RS Vfgh 1995/9/28 G18/95

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Veröffentlicht am 28.09.1995
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Index

83 Natur- und Umweltschutz
83/01 Natur- und Umweltschutz

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
EMRK 1. ZP Art1
SonderabfallG §4
AbfallwirtschaftsG §18 Abs2
AbfallwirtschaftsG §18 Abs3
AbfallwirtschaftsG §32

Leitsatz

Keine Verfassungswidrigkeit der Verpflichtung des Liegenschaftseigentümers zur Beseitigung auch vor Inkrafttreten des AbfallwirtschaftsG auf seinem Grundstück zurückgelassener Sonderabfälle; kein unsachliches Aufrechtbleiben dieser Verpflichtung auch im Falle der Veräußerung des Grundstücks bei Kenntnis des Rechtsnachfolgers von der Abfallablagerung; keine unsachliche Regelung der Haftung des Liegenschaftseigentümers; keine Verletzung des Eigentumsrechts; Zumutbarkeit einer Entsorgungspflicht für Sonderabfälle

Rechtssatz

Keine Verfassungswidrigkeit des §18 Abs3 AbfallwirtschaftsG.

Der Verfassungsgerichtshof hält es nicht für gleichheitswidrig, wenn der Gesetzgeber die Verpflichtung des Liegenschaftseigentümers, für die schadlose Beseitigung der auf seinem Grundstück zurückgelassenen Sonderabfälle zu sorgen, auch bei einer, nicht zuletzt auf eine Änderung der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung (BGBl. 685/1988) zurückgehenden Neuregelung des Abfallwirtschaftsrechts in vollem Umfang aufrechterhält.

Die Entsorgungspflicht des Liegenschaftseigentümers nach §18 Abs3 AbfallwirtschaftsG hat ebenso wie die Entsorgungspflicht nach §18 Abs2 AbfallwirtschaftsG die Rechtswidrigkeit der Abfallablagerung zur Voraussetzung. Das Zurücklassen von Sonderabfall wurde und wird vom Gesetzgeber stets als rechtswidriges Verhalten verstanden.

Die Sammlung und Lagerung von Abfall auf einem Grundstück ist dessen Eigentümer ferner auch dann zurechenbar, wenn er sie nicht selbst vorgenommen, sondern dies einem anderen gestattet hat. Unsachlich ist es aber auch nicht, wenn die Entsorgungspflicht des Eigentümers im Falle der Veräußerung des Grundstücks aufrecht bleibt, wenn der Rechtsnachfolger die Abfallablagerung oder -sammlung kannte oder kennen mußte (vgl. auch VwGH 26.2.1990, Z88/12/0043).

Dem Gesetzgeber kann kein unsachliches Vorgehen zum Vorwurf gemacht werden, wenn er auf den Zeitpunkt der widerrechtlichen Zurücklassung von Sonderabfällen abstellt und eine vordem geltende Entsorgungspflicht des Liegenschaftseigentümers für früher zurückgelassene Abfälle auch dann aufrechterhält, wenn er für später zurückgelassene Abfälle nur eine subsidiäre Verpflichtung des Eigentümers einführt.

Der Liegenschaftseigentümer, der während der Geltung des Sonderabfallgesetzes die Zustimmung zur Ablagerung von Sonderabfall auf seinem Grundstück (im Regelfall wohl gegen eine entsprechende wirtschaftliche Gegenleistung des Abfallbesitzers) erteilte, rechnete damit oder mußte zumindest damit rechnen, daß ihn die primäre Entsorgungspflicht gemäß §4 Abs2 SonderabfallG traf, die durch §18 Abs3 AbfallwirtschaftsG für die während der Geltung des Sonderabfallgesetzes zurückgelassenen Abfälle perpetuiert wurde.

Keine unmittelbare Übertragbarkeit der Judikatur zur Haftung bei öffentlich-rechtlichen Abgaben- und Beitragsschulden auf sonstige öffentlich-rechtliche Verhaltenspflichten.

Macht der Eigentümer von seiner ihm kraft Eigentumsrecht zukommenden Dispositionsbefugnis dahin Gebrauch, daß er selbst der Lagerung oder Sammlung des Sonderabfalles - womöglich gegen Verheißungen eines wirtschaftlichen Vorteils - zustimmt und derart sein Eigentum "nutzt" (vgl. §18 Abs3 AbfallwirtschaftsG), so ist von vornherein nichts dagegen einzuwenden, daß ihm der Gesetzgeber auch eine dementsprechende Entsorgungspflicht für zurückgelassene Sonderabfälle auferlegt.

Daß auch der Rechtsnachfolger - mag auch der Liegenschaftserwerb im Erbweg erfolgen - von der Verpflichtung nach §18 Abs3 AbfallwirtschaftsG betroffen ist, schadet dieser Bestimmung unter dem Blickwinkel des Gleichheitssatzes schon deswegen nicht, weil der Rechtsnachfolger stets alle mit dem Eigentum an einer Sache verbundenen Pflichten zu übernehmen hat, und er schon aus diesem Grunde die Möglichkeit hat, auf den Erwerb des Eigentums zu verzichten, wenn die damit verbundenen Lasten seiner Meinung nach den aus dem Eigentum zu ziehenden Nutzen übersteigen.

Es ist sohin davon auszugehen, daß auch für den Rechtsnachfolger im Liegenschaftseigentum die Belastung mit der Entsorgungspflicht nach §18 Abs3 AbfallwirtschaftsG im Rahmen seiner Einflußsphäre lag und daß der Umfang der Verpflichtung und daher - im Sinne der zum Abgabenrecht ergangenen Judikatur - die Möglichkeit, die Haftungsfolgen zu überblicken, in hinreichendem Umfang gegeben ist.

§18 Abs3 AbfallwirtschaftsG widerspricht auch nicht Art1 des

1. ZP EMRK.

Daß der Eigentumsschutz des Liegenschaftseigentümers, wie er durch Art1 erster Satz des 1. ZP EMRK gewährleistet wird, durch die gesetzliche Statuierung einer Entsorgungspflicht für Sonderabfälle keinesfalls unzumutbar beeinträchtigt wird (- vgl. zur verfassungsrechtlichen Notwendigkeit der wirtschaftlichen Zumutbarkeit den Eigentümer treffender Verhaltenspflichten VfSlg. 13587/1993 -), ergibt sich nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes bereits daraus, daß der Grundeigentümer der Nutzung seiner Liegenschaft durch Sammlung oder Lagerung von Sonderabfällen zugestimmt haben muß, soll die Entsorgungspflicht für zurückgelassenen Abfall greifen, bzw. daß der in Pflicht genommene Eigentümer als Rechtsnachfolger die Möglichkeit besaß, auf die Rechtsnachfolge in das Eigentum zu verzichten und dadurch der damit verbundenen Entsorgungspflicht zu entgehen.

Angesichts des, dem Staat durch den zweiten Absatz des Art1 des

1. ZP EMRK eingeräumten Gestaltungsspielraums ist es belanglos, daß dem öffentlichen Interesse an der Entsorgung von Sonderabfällen möglicherweise auch auf andere Weise, nämlich durch entsprechende Verpflichtungen des ursprünglichen Abfallbesitzers, Rechnung getragen werden könnte.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Abfallwirtschaft, Übergangsbestimmung, Haftung, Sonderabfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1995:G18.1995

Dokumentnummer

JFR_10049072_95G00018_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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