RS Vfgh 1996/3/1 B1822/94

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Veröffentlicht am 01.03.1996
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Index

72 Wissenschaft, Hochschulen
72/13 Studienförderung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
StudFG 1992 §19

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch verfassungswidrige Gesetzesauslegung bei Abweisung eines Antrags auf Gewährung der Nachsicht von der Überschreitung der Studienzeit wegen Pflege und Erziehung eines Kindes; verfassungskonforme Auslegung geboten

Rechtssatz

Der Verfassungsgerichtshof teilt die Auffassung der Beschwerdeführerin, daß die Regelung des §19 Abs6 Z2 StudFG 1992 dem auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgrundsatz widersprechen würde, wollte man ihr den Inhalt unterstellen, daß die in §19 Abs4 StudFG 1992 ausdrücklich geregelte "Pflege und Erziehung eines Kindes vor Vollendung des dritten Lebensjahres, zu der der Studierende während seines Studiums gesetzlich verpflichtet ist," nicht als ein wichtiger Grund für die Nachsicht der Studienzeitüberschreitung in Betracht käme.

Der Gesichtspunkt, daß es bei der Erteilung der Nachsicht faktisch zu einem Verdoppelungseffekt für jedes Semester der gerechtfertigten Studienzeitüberschreitung komme, da mehr als die Hälfte der Studienzeitüberschreitung gerechtfertigt sein müsse, könnte keine sachliche Rechtfertigung für eine zwischen dem Tatbestand des §19 Abs4 StudFG 1992 und den (sonstigen) in §19 Abs2 StudFG 1992 geregelten Tatbeständen differenzierende Regelung bilden. Ebensowenig trifft es aber auch zu, daß es wegen der im Unterhaltsrecht begründeten Unterschiede im Anspruch an die Eltern auf Finanzierung einer Hochschulausbildung gerechtfertigt sei, für das Diplomstudium einerseits und das Doktoratsstudium andererseits unterschiedliche Anspruchsvoraussetzungen vorzusehen, was die verlangten Studienleistungen anlangt.

Der Verfassungsgerichtshof meint aber auch, daß die fragliche Regelung durchaus einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich ist.

Der Tatbestand der Pflege und Erziehung eines Kindes vor Vollendung des dritten Lebensjahres, zu der der Studierende während seines Studiums gesetzlich verpflichtet ist, läßt sich von seinem Wortlaut her durchaus als ein Unterfall des im §19 Abs2 Z3 StudFG 1992 genannten Tatbestandes (arg: "jedes unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignis") deuten. In dieser Deutung würde §19 Abs4 StudFG 1992 somit eine präzisierende Regelung für eben diesen Unterfall eines "unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignisses" darstellen.

Der Begriff des "wichtigen Grundes" im Sinne des §19 Abs2 StudFG 1992 ist identisch mit jenem des Abs1 leg cit. Wenn dies aber so ist, dann muß der Tatbestand der "Pflege und Erziehung eines Kindes vor Vollendung des dritten Lebensjahres, zu der der Studierende während seines Studiums gesetzlich verpflichtet ist", im Sinne des §19 Abs4 begrifflich auch einem der in §19 Abs2 StudFG genannten Tatbestände unterfallen.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Auslegung verfassungskonforme, Hochschulen, Studienbeihilfen, geschlechtsspezifische Differenzierungen, Gleichheit Frau-Mann, Diskriminierung mittelbare

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1996:B1822.1994

Dokumentnummer

JFR_10039699_94B01822_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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