RS Vfgh 1995/11/29 G1249/95, G1289/95

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Veröffentlicht am 29.11.1995
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Index

72 Wissenschaft, Hochschulen
72/01 Hochschulorganisation

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
UOG §15 Abs9
UOG §26 Abs5
UOG §65 Abs2

Leitsatz

Gleichheitswidrigkeit der Regelung über die Zusammensetzunguniversitärer Kollegialorgane infolge Möglichkeit des Überstimmensder Mehrheit der fachlich qualifizierten Mitglieder bei Beurteilungder wissenschaftlichen Qualifikation eines Bewerbers; Berufung vonStudierenden und Vertretern des Mittelbaus nebenUniversitätsprofessoren in die Habilitationskommission sachlichvertretbar; jedoch Notwendigkeit der Berücksichtigung der Mehrheitder selbst über eine Lehrbefugnis verfügenden Personen in den alleindie wissenschaftliche Qualifikation des Bewerbers betreffendenAbschnitten des Habilitationsverfahrens

Rechtssatz

Zulässigkeit des Gesetzesprüfungsverfahrens hinsichtlich der Wortfolge "im selben Verhältnis wie im Kollegialorgan" in §15 Abs9 UOG; Einstellung des Verfahrens bzw Zurückweisung des Antrags des Verwaltungsgerichtshofs hinsichtlich §26 Abs5, §65 Abs2 und anderer Bestimmungen des UOG mangels Präjudizialität.

Die Vorschrift des §15 Abs9 erster Satz UOG findet auf die Zusammensetzung einer besonderen Habilitationskommission (auch) unmittelbar Anwendung. Dies folgt aus dem Umstand, daß §15 Abs9 erster Satz UOG die Zusammensetzung der "Kommissionen gemäß Abs7" (des §15 UOG) regelt, zu diesen aber auch eine besondere Habilitationskommission zählt. Diese Bestimmung ist mithin sowohl im Anlaßfall als auch in jenem Beschwerdefall präjudiziell, der für den Verwaltungsgerichtshof Anlaß für den Gesetzesprüfungsantrag war. Es wäre bei Zutreffen der aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Bedenken nicht erforderlich, auch die anderen in Prüfung gezogenen Bestimmungen bzw die vom Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bestimmungen des UOG aufzuheben bzw festzustellen, daß sie verfassungswidrig waren, um eine Rechtslage herzustellen, die nicht den hier zu prüfenden verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet. Denn im Fall der Aufhebung der Wortgruppe "im selben Verhältnis wie im Kollegialorgan" in §15 Abs9 erster Satz UOG würden sich die (unmittelbaren und mittelbaren) Verweisungen auf §15 Abs9 UOG auf eine Vorschrift beziehen, gegen die die aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Bedenken nicht (mehr) bestehen und wären daher ihrerseits nicht (mehr) aus dem angenommenen Grund verfassungswidrig.

Die Wortfolge "im selben Verhältnis wie im Kollegialorgan" in §15 Abs9 UOG, BGBl 258/1975 idF BGBl 443/1978, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Regelung der Zusammensetzung von Kollegialbehörden fällt im allgemeinen in den rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. Es ist nicht von Verfassungs wegen geboten, nur solche Personen zu Mitgliedern einer Kollegialbehörde zu bestellen, die über eine besondere Sachkunde verfügen (vgl zB VfSlg 11282/1987, 11912/1988).

Die Sachlichkeit der Zusammensetzung und der Willensbildung einer Kollegialbehörde hängt vom Gegenstand ab, den sie zu entscheiden und über den sie einen Bescheid zu erlassen hat.

Besteht der Gegenstand der Entscheidung ausschließlich in der inhaltlichen Beurteilung besonderer fachlicher Kenntnisse eines Bewerbers (in der Lehre vielfach als "Prüfungsentscheidung" bezeichnet), so wäre es unsachlich, wenn eine derartige Entscheidung mehrheitlich von Personen getroffen wird, die selbst nicht über die entsprechende fachliche Qualifikation verfügen.

Der Verfassungsgerichtshof hält es für sachlich vertretbar, wenn in Habilitationskommissionen neben den Universitätsprofessoren auch Studierende und Vertreter des Mittelbaus berufen werden, da man Studierenden und Vertretern des Mittelbaus nicht absprechen kann, auch in der Lage zu sein, pädagogische Fähigkeiten von Bewerbern zu beurteilen.

Soweit es die Willensbildung einer (besonderen) Habilitationskommission im ersten und im dritten Abschnitt des Habilitationsverfahrens betrifft, ist die in Rede stehende Regelung des §15 Abs9 UOG verfassungsrechtlich unbedenklich, weil es in keinem dieser beiden Abschnitte um die Beurteilung der wissenschaftlichen Qualifikation eines Bewerbers als solche geht.

Sind Gegenstand der Entscheidung einer Kollegialbehörde sowohl die Beurteilung der fachlichen Fähigkeiten eines Bewerbers als auch andere Umstände, so steht es im rechtspolitischen Spielraum des Gesetzgebers, auch Personen zu Mitgliedern der Kollegialbehörde zu berufen, die nicht selbst die vom Bewerber angestrebte fachliche Qualifikation besitzen, wenn er gleichzeitig sicherstellt, daß bei der Beurteilung der fachlichen Qualifikation nicht die Mehrheit jener Mitglieder, die selbst über diese Qualifikation verfügen, überstimmt werden kann.

Da der Gesetzgeber bei Schaffung des UOG eine solche Vorsorge nicht getroffen hat, ist jene Bestimmung verfassungswidrig, die eine Zusammensetzung des Kollegialorgans in einer Weise regelt, die ein Überstimmen der Mehrheit der fachlich qualifizierten Mitglieder möglich macht. Der Gesetzgeber ist durch den Gleichheitssatz nicht gehindert, in einer Ersatzregelung dieselbe Zusammensetzung der Kollegialbehörde wie bisher vorzusehen, wenn er gleichzeitig für die Abschnitte 2 und 4 des Habilitationsverfahrens, bei denen es allein auf die wissenschaftliche Qualifikation des Bewerbers ankommt, einen Abstimmungsmodus vorsieht, der auch die Mehrheit der selbst über eine Lehrbefugnis verfügenden Personen berücksichtigt.

Entscheidungstexte

Schlagworte

VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsumfang, Verweisung,Kollegialbehörde, Hochschulen Organisation, Behördenzusammensetzung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1995:G1249.1995

Zuletzt aktualisiert am

27.03.2009
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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