TE Vfgh Beschluss 2004/12/6 V58/04 ua

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Veröffentlicht am 06.12.2004
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8000 Raumordnung

Norm

B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
Flächenwidmungs- und Bebauungsplan der Stadt Trofaiach
Stmk BauG §26 Abs1, Abs4
Stmk GdO 1967 §94 Abs3
VfGG §85 Abs2 / Allg

Leitsatz

Zurückweisung des Individualantrags von Betriebsinhabern auf Aufhebung eines Flächenwidmungs- und eines Bebauungsplanes mangels unmittelbaren Eingriffs in ihre Rechtssphäre als Nachbarn und in Folge Anhängigkeit eines Baubewilligungsverfahrens; Zumutbarkeit der Beschreitung des Verwaltungsrechtsweges angesichts der Möglichkeit der Gewährung einer aufschiebenden Wirkung im aufsichtsbehördlichen und verfassungsgerichtlichen Verfahren bei nicht wieder gutzumachendem Schaden bzw unverhältnismäßigem Nachteil

Spruch

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1. Die antragstellenden Gesellschaften begehren mit ihren auf Art139 B-VG gestützten Anträgen, "den Flächenwidmungsplan der Stadt Trofaiach 4.0, welcher am 5.8.2002 in Rechtskraft erwachsen ist und den Bebauungsplan der Stadt Trofaiach 'Reihenhausanlage Freiensteinerstraße' Stand 28.7.2004 [...] wegen Verfassungs- und Gesetzwidrigkeit zur Gänze auf[zu]heben".

2. Zur Begründung der Antragslegitimation bringen sie vor, dass sie in Trofaiach eine behördlich genehmigte Betriebsanlage und zwar sowohl ein Mineralöllager als auch eine Abfallbehandlungsanlage samt Nebeneinrichtungen betreiben würden. Diese Anlagen unterlägen auf Grund der gewerberechtlich und abfallrechtlich genehmigten Emmissionen insbesondere dem Abschnitt 8a der Gewerbeordnung, der die Vorgaben der Richtlinie 96/82/EG des Rates vom 9. Dezember 1996 zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen (Seveso II-RL) umsetze. Die Richtlinie bezwecke, schwere Unfälle bei bestimmten Industrietätigkeiten zu vermeiden, sowie die Unfallfolgen für Mensch und Umwelt zu begrenzen. Gemäß dem Erwägungsgrund 22 dieser Richtlinie müssten die Mitgliedstaaten in ihren Politiken hinsichtlich der Zuweisung oder Nutzung von Flächen berücksichtigen, dass langfristig zwischen diesen Gebieten (Wohngebieten) und gefährlichen Industrieansiedlungen ein angemessener Abstand gewahrt bleiben müsse.

Die antragstellenden Gesellschaften seien von den bekämpften Verordnungen unmittelbar und aktuell in ihrer Rechtssphäre betroffen. In ihrer unmittelbaren Nachbarschaft würden sich "zu Unrecht" als Wohngebiet gewidmete Grundstücke befinden. Sowohl die Seveso II-RL als auch §22 Abs12 Stmk ROG würden darauf abzielen, die bestehende oder zukünftige Wohnbevölkerung im Umkreis eines Industriebetriebes, der der Richtlinie unterliege, vor den möglichen Auswirkungen eines Industrieunfalles zu schützen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes werde auch der Inhaber einer gewerbebehördlich genehmigten Betriebsanlage, in deren unmittelbarer Nähe ein Wohnhaus errichtet werden soll, in seiner subjektiven Rechtssphäre verletzt (vgl. §26 Abs1 Z1 iVm Abs4 Stmk BauG). Der Inhaber eines Industriebetriebes habe durch die heranrückende Wohnbebauung mit der Vorschreibung von Auflagen der Gewerbebehörde zum Schutz der Nachbarschaft gegen Immissionen zu rechnen.

