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10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art144 Abs3Leitsatz
Keine Verletzung des Versammlungsrechts durch Bestrafung wegen Teilnahme an einer durch das VersammlungsG verbotenen Versammlung im Umkreis von weniger als 300 m vom Sitz des tagenden Nationalrates und mangels Entfernung vom Versammlungsort nach behördlicher Auflösung der Versammlung; kein die Versammlungsfreiheit verletzender Verfahrensfehler infolge Entfalls einer mündlichen VerhandlungRechtssatz
Auch eine Bestrafung wegen Übertretung des VersammlungsG greift in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Versammlungsfreiheit ein (vgl zB VfSlg 9603/1983).
Aus dem Wortlaut und dem Sinn des §7 VersammlungsG geht hervor, daß die darin erwähnten Versammlungen unmittelbar kraft Gesetzes verboten sind.
Dieser Gesetzesinhalt steht in Einklang mit Art11 Abs2 EMRK. Jede Versammlung unter freiem Himmel, die in unmittelbarer Nähe einer zusammengetretenen gesetzgebenden Körperschaft stattfindet, widerstreitet zumindest den Interessen der nationalen und öffentlichen Sicherheit und des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer.
Die Meinung der Beschwerdeführerin, die 300-Meter-Zone sei vom Mittelpunkt des Sitzungssaales des Nationalrates zu messen, ist verfehlt. Vielmehr ist - dem allgemeinen Sprachgebrauch folgend - unter dem "Sitz" der gesetzgebenden Körperschaft das Gebäude, in dem diese tagt, zu verstehen. Die 300-Meter-Zone ist von der Außengrenze des Gebäudes zu messen.
Die Behörde hat jede Versammlung, die entgegen dem §7 VersammlungsG innerhalb der 300-Meter-Zone veranstaltet wird, aufzulösen, ohne daß weitere Gründe für diese Verfügung hinzutreten müssen.
Die BPD Wien hat daher zu Recht die Auflösung der Versammlung verfügt, ohne daß der Versammlungszweck zu erörtern und zu untersuchen war, ob die Auflösung (auch) aus sonstigen Gründen, etwa aus Interessen des Straßenverkehrs, gerechtfertigt war.
Das Recht auf Versammlungsfreiheit kann verletzt werden, wenn die Behörde bei Beachtung der Verfahrensnormen zu einem anderen Spruch hätte kommen können (vgl VfSlg 11832/1988).
Dies ist dem UVS jedoch nicht anzulasten. Er hat ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und das Parteiengehör gewahrt.
§67d AVG gilt im Verwaltungsstrafverfahren nicht (§24 VStG); hier waren die Spezialvorschriften des §51e VStG idF vor der Novelle BGBl 620/1995 anzuwenden.
Abweisung des Abtretungsantrags.
Jeder in die Versammlungsfreiheit eingreifende Bescheid verletzt schon dann, wenn nur eine einfache Gesetzwidrigkeit vorliegt, das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Versammlungsfreiheit. Da für diesen Fall die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes gegeben ist, ist die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes gemäß Art133 Z1 B-VG ausgeschlossen.
Schlagworte
Versammlungsrecht, Verwaltungsverfahren, Ermittlungsverfahren, Verhandlung mündliche, VfGH / AbtretungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1995:B1495.1994Dokumentnummer
JFR_10048870_94B01495_01