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16 MedienrechtNorm
B-VG Art18 Abs1Leitsatz
Aufhebung von Teilen des Regionalradiogesetzes und des Frequenznutzungsplanes wegen Verstoß gegen das Legalitätsprinzip; keine ausreichende Determinierung der Weise und Intensität der Berücksichtigung der Aufgaben und Interessen des ORF bei der Frequenznutzungsplanung; keine ausreichende Determinierung der Berücksichtigung der Erfordernisse des lokalen Rundfunks und der Zuordnung von Standorten und Frequenzen an regionale Programmveranstalter in den BundesländernRechtssatz
Die Abs1 bis Abs3 und Abs5 des §2 des Bundesgesetzes, mit dem Regelungen über regionalen und lokalen Hörfunk erlassen werden (RegionalradioG), BGBl. Nr. 506/1993, werden als verfassungswidrig aufgehoben.
Die Verordnung des Bundesministers für öffentliche Wirtschaft und Verkehr betreffend die Zuordnung von Frequenzen zur Veranstaltung von Rundfunk (Frequenznutzungsplan), BGBl. Nr. 957/1993, wird als gesetzwidrig aufgehoben.
Mit der Annahme, auch eine über das Mindestprogrammangebot hinausgehende Aufgabenwahrnehmung durch den ORF sei eine Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben des ORF und dürfte durch die Frequenznutzungsplanung nicht beeinträchtigt werden, unterstellt die Bundesregierung der Bestimmung des §2 RegionalradioG einen verfassungswidrigen Inhalt: Sollte die Ansicht der Bundesregierung zutreffen, hätte es der ORF in der Hand, durch die Planung und Ausstrahlung weiterer Hörfunkprogramme eine beliebige Reduktion der den privaten Programmveranstaltern zur Verfügung stehenden Frequenzen zu bewirken, eine Konsequenz, die zeigt, daß die Norm - so verstanden - weder vor den Anforderungen des Art10 EMRK noch vor denen des Art18 B-VG Bestand haben könnte.
Aus dem Gesetz sind weder die Kriterien für die geforderte Abwägungsentscheidung noch Vorgaben für ein bestimmtes Verfahren erkennbar, in dem die Abwägungsentscheidung (etwa in der Art verfahrensmäßiger Legitimation von Flächenwidmungsplanungen durch den jeweils zuständigen Verordnungsgeber) transparent und nachvollziehbar zu treffen ist. Der Verfassungsgerichtshof stimmt Berka (Die Zulassung von Privatradios in Österreich, ZfV 1995, 437 ff) zu, daß der Gesetzgeber des RegionalradioG eine klare Entscheidung zugunsten eines dualen Hörfunksystems getroffen hat (aaO, 444); er hat aber die rundfunkpolitisch in einem solchen System zentrale Frage, in welchem Verhältnis die Zuteilung der Frequenzen zu den beiden Säulen eines solchen Systems stehen soll, weder geregelt noch ausreichend vorherbestimmt. Daran vermag auch der wiederholte Hinweis auf die Komplexität und die Dynamik der geforderten Planungsentscheidung nichts zu ändern.
Das Gesetz enthält keine ausreichenden Kriterien für die Frequenzaufteilung zwischen den privaten Programmveranstaltern auf regionaler und lokaler Ebene.
Dem Gesetz liegt eine Abgrenzung zwischen lokalen und regionalen Programmveranstaltungen dergestalt zugrunde, daß die Frequenznutzungsplanung nur für regionale Programmveranstaltungen eine möglichst großflächige Versorgung innerhalb eines Bundeslandes zu gewährleisten hat, während die Frequenznutzungsplanung für lokale Programmveranstaltungen je nach den gegebenen Erfordernissen die Verbreitung in einem größeren oder kleinerem, bloß in einem örtlich begrenzten, Verbreitungsgebiet zu ermöglichen hat.
Dem Verordnungsgeber sind für die Zuordnung von Frequenzen zu den beiden zentralen Formen privaten Hörfunks überhaupt keine Anhaltspunkte vorgegeben, an denen er sich orientieren kann: Weder sind bestimmte Zuteilungskriterien genannt noch werden Ziele angegeben, die mit der Zuteilung erreicht werden sollen, noch ist ein bestimmes Verfahren vorgesehen, in dem etwa die Bedürfnisse des lokalen Hörfunks vor der Erlassung des Frequenznutzungsplans für regionale Programmveranstalter zu erheben sind.