Solange innerhalb des Schutzbereichs des Industriegebiets die Widmung Wohngebiet festgelegt sei, müssten die antragstellenden Gesellschaften jederzeit entweder mit dem Einreichen eines Ansuchens auf Erteilung einer Baubewilligung innerhalb des Schutzabstandes oder sogar mit der Errichtung eines konsenslosen Gebäudes, das sich aber an sich auf die Wohngebietswidmung berufen und somit nachträglich bewilligt werden könne, rechnen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs sei ein zumutbarer Weg, um die Bedenken gegen eine Verordnung an ihn heranzutragen, immer dann gegeben, wenn bereits ein gerichtliches oder verwaltungsbehördliches Verfahren anhängig sei. Im Falle des Vorliegens besonderer Umstände könne dem Antragsteller aber auch nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofs das Durchlaufen des administrativen Instanzenzuges nicht zugemutet werden (vgl. VfSlg. 14.084/1995, wonach die mit der Beschreitung des Instanzenweges verbundene zeitliche Verzögerung im Hinblick darauf nicht zumutbar sei, dass das Gebäude nahezu fertig gestellt worden sei).

Ähnlich außergewöhnliche und besondere Umstände würden auch in diesem Fall vorliegen. Gegenstand des - offensichtlich - anhängigen Baubewilligungsverfahrens seien nicht "gängige" Emissionen, die von Nachbarn typischerweise bekämpft würden, sondern die von einer Abfallbehandlungsanlage und einem Tanklager für Mineralöle im Sinne der Seveso II-RL möglicherweise ausgehenden Emissionen (Feuer, giftige Gase, etc.). Im Falle eines Industrieunfalles könne eine Gesundheitsschädigung der umliegenden Wohnbevölkerung eintreten und damit der Bestand des Industriebetriebes gefährdet sein. Es sei auch mit einer zivil- und strafrechtlichen Haftung des Betriebes bzw. der leitenden Angestellten zu rechnen.

Die richtige Bemessung des Schutzabstandes und die Vermeidung einer Wohngebietswidmung seien daher von enormer Bedeutung. Der von den antragstellenden Gesellschaften gegen die bereits erteilte Baubewilligung eingebrachten Berufung komme zwar die aufschiebende Wirkung zu. Diese komme jedoch weder der Vorstellung gemäß §94 Abs3 Stmk GemO 1967 noch einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof gemäß Art144 B-VG iVm §85 VfGG zu. Im Falle einer Anrainerbeschwerde gegen die Erteilung einer Baubewilligung werde die aufschiebende Wirkung vom Verfassungsgerichtshof auch grundsätzlich nicht zuerkannt.

"Die derzeit geplante und bewilligte Wohnhausanlage" werde "durch Fertigteile hergestellt". Es müsse befürchtet werden, dass nach Rechtskraft der Berufungsentscheidung mit der Errichtung der bewilligten Wohnhausanlage begonnen werde. Mangels Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch die Vorstellungsbehörde oder den Verfassungsgerichtshof wäre die Wohnhausanlage somit vor der Entscheidung in einem durch die Erhebung einer Verfassungsgerichtshofbeschwerde nach Art144 B-VG anhängig gemachten Verfahren fertig gestellt. Der zugrunde liegende Sachverhalt sei insofern mit dem dem Erkenntnis VfSlg. 14.084/1995 zugrunde liegenden Sachverhalt vergleichbar.

3. Die antragstellenden Gesellschaften erstatteten eine ergänzende Äußerung. Zwischenzeitlich habe der Gemeinderat der Gemeinde Trofaiach die von ihnen eingebrachte Berufung gegen die erteilte Baubewilligung mit Bescheid vom 1. Oktober 2004 abgewiesen. Dagegen hätten sie Vorstellung erhoben. Der Bauwerber habe nun an die antragstellenden Gesellschaften ein Schreiben gerichtet, das diese als Zurückziehung des Bauansuchens werteten. Die Beendigung des Bauverfahrens würde bedeuten, dass ihnen kein Weg mehr zur Verfügung stünde, ihre Bedenken an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen.

II. Die Anträge sind unzulässig:

1. Der Verfassungsgerichtshof hat seit dem Beschluss VfSlg. 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt vertreten, die Antragslegitimation nach Art139 Abs1 B-VG und Art140 Abs1 B-VG setze voraus, dass durch die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen der Antragsteller nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden müssen und dass der durch Art139 Abs1 B-VG und Art140 Abs1 B-VG dem einzelnen eingeräumte Rechtsbehelf dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen rechtswidrige generelle Normen nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (vgl. VfSlg. 11.684/1988, 13.870/1994 ua.).

Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art139 Abs1 letzter Satz B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl. zB VfSlg. 8594/1979, 10.353/1985, 11.730/1988, 14.838/1997).

Ein solcher - die Antragslegitimation ausschließender - zumutbarer Weg besteht grundsätzlich dann, wenn ein gerichtliches oder verwaltungsbehördliches Verfahren bereits anhängig ist, das den von der generellen Rechtsnorm Betroffenen letztlich Gelegenheit bietet, die Einleitung eines amtswegigen Normprüfungsverfahrens beim Verfassungsgerichtshof anzuregen; eine Ausnahme besteht nur für den Fall, dass besondere, außergewöhnliche Umstände vorliegen, um der Partei des gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Verfahrens trotz der ihr dort offen stehenden Möglichkeiten das Recht auf Einbringung eines Normprüfungsantrages einzuräumen (vgl. zB VfSlg. 8312/1978, 8552/1979, 10.251/1984, 11.684/1988). Mit einem (Individual-)Antrag nach Art139 (und Art140) B-VG soll daher keinesfalls eine Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes eröffnet werden, die mit dem Charakter des Individualantrages als eines bloß subsidiären Rechtsbehelfes nicht im Einklang stünde (etwa VfSlg. 8652/1979, 10.356/1985, 11.114/1986, 12.395/1990).

2. Die angefochtenen Verordnungen greifen zwar möglicherweise in die Rechtssphäre der antragstellenden Gesellschaften als Nachbarn ein, da nunmehr die Errichtung einer Wohnhausanlage auf einem "in unmittelbarer Nachbarschaft" liegenden Grundstück zulässig ist. Zu einem unmittelbaren Eingriff in ihre Rechtssphäre kommt es aber grundsätzlich erst durch die Erteilung der Baubewilligung (vgl. §26 Abs1 Z1 iVm Abs4 Stmk BauG, wonach dem Nachbarn ein subjektiv-öffentliches Recht auf Überprüfung der Übereinstimmung des Vorhabens mit dem Flächenwidmungsplan, einem Bebauungsplan und mit Bebauungsrichtlinien zukommt, soweit damit ein Immissionsschutz - auch im Hinblick auf von einer genehmigten gewerblichen Betriebsanlage ausgehende Emissionen im Falle einer "heranrückenden Wohnbebauung" - verbunden ist, nicht jedoch bereits durch die hier angefochtenen Verordnungen (vgl. VfSlg. 8967/1980, 9061/1981, 10.225/1984, 11.685/1988, 14.838/1997, 16.825/2003).

Dazu kommt, dass nach dem Vorbringen der antragstellenden Gesellschaften im vorliegenden Fall ein zumutbarer Weg über ein bereits anhängiges Baubewilligungsverfahren besteht, ihre hier gegen die Verordnungen vorgebrachten Bedenken an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen. Das Bauverfahren wäre auch nicht - wie die antragstellenden Gesellschaften behaupten - durch die "Zurückziehung" eines Bauansuchens nach der Berufungsentscheidung "beendet". Aufgabe der eine Vorstellungsentscheidung treffenden Gemeindeaufsichtsbehörde ist es nämlich, den bei ihr angefochtenen gemeindebehördlichen Bescheid an der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung dieses gemeindebehördlichen Bescheides zu messen (vgl. VfSlg. 8557/1979, VwSlg. 7806 A/1970, VwGH 26.2.1981 Z06/2593/80, VfSlg. 9575/1982). Die Vorstellungsbehörde müsste sich daher inhaltlich mit den in der Vorstellung behaupteten Rechtsverletzungen auseinandersetzen (vgl. VwGH vom 19. September 1995, Z95/05/0101).

