TE Vfgh Erkenntnis 2004/12/6 B1236/04

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.12.2004
beobachten
merken

Index

L3 Finanzrecht
L3715 Anliegerbeitrag, Kanalabgabe

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall

Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnungsbestimmung in ihren Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Die Landeshauptstadt Innsbruck ist schuldig, den Beschwerdeführern zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit EUR 3.096,-- bestimmten Prozesskosten binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Berufungskommission in Abgabensachen der Stadtgemeinde Innsbruck vom 21. September 2004 wurde den Beschwerdeführern - gestützt auf die Vorschrift über die Erhebung von Kanalanschlussgebühren der Stadtgemeinde Innsbruck (im Folgenden: Kanalanschlussgebührenordnung) idF des Gemeinderatsbeschlusses vom 16. Dezember 1974 - eine Kanalanschlussgebühr vorgeschrieben.

Gegen diesen - keinem weiteren Rechtszug unterliegenden - Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, worin die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte sowie in Rechten wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet; darin verteidigt sie den angefochtenen Bescheid und beantragt die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige -

Beschwerde erwogen:

1. Die Kanalanschlussgebührenordnung der Stadtgemeinde

Innsbruck lautet auszugsweise samt Überschriften:

"§1

Allgemeines

Die Stadtgemeinde Innsbruck erhebt zu ihrem Kostenaufwand für die Herstellung der öffentlichen Kanalanlagen von allen Anwesen, welche an diese Anlagen angeschlossen werden, eine einmalige Gebühr (Kanalanschlussgebühr).

§2

Bemessungsgrundlage und Höhe der Gebühr

(1) Die Kanalanschlussgebühr setzt sich aus einem Bauplatzanteil und einem Baumassenanteil zusammen; die Höhe der Gebühr wird durch Zusammenzählen beider Bestandteile ermittelt.

(2) Das Produkt aus der Fläche des Bauplatzes in m² und dem Einheitssatz (Abs10) ergibt den Bauplatzanteil. Unter Bauplätze im Sinne dieser Verordnung sind Grundstücke, die nach den Bestimmungen der Tiroler Bauordnung zur Errichtung von Gebäuden geeignet und im Grundstückskataster oder Grenzkataster mit einer eigenen Nummer bezeichnet sind, zuzüglich aller demselben Eigentümer gehörigen, daran unmittelbar angrenzenden Grundstücke, auf welchen wegen ihrer Größe oder Form nach den Bestimmungen der Tiroler Bauordnung Gebäude nicht errichtet werden können, zu verstehen.

(3)-(6) ...

(7) Für den Fall, daß für die angeschlossenen Objekte ein Interessentenbeitrag nach dem Landesgesetz vom 23.7.1949, LGBl. Nr. 2/1950, oder ein Anliegerbeitrag nach der Satzung vom 3.5.1940 entrichtet wurde, werden 21 % des nachweislich geleisteten Betrages als Kanalisationskostenanteil von der nach der vorliegenden Vorschrift berechneten Kanalanschlußgebühr abgezogen.

(8)-(9) ...

(10) Der Einheitssatz ist vom Gemeinderat jährlich für das gesamte Stadtgebiet einheitlich festzusetzen. Er darf 1/500 der durchschnittlichen ortsüblichen Baukosten für 1 m Mischwasserkanal nicht übersteigen.

§3

Baumasse

(1) Die Baumasse ist nach den Bestimmungen des §20 der Tiroler Bauordnung, LGBl. Nr. 42/1974, in der jeweils geltenden Fassung zu ermitteln.

(2) Bei Gebäuden, die vor dem 1.1.1975 baubehördlich bewilligt wurden, ist die im Baubewilligungsbescheid angeführte Kubatur als Baumasse anzurechnen. Ist die Kubatur weder aus der Baubewilligung noch aus anderen amtlichen Unterlagen ersichtlich, so ist statt dessen das Produkt aus der bebauten Fläche und der Stockwerksanzahl der Berechnung zugrunde zu legen, wobei die Höhe eines Stockwerkes mit 3,20 m anzunehmen ist; Kellergeschosse und ausgebaute Dachgeschosse sind hiebei voll zu zählen.

§4

Gebührenpflicht

Die Gebührenpflicht entsteht bei Bauten, welche nach dem 26.6.1969 baubehördlich bewilligt wurden, mit dem Eintritt der Rechtskraft des Bewilligungsbescheides; in allen übrigen Fällen mit dem Eintritt der Rechtskraft des Bewilligungsbescheides zur Herstellung des Kanalanschlusses.

..."

2. Mit Erkenntnis vom 13. Oktober 2004, V40/04, hat der Verfassungsgerichtshof die Wortfolge "in der jeweils geltenden Fassung" in §3 Abs1 der Kanalanschlussgebührenordnung der Stadtgemeinde Innsbruck sowie die Wortfolgen "bei Bauten, welche nach dem 26.6.1996 baubehördlich bewilligt wurden, mit dem Eintritt der Rechtskraft des Bewilligungsbescheides; in allen übrigen Fällen", "dem Eintritt" sowie "Rechtskraft des Bewilligungsbescheides zur" in §4 der genannten Verordnung als gesetzwidrig aufgehoben.

3. Gemäß Art139 Abs6 zweiter Satz B-VG wirkt die Aufhebung einer Verordnung auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die für gesetzwidrig erkannte Norm bereits zu dem Zeitpunkt, in dem sich der dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Lebenssachverhalt verwirklicht hat, nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte. Dem in dieser Verfassungsbestimmung genannten Anlassfall im engeren Sinn, anlässlich dessen das Verordnungsprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind jene Fälle gleichzusetzen, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Verordnungsprüfungsverfahren bzw. bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (zB VfSlg. 11.818/1988).

Die nichtöffentliche Beratung in dem zu V40/04 geführten Verordnungsprüfungsverfahren fand am 13. Oktober 2004 statt. Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am 30. September 2004 eingelangt, war also bei Beginn der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig. Der ihr zugrunde liegende Fall ist somit einem Anlassfall des zu V40/04 geführten Verfahrens gleichzuhalten.

4. Die Behörde hat somit bei Erlassung des angefochtenen Bescheides als gesetzwidrig erkannte Verordnungsbestimmungen angewendet. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass die Anwendung dieser Bestimmungen für die Rechtsstellung der Beschwerdeführer nachteilig war.

Die Beschwerdeführer wurden also durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung gesetzwidriger Verordnungsbestimmungen in ihren Rechten verletzt (zB VfSlg. 10.879/1986).

Der Bescheid war daher aufzuheben. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Eingehen auf den noch unerledigten Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

5. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG. Die zugesprochenen Kosten enthalten einen Streitgenossenzuschlag in Höhe von EUR 630,--, Umsatzsteuer in Höhe von EUR 486,-- sowie den Ersatz der entrichteten Eingabengebühr (§17a VfGG).

6. Dies konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

VfGH / Anlaßfall, VfGH / Präjudizialität

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:B1236.2004

Dokumentnummer

JFT_09958794_04B01236_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten