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74 Kirchen, ReligionsgemeinschaftenNorm
B-VG Art18 Abs1Leitsatz
Zulässigkeit des Antrags auf Entscheidung eines negativen Kompetenzkonfliktes zwischen dem Verwaltungsgerichtshof und dem Verfassungsgerichtshof nach Zurückweisung von Säumnisbeschwerden wegen Untätigkeit des Kultusministers hinsichtlich eines Antrags auf Anerkennung der Zeugen Jehovas als Religionsgesellschaft nach dem AnerkennungsG; Vorliegen eines negativen Kompetenzkonfliktes infolge gegebener Sachidentität; Feststellung der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofs zur Entscheidung über die bei ihm eingebrachte Säumnisbeschwerde; Aufhebung des entgegenstehenden Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofs; Rechtsanspruch auf Anerkennung als Religionsgesellschaft bei Vorliegen der im AnerkennungsG enthaltenen Voraussetzungen; Erlassung eines Bescheides im Anerkennungsfall entbehrlich aber nicht unzulässig; im Fall der Anerkennung als Religionsgesellschaft durch ein im Säumnisbeschwerdeverfahren ergehendes Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs Verpflichtung des Bundesministers zur Kundmachung der Anerkennung im VerordnungswegRechtssatz
Der verfassungsrechtliche Begriff der Kompetenz iS des Art138 B-VG ist ein weiterer (eine Rechtsschutzlücke vermeidender) als jener der Unzuständigkeit iS des §34 Abs1 VwGG.
Art138 Abs1 litb B-VG zielt darauf ab, dem einzelnen - auch und gerade in jenen Fällen, in denen dies im gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Instanzenzug nicht möglich ist - Gewißheit darüber zu verschaffen, ob überhaupt eine, und bejahendenfalls welche(s) der beiden angerufenen Gerichte oder Verwaltungsbehörden in seiner Sache zuständig ist; zu beachten ist dabei, daß ein Verfahren nach Art138 B-VG nicht einmal die Ausschöpfung des Instanzenzuges zur Voraussetzung hat.
Die Voraussetzung für einen negativen Kompetenzkonflikt zwischen dem Verwaltungsgerichtshof und dem Verfassungsgerichtshof, nämlich, daß beide beteiligten Gerichtshöfe ihre Zuständigkeit abgelehnt haben (Art138 Abs1 litb B-VG iVm §46 Abs1 VfGG), ist auch dann erfüllt, wenn einer der beteiligten Gerichtshöfe die Zulässigkeit der Beschreitung des Verwaltungsgerichtsweges (aus welchen rechtlichen Gründen immer) schlechthin verneint und sich daraus unmittelbar seine Unzuständigkeit zur Erledigung einer bei ihm eingebrachten Beschwerde ergibt.
Im vorliegenden Fall hatten die Einschreiter sowohl beim Verwaltungsgerichtshof als auch beim Verfassungsgerichtshof begehrt, das jeweils angerufene Höchstgericht möge wegen Säumnis des Kultusministers über ihren gemäß §2 AnerkennungsG am 17.06.87 gestellten Antrag auf Anerkennung der Zeugen Jehovas als Religionsgesellschaft entscheiden.
Der Verwaltungsgerichtshof wies den an ihn gerichteten Antrag zwar "wegen Mangels der Berechtigung" zur Erhebung der Säumnisbeschwerde gemäß §34 Abs1 VwGG zurück. Die Begründung seines Beschlusses läuft aber darauf hinaus, daß er seine Zuständigkeit zur Entscheidung über die Säumnisbeschwerde iS des Art138 Abs1 litb B-VG verneinte.
Beide Gerichtshöfe haben (in Anwendung der jeweils für sie maßgebenden Verfahrensvorschriften) in derselben Sache ihre Zuständigkeit negiert. Die für das Vorliegen eines (negativen) Kompetenzkonfliktes geforderte Sachidentität ist sohin gegeben.
Bei Vorliegen der im AnerkennungsG enthaltenen Voraussetzungen besteht ein Anspruch auf Anerkennung als Religionsgesellschaft.
Ein solcher Anspruch muß durchsetzbar sein, soll das Gesetz nicht in Widerspruch zu dem sich aus Art18 B-VG ergebenden Rechtsstaatsgebot stehen (vgl. z.B. VfSlg. 11.931/1988). Auch die Berücksichtigung weiterer Verfassungsnormen (so Art7 B-VG, Art14 und Art15 StGG sowie Art9 und Art14 iVm Art13 EMRK) zeigt, daß bei verfassungskonformer Auslegung das AnerkennungsG einen Rechtsanspruch auf individuelle Durchsetzung gibt (vgl. VfSlg. 13.134/1992, 13.513/1993).
Feststellung der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofs zur Entscheidung über die bei ihm eingebrachte Säumnisbeschwerde wegen Untätigkeit des Kultusministers hinsichtlich eines Antrags auf Anerkennung der Zeugen Jehovas als Religionsgesellschaft nach dem AnerkennungsG; Aufhebung des entgegenstehenden Beschlusses des VwGH.
Die Anerkennung als Religionsgesellschaft iSd AnerkennungsG kann aufgrund des bundesverfassungsgesetzlichen Rechtstypenzwanges mit keinem anderen Instrument als mit Bescheid oder Verordnung erfolgen. Da eine Anerkennungsverordnung gleichzeitig auch dem individuell-konkreten Rechtsschutzanliegen der Proponenten bzw. der Religionsgemeinschaft zur Gänze Rechnung trägt, ist im Anerkennungsfall die Erlassung eines Bescheides entbehrlich, wenn auch nicht unzulässig.
Wenn allerdings - wie im Säumnisbeschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof wegen Untätigkeit der Verwaltungsbehörde - die Bundesverfassung die Erlassung einer Verordnung durch das zur Entscheidung berufene Höchstgericht ausschließt, kommt auf dieser Ebene nur die Erlassung eines den versäumten Bescheid ersetzenden Erkenntnisses durch den Verwaltungsgerichtshof (§42 Abs4 VwGG) in Betracht und ist im Hinblick auf das individuell-konkrete Rechtsschutzanliegen auch geboten. Der Bundesminister ist dann im Falle einer allfälligen Anerkennung als Religionsgesellschaft durch das im Säumnisbeschwerdeverfahren ergehende Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes verpflichtet, diese Anerkennung im Verordnungswege kundzumachen.
Entscheidungstexte
Schlagworte
VfGH / Kompetenzkonflikt, Verwaltungsgerichtshof, Zuständigkeit Verwaltungsgerichtshof, VfGH / Zuständigkeit, Säumnisbeschwerde, Religionsgesellschaften, Auslegung verfassungskonforme, Rechtsschutz, RechtsstaatsprinzipEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1995:KI9.1994Dokumentnummer
JFR_10048996_94K00I09_01