Entgegen der Auffassung der antragstellenden Gesellschaften liegen im vorliegenden Fall auch keine außergewöhnlichen Umstände vor, die ihnen trotz der Tatsache, dass sich die von ihnen bekämpften Festlegungen nicht auf ein in ihrem Eigentum stehendes, sondern auf das Nachbargrundstück beziehen und ein Baubewilligungsverfahren anhängig ist, zur Antragslegitimation auf Einbringung eines Normprüfungsantrages gemäß Art139 B-VG verhelfen könnten (vgl. VfSlg. 16.825/2003): Die Antragsteller berufen sich diesbezüglich auf das hg. Erkenntnis VfSlg. 14.084/1995, in dem vom Verfassungsgerichtshof ein auf Prüfung und Aufhebung des Bebauungsplanes gerichteter Individualantrag hinsichtlich des (Nachbar-)Grundstückes ausnahmsweise als zulässig erachtet wurde, weil die mit der Beschreitung des Instanzenzuges im Bauverfahren verbundene zeitliche Verzögerung den Antragstellern aufgrund der bereits fortgeschrittenen Bautätigkeit nicht zumutbar gewesen wäre. Dabei war jedoch auch darauf Bedacht zu nehmen, dass der Verfassungsgerichtshof bereits eine der erstmaligen Erteilung der Baubewilligung auf dem Nachbargrundstück zugrunde liegende und in den maßgeblichen Teilen inhaltsgleiche Verordnung anlässlich der Erhebung einer Bescheidbeschwerde durch den Nachbarn in einem amtswegig eingeleiteten Normenprüfungsverfahren aufgehoben hatte.

Das von den antragstellenden Gesellschaften bekämpfte, auf einem Nachbargrundstück geplante Bauvorhaben wurde nach ihrem Vorbringen bereits auf der Grundlage der in Rede stehenden Verordnungen bewilligt. Hinsichtlich dieser in einem Baubewilligungsverfahren präjudiziellen Verordnungen steht den antragstellenden Gesellschaften die Möglichkeit offen, ihre Bedenken gegen die Verordnungen im Rahmen einer Bescheidbeschwerde gemäß Art144 B-VG an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen.

Die Vorstellung gemäß der Stmk GemO 1967 hat zwar ebenso wie eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ex lege keine aufschiebende Wirkung; auf Ansuchen des Einschreiters ist diese von der Aufsichtsbehörde gemäß §94 Abs3 GemO 1967 zuzuerkennen, wenn durch die Vollstreckung ein nicht wieder gutzumachender Schaden eintreten würde und nicht öffentliche Rücksichten die sofortige Vollstreckung gebieten.

Der Verfassungsgerichtshof hat der Beschwerde gemäß §85 VfGG auf Antrag des Beschwerdeführers mit Beschluss aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, insoweit dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung aller berührten Interessen mit dem Vollzug oder mit der Ausübung der mit Bescheid eingeräumten Berechtigung durch einen Dritten für den Beschwerdeführer ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre. Es ist somit Gegenstand des konkreten - bereits anhängigen - Verfahrens den von den antragstellenden Gesellschaften behaupteten, nicht wieder gutzumachenden Schaden oder unverhältnismäßigen Nachteil zu beurteilen und gegebenenfalls die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Die mit der Ausübung der mit dem Baubewilligungsbescheid eingeräumten Berechtigung verbundenen Nachteile der antragstellenden Gesellschaften können daher grundsätzlich auch in einem Verwaltungsverfahren und Bescheidbeschwerdeverfahren gemäß Art144 B-VG hintangehalten werden.

Der Verfassungsgerichtshof sieht daher keine Veranlassung, von seiner oben dargestellten ständigen Rechtsprechung abzuweichen.

3. Die Anträge sind mangels Legitimation der antragstellenden Gesellschaften als unzulässig zurückzuweisen.

4. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Baurecht, Raumordnung, Bebauungsplan, Flächenwidmungsplan, Gemeinderecht, Vorstellung, Rechte subjektive öffentliche, Nachbarrechte, Verwaltungsverfahren, Wirkung aufschiebende, VfGH / Individualantrag, VfGH / Wirkung aufschiebende

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:V58.2004

Dokumentnummer

JFT_09958794_04V00058_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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