Wille des Verfassungsgesetzgebers, der das Rundfunkgesetz als eines der zur Realisierung seiner Gewährleistungspflicht notwendigen Ausführungsgesetze angesehen hat.

Die Bestimmung des ArtI Abs2 BVG-Rundfunk in der Bedeutung, die ihm schon VfSlg 9909/1983 gegeben hat, steht daher in keinem Widerspruch zur konventionsrechtlichen Garantie der Rundfunkfreiheit. In ein Spannungsverhältnis zu dieser gelangt allenfalls erst die Untätigkeit des Gesetzgebers, doch verbietet es sich, den Gehalt der maßgeblichen rundfunkverfassungsrechtlichen Bestimmungen im Hinblick darauf in einen bloßen Eingriffsvorbehalt "umzudeuten". Auch zwingt das rechtsstaatliche Prinzip dazu nicht, da ein Untätigbleiben des Gesetzgebers keineswegs die verfassungsgerichtliche Kontrolle gänzlich ausschaltet.

(Siehe hiezu auch E v 05.03.96, B2674/94).

Die in Prüfung genommene Bestimmung ordnet rechtlich verbindlich an, daß den zur Verbreitung von Kabelrundfunk Berechtigten die Veranstaltung von aktivem Kabelrundfunk jeder Art untersagt ist, wovon eben nur die Erlaubnis zur Kabeltextveranstaltung eine Ausnahme darstellt.

Dies ergibt sich aus dem zweiten Satz des §20 Abs1 RundfunkV in Verbindung mit deren Abschnitt VIa. Im Gesamtkontext dieser Bestimmungen kann deren normative Bedeutung nicht zweifelhaft sein.

Es ist daher normative Folge des §20 Abs1 zweiter Satz und der §24a bis §24c RundfunkV, daß die Inhaber von Bewilligungen für Gemeinschaftsantennenanlagen auf den Betrieb von passivem Kabelrundfunk und Kabeltextveranstaltungen beschränkt sind und ihnen die Verbreitung darüber hinausgehenden Kabelrundfunks derzeit nicht gestattet ist.

Es stellt einen unverhältnismäßigen Eingriff in die durch Art10 Abs1 EMRK gewährleistete Rundfunkfreiheit dar, daß den Betreibern von Gemeinschaftsantennenanlagen, die dazu fernmelderechtlich befugt sind, bloß die Verbreitung von Kabeltext, nicht aber die Verbreitung darüber hinausgehender gestalteter Kabelrundfunkveranstaltungen (aktiver Kabelrundfunk) gestattet ist.

In der besonderen Konstellation des Rundfunkverfassungsrechts ist es der einzig mögliche Weg, die festgestellte Verfassungswidrigkeit, die in der Beschränkung der Zulässigkeit der Veranstaltung von Kabelrundfunk auf die Veranstaltung passiven Kabelrundfunks und von Kabeltextdarbietungen besteht, zu beseitigen, eben jene Bestimmungen aus dem Rechtsbestand auszuscheiden, die diese Beschränkung bewirken:

also die in Prüfung genommenen Worte in §20 Abs1 RundfunkV und deren §24a. Da nach Aufhebung dieser Bestimmungen aktiver Kabelrundfunk umfassend - also auch über Kabeltextveranstaltungen hinausgehend - zulässig wird, war es notwendig, in §24b RundfunkV jene Worte mit aufzuheben, die dessen Anwendung auf Kabeltextveranstaltungen beschränken.

Die Setzung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Bestimmungen hielt der Verfassungsgerichtshof für erforderlich, um dem Gesetzgeber die Möglichkeit zu geben, das Recht der Veranstaltung von aktivem Kabelrundfunk im Rahmen der in ArtI Abs2 BVG-Rundfunk festgelegten Vorgaben nach seinen rechtspolitischen Vorstellungen zu gestalten. Die Frist war aber angesichts der Konventionswidrigkeit des derzeitigen Zustandes kürzer zu bemessen, was möglich war, da die Konventionswidrigkeit dem Gesetzgeber schon seit der Entscheidung des EGMR vom 24.11.93 (Informationsverein Lentia) bekannt ist.

Zum Regionalradio siehe unter 16/02 Rundfunk.

(Anlaßfälle B 2025/94 ua, E v 01.12.95, Aufhebung der angefochtenen Bescheide).

Entscheidungstexte

  • G 1256-1264/95
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 27.09.1995 G 1256-1264/95

Schlagworte

Rundfunk, Meinungsäußerungsfreiheit, Rechtsstaatsprinzip, Rundfunkfreiheit, Kabelrundfunk, Grundrechte, Gesetzesvorbehalt, Fernmelderecht, VfGH / Verwerfungsumfang, VfGH / Fristsetzung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1995:G1256.1995

Dokumentnummer

JFR_10049073_95G01256_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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