TE Vfgh Erkenntnis 2004/12/15 B1019/04 ua

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Veröffentlicht am 15.12.2004
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

AsylG 1997 §2 Abs1
AsylG 1997 §19 Abs3
AsylG 1997 §5a Abs1, §32 Abs2
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
VfGG §88
ZPO §54 Abs1

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Zurückweisung von Asylanträgen durch den unabhängigen Bundesasylsenat nach Ausweisung des Asylwerbers; Verpflichtung des UBAS zur Entscheidung über Berufungen auch bei mangelnder aufschiebender Wirkung der Berufung und zwischenzeitiger Verbringung des Asylwerbers ins Ausland

Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit je 1.962 Euro bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer zu B1019/04 ist Staatsangehöriger der russischen Föderation und beantragte am 19. Mai 2004 beim Bundesasylamt die Asylgewährung. Das Bundesasylamt hat den Antrag des Asylwerbers mit Bescheid vom 9. Juni 2004 gemäß §5 Abs1 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76 idF BGBl. I Nr. 101/2003 (im Folgenden kurz: AsylG) als unzulässig zurückgewiesen. Ferner wurde gemäß Art13 iVm Art16 Abs1 litc der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. Nr. L 50 vom 25.2.2003; im Folgenden kurz:

Dublin II-VO), die Slowakei für die Prüfung des Asylantrages für zuständig erklärt und der Beschwerdeführer gemäß §5a Abs1 iVm §5a Abs4 AsylG in die Slowakei ausgewiesen. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung an den unabhängigen Bundesasylsenat (im Folgenden kurz: UBAS). Mit Bericht des Bundesasylamtes, Außenstelle Traiskirchen, vom 25. Juni 2004 wurde dem UBAS ein Bericht der Bezirkshauptmannschaft Baden, Außenstelle Traiskirchen, vom 24. Juni 2004 übermittelt, wonach der Asylwerber am 22. Juni 2004 über die Grenzkontrolle Kittsee nach der Slowakei verbracht worden ist.

Mit Bescheid vom 29. Juni 2004 behob der UBAS den bekämpften Bescheid des Bundesasylamtes ersatzlos und wies den Asylantrag gemäß §2 Abs1 AsylG als unzulässig zurück. Als Begründung führte der UBAS u. a. aus:

"Wie im Sachverhalt festgestellt, hat der Berufungswerber das österreichische Bundesgebiet verlassen.

Da im Fall des Asylwerbers die Prozessvoraussetzung des Aufenthaltes im Bundesgebiet nach dem oben Gesagten im Laufe des Verfahrens weggefallen ist, war spruchgemäß zu entscheiden."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die zu B1019/04 protokollierte, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde.

2. Die Beschwerdeführerin zu B1047/04 ist die Ehegattin des Beschwerdeführers zu B1019/04 und ebenfalls Staatsangehörige der russischen Föderation. Auch ihr Antrag auf Gewährung von Asyl wurde vom Bundesasylamt gemäß §5 Abs1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen, für die Prüfung des Asylantrages die Slowakei für zuständig erklärt und sie selbst in die Slowakei ausgewiesen. Im Anschluss daran wurde sie am 22. Juni 2004 über die Grenzkontrollstelle Kittsee nach der Slowakei verbracht. In Erledigung der Berufung der Beschwerdeführerin behob der UBAS auch in diesem Fall den Bescheid des Bundesasylamtes ersatzlos und wies den Asylantrag gemäß §2 Abs1 AsylG als unzulässig zurück. Die Begründung des Bescheides ist identisch mit der bereits oben wörtlich wiedergegebenen Begründung.

Gegen den Bescheid des UBAS vom 29. Juni 2004 richtet sich die zu B1047/04 protokollierte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof.

3. Der Beschwerdeführer zu B1233/04 ist auch Staatsangehöriger der russischen Föderation und beantragte am 1. Juli 2004 die Asylgewährung beim Bundesasylamt, welches den Antrag mit Bescheid vom 28. Juli 2004 ebenfalls als unzulässig zurückwies und mit Erklärung der Zuständigkeit Tschechiens den Beschwerdeführer nach Tschechien auswies. Mit Schreiben vom 9. August 2004 teilte die Bezirkshauptmannschaft Baden mit, dass der Beschwerdeführer am 5. August 2004 nach Tschechien verbracht wurde. Mit Bescheid vom 13. August 2004 erledigte der UBAS - wie bereits in den Fällen zuvor sowie mit wortidentener Begründung - die vom Beschwerdeführer eingebrachte Berufung, indem er den erstinstanzlichen Bescheid behob und den Asylantrag zurückwies.

Gegen diesen Bescheid des UBAS richtet sich die zu B1233/04 protokollierte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof.

4. Die Verfahren wurden in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 Abs2 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden.

