RS Vfgh 1995/12/12 V136/94

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Veröffentlicht am 12.12.1995
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Index

82 Gesundheitsrecht
82/05 Lebensmittelrecht

Norm

B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
MineralwasserV 1994, BGBl 1994/552
MineralwasserV, BGBl 1935/526
Richtlinie des Rates vom 15.07.80. 80/777 / EWG, zur Angleichung der Rechtsvorschriften über die Gewinnung von und den Handel mit natürlichen Mineralwässern (= Mineralwasserrichtlinie)
Richtlinie des Rates vom 27.06.85. 85/339 / EWG, über Verpackungen für flüssige Lebensmittel
EG-Vertrag Art5
EG-Vertrag Art30
EG-Vertrag Art100
LMG 1975 §77 Abs1 Z10

Leitsatz

Zurückweisung eines Individualantrags auf Aufhebung von Teilen der MineralwasserV 1994 bezüglich der angenommenen Weitergeltung des Glasflaschengebots mangels Legitimation; keine rechtliche Betroffenheit aufgrund gegenteiligen Inhalts der angefochtenen Verordnungsstelle; keine Fortgeltung des Glasflaschengebots aufgrund des Gebots der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts iSd auf den EG-Vertrag gestützten Rechtsprechung des EuGH

Rechtssatz

Zurückweisung des Individualantrags auf Aufhebung des letzten Halbsatzes des §6 der MineralwasserV 1994, BGBl 1994/552, mangels Legitimation; keine Verletzung von Rechten der antragstellenden Gesellschaft.

Die Weitergeltung der MineralwasserV 1935 hängt kraft §77 Abs1 LMG 1975 davon ab, daß keine "ihren Gegenstand regelnde Verordnungen auf Grund dieses Bundesgesetzes in Wirksamkeit getreten sind". Die antragstellende Gesellschaft geht davon aus, daß die Anordnung des Inkrafttretens der Bestimmung des §1 Abs7 erster Satz der MineralwasserV 1994 "mit 1. Jänner 1997" bewirkt, daß bis zu diesem Zeitpunkt das Glasflaschengebot für die Versendung natürlicher Mineralwässer kraft MineralwasserV 1935 bestehen bleibt.

Der Entstehungsgeschichte des §6 der MineralwasserV 1994 zufolge sollte durch den Aufschub des Geltungsbeginns der Mineralwassertransportvorschrift des §1 Abs7 erster Satz der MineralwasserV 1994 das Gebot der MineralwasserV 1935 über die Versendung natürlicher Mineralwässer in Glasflaschen - zeitlich bis dahin befristet - auch tatsächlich in Kraft bleiben.

Der sonstige Inhalt der MineralwasserV 1994, insbesondere deren §1 Abs5.2, erweckt allerdings erhebliche Zweifel, ob diese Regelungsabsicht durch §6 letzter Halbsatz MineralwasserV 1994 hinreichend verwirklicht wurde.

Das Glasflaschengebot des §1 der MineralwasserV 1935 bezüglich natürlicher Mineralwässer (gemäß §77 Abs1 LMG 1975) dürfte als aufgehoben anzusehen sein.

Die Richtlinie des Rates vom 15.07.80, 80/777/EWG, zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Gewinnung von und den Handel mit natürlichen Mineralwässern (= Mineralwasserrichtlinie), ABl. Nr. L 229 vom 30.08.80, S 1 ff, stützt sich, wie ihr Vorspruch zeigt, auf Art100 EG-Vertrag und ist diesem Vorspruch zufolge dahin zu verstehen, daß dadurch Hemmnisse für den freien Warenverkehr mit natürlichen Mineralwässern beseitigt werden sollen. Sie ist daher auch vor dem Hintergrund des Art30 des EG-Vertrages zu lesen, wonach "mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung ... zwischen den Mitgliedstaaten verboten (sind)".

Die Richtlinie ist sohin im Sinne der Warenverkehrsfreiheit zu verstehen. Das bedeutet aber, daß bei natürlichem Mineralwasser die Abfüllung für Letztverbraucher in allen Behältnissen zugelassen werden muß, wenn diese nur "die bakteriologischen und chemischen Merkmale natürlicher Mineralwässer nicht verändern".

Eine Beschränkung der Abfüllung natürlicher Mineralwässer, soweit es zur Abgabe an Letztverbraucher bestimmt ist, auf Glasflaschen kann schon deswegen nicht durch die Richtlinie des Rates vom 27.06.85, 85/339/EWG, über Verpackungen für flüssige Lebensmittel, ABl. Nr. L 176 vom 06.07.85, S 18, gerechtfertigt werden, weil darin lediglich die Mitgliedstaaten zu Maßnahmen und Aktionsprogrammen verpflichtet werden, die auf die Verringerung der Umweltbelastung durch Abfälle von Verpackungen flüssiger Lebensmittel zielen, ohne daß die Richtlinie über die Art des Verpackungsmaterials eine Aussage trifft.

Auf Grund des aus Art5 EG-Vertrag abzuleitenden Gebots richtlinienkonformer Interpretation innerstaatlichen Rechts (vgl. dazu Rodriguez-Iglesias/Riechenberg, Zur richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts, Festschrift Everling, 1995, 1213 ff.; Ress, Die richtlinienkonforme "Interpretation" innerstaatlichen Rechts, Die öffentliche Verwaltung, 1994, 489 ff.) sind die nationalen Gerichte, ist also auch der Verfassungsgerichtshof verhalten, das zur Umsetzung einer Richtlinie erlassene nationale Recht in deren Lichte und Zielsetzung auszulegen.

(Mit Hinweisen auf die Judikatur des EuGH.)

Der Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts (s Art5 EG-Vertrag) führt im vorliegenden Fall dazu, die zur Umsetzung der Mineralwasserrichtlinie erlassene MineralwasserV 1994 im Sinne der Richtlinie auszulegen, um diese mit jener zu harmonisieren, soweit der Inhalt jener Verordnung angesichts ihrer Entstehungsgeschichte zweifelhaft bleibt.

Die mit §6 der MineralwasserV 1994 intendierte Fortgeltung des Glasflaschengebots für natürliche Mineralwässer kraft MineralwasserV 1935 ist (auch befristet bis 31.12.96) mit der Rechtslage nach europäischem Gemeinschaftsrecht (siehe Mineralwasserrichtlinie vom 15.07.80, 80/777/EWG und Richtlinie vom 27.06.85, 85/339/EWG, über Verpackungen für flüssige Lebensmittel, sowie Art30 und Art100 EG-Vertrag), insbesondere mit der Vorschrift des Anhangs II Z2 litc und d der Mineralwasserrichtlinie nicht vereinbar. Die MineralwasserV 1994 ist sohin dergestalt auszulegen und anzuwenden, daß im Sinne der zitierten Richtlinie alle Behältnisse für das Inverkehrbringen natürlicher Mineralwässer zuzulassen sind, sofern diese Behältnisse nur die mikrobiologischen und chemischen Merkmale natürlicher Mineralwässer nicht verändern.

Entscheidungstexte

  • V 136/94
    Entscheidungstext VfGH Beschluss 12.12.1995 V 136/94

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, Lebensmittelrecht, Geltungsbereich (zeitlicher) einer Verordnung, EU-Recht Richtlinie, Auslegung völkerrechtlicher Verträge, Mineralwasser, Glasflaschen, Kunststoffflaschen, Umweltschutz, Warenverkehrsfreiheit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1995:V136.1994

Dokumentnummer

JFR_10048788_94V00136_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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