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16 MedienrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Zulässigkeit der Individualanträge auf Aufhebung des Schutzes der Unschuldsvermutung im Medienrecht; Abweisung der Anträge; keine Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit durch das durch Ersatzansprüche der Betroffenen sanktionierte Verbot der medialen Vorverurteilung; Notwendigkeit zum Schutz der Rechtsprechung und Verhältnismäßigkeit im Sinne der Vorbehalte des Art10 Abs2 EMRK gegeben; keine Gleichheitsverletzung im Hinblick auf Regelungen über Kostenersatz für Verteidiger und Haftentschädigungen bei Freispruch; keine Verletzung des Eigentumsrechts; zivilrechtlicher Entschädigungsanspruch angemessenes Mittel zur Erreichung des angestrebten Zieles der Reinheit der RechtspflegeRechtssatz
Zulässigkeit der Individualanträge auf Aufhebung des §7b MedienG betreffs den Schutz der Unschuldsvermutung.
§7b MedienG normiert ein unter der Sanktion der Verpflichtung zur Leistung einer Geldentschädigung für erlittene Kränkung stehendes Verbot, in einem Medium eine Person, die einer gerichtlich strafbaren Handlung verdächtig, aber nicht rechtskräftig verurteilt ist, als überführt oder schuldig hinzustellen oder als Täter dieser strafbaren Handlung und nicht bloß als tatverdächtig zu bezeichnen, es sei denn, daß einer der in Abs2 leg.cit. angeführten (Rechtfertigungs-)Gründe vorliegt. Dieses Verbot begrenzt und beschränkt die Antragsteller in ihrer Meinungsäußerungsfreiheit und trifft sie darum in ihrer Rechtssphäre, und zwar aktuell, weil die strittige Vorschrift (mit ihren Ausnahmen) sich an den Medieninhaber selbst wendet, ihm jedenfalls eine bestimmte Berichterstattung untersagt, keiner weiteren Konkretisierung bedarf und jede einschlägige mediale Äußerung unmittelbar erfaßt.
Es ist einem Normunterworfenen nicht zumutbar, Verbotenes zu tun, um dann erst in einem gegen ihn angestrengten Verfahren einzuwenden, daß die Verbotsnorm verfassungswidrig sei; insbesondere darf der Normunterworfene nicht auf einen Medienstrafprozeß verwiesen werden, den er nur provozieren kann, indem er sich in einer gesetzlich verpönten Weise verhält (vgl. VfSlg. 8396/1978, 8464/1978, 11.684/1988, 11.853/1988, 12.379/1990; VfGH 11.3.1994 G73/93 ua.).
Der Verfassungsgerichtshof wies in seiner Judikatur wiederholt auf die besondere Aufgabe hin, die der Presse in einem demokratischen Rechtsstaat zukommt (VfSlg. 11.297/1987, 13.577/1993).
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte betonte mehrfach die Bedeutung, welche die durch Art10 EMRK garantierte Freiheit der Meinungsäußerung für eine demokratische Gesellschaft hat. (Mit ausführlichen Judikaturhinweisen.)
Zu Art6 Abs2 EMRK (über die Unschuldsvermutung) wird in der Literatur und in der Judikatur die Auffassung vertreten, es sei aus diesem Prinzip ein Gebot für den Staat abzuleiten, durch positive Maßnahmen dafür Sorge zu tragen, daß sich die Presse bei der Berichterstattung über anhängige Strafverfahren in den Grenzen der gebotenen Sachlichkeit hält. (Mit zahlreichen Hinweisen.)
Keine Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit durch den Schutz der Unschuldsvermutung in §7b MedienG.
Der Gesetzgeber erfüllte eine verfassungsgesetzliche Verpflichtung, wenn er mit der angefochtenen Norm - in Beziehung auf Art10 EMRK - verhindern wollte, daß die jedermann verfassungsgesetzlich garantierte Unschuldsvermutung durch eine - unter Umständen sogar nach Art einer Kampagne betriebene - mediale Vorverurteilung, wenn auch vor Einleitung eines (gerichtlichen) Strafverfahrens gegen den bereits in Medien als "schuldig" und überführt Gebrandmarkten, wirkungs- und gegenstandslos wird, weil ein fairer Strafprozeß vor unbefangenen Richtern angesichts des vorauseilenden Schuldspruchs einer "Medienjustiz" nicht mehr gesichert ist.
§7b MedienG ist in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, um die "Rechte anderer" zu schützen und die "Unparteilichkeit der Rechtsprechung" iSd Art10 Abs2 EMRK zu gewährleisten. Denn ein faires Verfahren (Art6 EMRK) ist jedenfalls gefährdet, wenn ein Verdächtiger vor der Entscheidung der zuständigen Strafbehörden unter Einsatz medialer Mittel - uU sogar kampagneartig - öffentlich als überführter Rechtsbrecher hingestellt und auf diese Weise "vorverurteilt" wird.