5. In den Beschwerden wird jeweils ausgeführt, dass durch den Zusammenhang des §5a Abs1 und §32 Abs2 AsylG einerseits und §2 Abs1 AsylG andererseits den Beschwerdeführern ein effektiver Rechtschutz genommen werde. Die Beschwerdeführer hätten zwar rechtzeitig Berufung an den UBAS erhoben, doch würden sie - folgt man der Ansicht des UBAS - durch die Überstellung ins Ausland die rechtliche Möglichkeit verlieren, Entscheidungen nach §5 AsylG erfolgreich bekämpfen zu können. Die Anwendung der genannten Bestimmungen verstoße auch gegen das rechtstaatliche Prinzip und das Recht auf Gleichheit.

Die Beschwerdeführer regen an, Teile der genannten Bestimmungen in Prüfung zu ziehen, sofern sich eine verfassungskonforme Auslegung als nicht möglich erweisen sollte, und beantragen, die angefochtenen Bescheide unter Kostenzuspruch aufzuheben.

Der UBAS legte zu B1019/04 und B1047/04 die Verwaltungsakten vor und erstattete zu diesen Beschwerden Gegenschriften, in welchen er die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden beantragt, ohne jedoch zu den Ausführungen in den Beschwerden inhaltlich Stellung zu nehmen. Zur Beschwerde B1233/04 kam der UBAS der vom Gerichtshof verfügten Aufforderung zur Äußerung und Akten(wieder)vorlage nicht fristgerecht nach.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die zulässigen Beschwerden erwogen:

1. Mit Erkenntnis vom 15. Oktober 2004, G237/03 ua., hat der Verfassungsgerichtshof den zweiten Satz des §32 Abs2 sowie den zweiten Satz des §5a Abs1 AsylG als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, dass diese Bestimmungen nicht mehr anzuwenden seien.

2. §2 Abs1 AsylG sieht vor, dass Fremde, die sich im Bundesgebiet aufhalten, nach den Bestimmungen des Bundesgesetzes Asyl und die Feststellung, dass sie damit kraft Gesetzes Flüchtlinge sind, erlangen. Wird hingegen ein Fremder mangels aufschiebender Wirkung der Berufung auf Grund eines noch nicht rechtskräftigen Bescheides nach der Dublin II-VO an einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union überstellt, so ist dennoch über seine Berufung ungeachtet des §2 Abs1 AsylG zu entscheiden. Dies ergibt sich schon aus §19 Abs3 AsylG. Diese Bestimmung lautet:

"§19.

...

(3) Wird der Berufung eines Fremden, dessen Asylantrag vom Bundesasylamt als unzulässig zurückgewiesen wurde, stattgegeben (§32a), ist dem Fremden an der Grenzübergangsstelle unter Vorlage der Berufungsentscheidung die Wiedereinreise zu gewähren und er ist an das Bundesasylamt zur Ausstellung der Asylberechtigungskarte zu verweisen. Der Asylwerber hat sich unverzüglich zur nächstgelegenen Außenstelle des Bundesasylamtes zu begeben."

3. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden und nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und VfGH 11.10.2003, B679/03 ua.) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem (einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit.) verfassungsgesetzlich gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet ein Bescheid, wenn er auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn die Behörde dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als im Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001).

Die angefochtenen Bescheide verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander:

Die Auslegung des Gesetzes durch den UBAS widerspricht dem klaren Wortlaut des Gesetzes, welches eine Entscheidung über Berufungen auch dann vorsieht, wenn dieser Berufung keine aufschiebende Wirkung zukommt und daher der Berufungswerber noch vor der Entscheidung des UBAS außer Landes gebracht wird. Andernfalls wäre §19 Abs3 AsylG inhaltsleer. Die Auffassung des UBAS würde auch im Ergebnis zu einer völligen Versagung jedweden Rechtsschutzes vor dem UBAS führen, der nach Art129c BVG als Berufungsbehörde im Asylverfahren eingerichtet wurde. Die belangte Behörde hat damit dem einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt, der - hätte ihn das Gesetz - dieses auch im Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, erscheinen ließe.

Der Bescheid war daher aufzuheben.

III. 1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG; vom jeweils antragsgemäß zugesprochenen Kostenbetrag entfallen je 327 Euro auf die Umsatzsteuer. Dem mit Schriftsatz vom 4. Oktober 2004 gestellten Mehrbegehren zu B1233/04 war gemäß §54 Abs1 ZPO iVm §35 VfGG nicht stattzugeben, da die Pauschalgebühr nicht in der Beschwerde geltend gemacht wurde und der Beschwerdeführer damit rechnen musste, dass der Gerichtshof ohne vorangegangene mündliche Verhandlung über den Antrag entscheiden würde (vgl. VfSlg. 6980/1973, 9672/1983, 13.256/1992 ua.).

2. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG 1953 in nichtöffentlicher Sitzung ohne vorangegangene mündliche Verhandlung beschlossen werden.

Schlagworte

Asylrecht, Rechtsschutz, VfGH / Aufhebung Wirkung, VfGH / Kosten, Wirkung aufschiebende

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:B1019.2004

Dokumentnummer

JFT_09958785_04B01019_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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