Aus dem Gesetz ergibt sich nicht, ob die Zuteilung von Frequenzen und Standorten für regionale Programmveranstalter in den einzelnen Bundesländern die Verbreitung bloß eines oder mehrerer (allenfalls wievieler) regionaler Hörfunkprogramme ermöglichen soll.
Auch in dieser Hinsicht sollte das Gesetz möglicherweise offen bleiben und der Planungsentscheidung nur einen Rahmen vorgeben. Dieser Zielsetzung ist verfassungsrechtlich unter dem Gesichtspunkt des Legalitätsprinzips dann nicht zu widersprechen, wenn sich aus dem Gesetz bestimmte Kriterien für die Planungsentscheidung ergeben.
Das Bedenken des Verfassungsgerichtshofes hat sich bestätigt, daß die in Prüfung genommene gesetzliche Regelung das Verhalten des Verordnungsgebers bei Erlassung des Frequenznutzungsplans nicht ausreichend determiniert, da das Gesetz zum einen offen läßt, in welcher Weise und Intensität bei der Frequenznutzungsplanung die Aufgaben und Interessen des ORF zu berücksichtigen sind, wie also das Verhältnis der beiden Säulen jedes dualen Rundfunksystems gestaltet wird; zum anderen können dem Gesetz keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Art und Weise entnommen werden, in der der Frequenznutzungsplan für den regionalen Hörfunk die Erfordernisse des lokalen Rundfunks zu berücksichtigen hat, und auch nicht dafür, für wieviele regionale Programmveranstalter pro Bundesland Standorte und Frequenzen vorzusehen sind oder zumindest nach welchen Kriterien und Verfahren eine solche Zuordnung zu erfolgen hat.
Die in Prüfung genommenen Absätze des §2 RegionalradioG waren daher wegen Verstoßes gegen das den Gesetzgeber bindende Legalitätsprinzip aufzuheben.
Durch die Aufhebung der Abs1 bis Abs3 und Abs5 des §2 RegionalradioG verliert der Frequenznutzungsplan seine gesetzliche Grundlage und ist als gesetzlos aufzuheben.
Von einer Fristsetzung war abzusehen, da die verfassungsrechtliche Unanfechtbarkeit der gesetzlichen Vorschrift es dem Verordnungsgeber ermöglichen würde, aufs neue eine Verordnung zu erlassen, ohne in den zentralen rundfunkpolitischen Grundfragen durch gesetzliche Vorgaben determiniert zu sein. Eine Aufschiebung der Wirksamkeit der Aufhebung der Verordnung (die auch gar nicht beantragt wurde) kam nicht in Frage, weil bei einer solchen Verfügung die Regionalradiobehörde gemäß §18 RegionalradioG verpflichtet wäre, aufgrund des gesetzlosen, aber vorübergehend unangreifbaren Frequenznutzungsplans ein neuerliches Verfahren zur Vergabe von Sendelizenzen in Gang zu setzen.
Nach Aufhebung des Gesetzes besteht nunmehr keine Möglichkeit der Erteilung von Sendelizenzen oder auch des lizenzlosen Betriebes von Privatradio (vgl. VfGH 27.9.1995, G 1256-1264/95), ein Zustand, der konventionswidrig ist (vgl. die Entscheidung des EGMR im Verfahren Informationsverein Lentia ua. gegen Österreich vom 24.11.1993, Serie A, Nr. 276; Medien und Recht 1993, 239 ff. sowie die eben zitierte Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes). Der Gesetzgeber wird diesen Zustand - angesichts der Möglichkeit von Bewerbern um Regionalradiolizenzen, deren Versagung mit Erfolgsaussicht bei den Organen der EMRK zu bekämpfen, umgehend - durch Erlassung eines den verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechenden Gesetzes zu beenden haben.
Zum Kabelrundfunk siehe auch unter 91/01 Fernmeldewesen.
(Anlaßfälle B673/95 ua, B674/95 ua, B679/95 ua, B690/95 ua, B701/95 ua, B706/95 ua, B708/95 ua, B711/95 ua, alle E v 28.09.95, sowie B751/95, E v 11.10.95, Aufhebung der angefochtenen Bescheide).
Entscheidungstexte
Schlagworte
Meinungsäußerungsfreiheit, Rundfunk, Regionalradio, Determinierungsgebot, VfGH / Fristsetzung, VfGH / Aufhebung Wirkung, Legalitätsprinzip, Rundfunkfreiheit, FrequenznutzungsplanEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1995:G1219.1995Dokumentnummer
JFR_10049073_95G01219_01