Es wäre auch verfehlt, sollten die Antragsteller für ein gerechtfertigtes Interesse der Öffentlichkeit eintreten, jemanden als überführten Rechtsbrecher medial angeprangert und gebrandmarkt zu sehen, dessen Schuld - nach rechtsstaatlichen Regeln - noch gar nicht erwiesen ist. Nur solchen Medienberichten steht §7b MedienG entgegen, nicht aber einer wahrheitsgemäßen Berichterstattung über Straffälle.
Wird mit in Betracht gezogen, daß das Recht, bis zum gesetzlichen Nachweis der Schuld als unschuldig zu gelten, auf Verfassungsstufe garantiert ist (Art6 Abs2 EMRK), so kann auch von einer Unverhältnismäßigkeit der angefochtenen Vorschrift, wie sie die Antragsteller behaupten, schon im Blick auf den weitreichenden Ausnahmskatalog des §7b Abs2 MedienG keine Rede sein.
Es besteht kein wie immer gerechtfertigtes öffentliches Interesse an einer medialen Untergrabung des Rechts jedes Angeklagten auf ein faires Verfahren vor den zuständigen Gerichtsbehörden.
Keine Gleichheitsverletzung durch den Schutz der Unschuldsvermutung in §7b MedienG.
Der angestellte Vergleich ist - angesichts der vollkommenen Unterschiedlichkeit der herangezogenen Regelungsbereiche - schon vom Ansatz her verfehlt, weil die Bestimmungen des §393a StPO und des §2 Abs1 litb StEG nicht an eine Verletzung der Unschuldsvermutung anknüpfen, sondern Verdächtigen im Falle eines Freispruchs einen Pauschalbeitrag für die Kosten der Verteidigung bzw. Ersatz für materielle Schäden aufgrund erlittener Untersuchungshaft gewähren. Die von den Antragstellern herangezogenen Bestimmungen schaffen folglich keine Sanktionen für Verstöße staatlicher Organe gegen die verfassungsgesetzlich festgelegte Unschuldsvermutung, sondern sie suchen Nachteile auszugleichen, die ein letzten Endes Freigesprochener, der in Verdacht geraten war und sich einem Strafverfahren unterwerfen mußte, im Verlauf dieses Strafprozesses - durch strafprozessuale Maßnahmen - zu erleiden hatte.
Der Gesetzgeber der MedienG-Nov 1992 entschied sich innerhalb seines rechtspolitischen Gestaltungsspielraums für das - verglichen mit einer zur Wahl stehenden Freiheitsstrafe - weniger einschneidende Mittel eines zivilrechtlichen Entschädigungsanspruchs, um das aus der Verfassungsrechtsordnung (Art6 EMRK) ableitbare Ziel der Unterbindung medialer Vorverurteilungen zu erreichen.
Keine Verletzung des Eigentumsrechts durch den Schutz der Unschuldsvermutung in §7b MedienG.
Die Normierung einer Strafe ist jedenfalls als schärfste und einschneidendste Sanktion für mediale Anprangerungen zur Unterlaufung der Unschuldsvermutung anzusehen. Demgegenüber kann die Gewährung eines zivilrechtlichen Entschädigungsanspruchs als angemesseneres Mittel zur Erreichung des im Interesse jedes einzelnen wie auch der Reinheit der Rechtspflege angestrebten Ziels gelten.
Die verfassungsgesetzliche Garantie der Unschuldsvermutung soll allen Verdächtigen bis zur Entscheidung der zuständigen Strafbehörden über die Stichhaltigkeit des erhobenen Vorwurfs unterschiedslos zukommen, und zwar unabhängig davon, ob das Strafverfahren in der Folge mit Freispruch/Einstellung oder mit Schuldspruch endet. Eine gleichsam rückwirkende Betrachtung widerspräche dem Wesen der Unschuldsvermutung, zumal ja nach den rechtspolitischen Zielsetzungen des Gesetzgebers (auch) vermieden werden soll, daß sich mediale Vorverurteilungen auf das Ergebnis des Strafverfahrens - in welcher Richtung immer - auswirken.
Entscheidungstexte
Schlagworte
VfGH / Individualantrag, Meinungsäußerungsfreiheit, Unschuldsvermutung, Medienrecht, Strafprozeßrecht, Verteidigung, fair trial,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1995:G249.1994Dokumentnummer
JFR_10049072_94G00249_01