TE Vfgh Erkenntnis 2004/12/16 B1575/03

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Veröffentlicht am 16.12.2004
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Index

32 Steuerrecht
32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art18
StGG Art5
BAO §117
EStG 1988 §95

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Nachforderung von Kapitalertragsteuer (KESt) wegen zu hoch ausgestellter Gutschriften, Depotentnahmen und Depotübertragungen nach dem Erwerb von Nullkuponanleihen durch Kunden eines Kreditinstitutes; keine Bedenken gegen die Heranziehung des zum Abzug der Steuer verpflichteten Kreditinstitutes zur Haftung; keine Willkür, keine Gesetzlosigkeit und keine Verletzung des Legalitätsprinzips durch Anwendung der finanzmathematischen Berechnungsmethode bei der Berechnung der Gutschriften; keine Verletzung des Vertrauensschutzes durch die Nichtanwendung der in Richtlinien des Finanzministeriums ebenfalls zugelassenen linearen Berechnungsmethode

Spruch

Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abgetreten, ob die beschwerdeführende Partei durch den angefochtenen Bescheid in einem sonstigen Recht verletzt worden ist.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Kunden der beschwerdeführenden (bf.) Gesellschaft, eines Kreditinstitutes, hatten im Zeitraum Juli 1998 bis November 2000 Nullkuponanleihen (Zero-Bonds) erworben. Nach Angaben der bf. Gesellschaft habe sie diese Wertpapiere nicht in ihrem Portefeuille gehabt und auch nicht beworben. Regelmäßig hätten Kunden bestimmte Wertpapiere geordert, die die bf. Gesellschaft aus dem Ausland beschafft habe. Die Zinsen für Zwecke der Kapitalertragsteuer-Gutschrift wurden seitens der bf. Gesellschaft - nach ihrem Vorbringen entsprechend dem im Bankenbereich damals "gängige[n]" Abrechnungssystem EOS (später GEOS) - nach der sog. linearen Berechnungsmethode ermittelt. Die solcherart errechneten Gutschriften an Kapitalertragsteuer (KESt) seien den jeweiligen Abrechnungen mit den Kunden betreffend den Wertpapiererwerb und, korrespondierend dazu, den KESt-Anmeldungen an das Finanzamt zu Grunde gelegt worden. Dies sei seitens des Finanzamtes vorerst nicht beanstandet worden. Für die Kunden habe die KESt-Gutschrift eine entsprechende Minderung des Kaufpreises der Wertpapiere bewirkt.

Erst anlässlich einer späteren Betriebsprüfung sei die lineare Berechnungsmethode in den zugrunde liegenden Fällen für nicht anwendbar erklärt worden, weil das nach der linearen Berechnungsmethode errechnete Ergebnis unverhältnismäßig von jenem nach der sog. finanzmathematischen Ermittlung abgewichen sei.

Zum Teil seien die Nullkuponanleihen nach dem Erwerb von den Kunden körperlich aus dem Wertpapierdepot entnommen worden, worin die Finanzverwaltung nunmehr in Änderung ihrer Praxis - wie bei einer Veräußerung - einen KESt-pflichtigen Vorgang gesehen habe.

2. Dementsprechend wurden der bf. Gesellschaft mit Haftungs- und Abgabenbescheiden für den genannten Zeitraum Nachforderungen an KESt wegen zu hoch ausgestellter Gutschriften, Depotentnahmen und Depotübertragungen vorgeschrieben. Mit dem angefochtenen Bescheid des Unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom 23. Oktober 2003 wurde die Berufung der bf. Gesellschaft gegen die KESt-Nachforderungen betreffend KESt-Gutschriften und Depotentnahmen als unbegründet abgewiesen.

3. Zur Rechtslage:

3.1. Nach §27 Abs2 Z2 EStG 1988 gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch "Unterschiedsbeträge zwischen dem Ausgabewert eines Wertpapiers und dem im Wertpapier festgelegten Einlösungswert, wenn diese 2% des Wertpapiernominales übersteigen."

Im Falle des vorzeitigen Rückkaufes tritt an die Stelle des Einlösungswertes der Rückkaufpreis. Sofern derartige Unterschiedsbeträge im Rahmen eines Betriebsvermögens erzielt werden, ergibt sich die Steuerpflicht bereits aus dem Gewinnbegriff des §4 EStG 1988.

Gemäß §93 Abs1 EStG 1988 wird die Einkommensteuer bei im Inland bezogenen Kapitalerträgen aus Forderungswertpapieren durch Abzug vom Kapitalertrag erhoben. §93 Abs4 Z2 EStG 1988 erklärt auch Unterschiedsbeträge gemäß §27 Abs2 Z2 leg.cit. für KESt-pflichtig.

Betreffend die "Höhe und Einbehaltung der Kapitalertragsteuer" bestimmt §95 EStG 1988 idF vor Inkrafttreten der Novelle BGBl. I 71/2003 (das ist der 21. August 2003) Folgendes:

"§95. (1) Die Kapitalertragsteuer beträgt 25%.

(2) Schuldner der Kapitalertragsteuer ist der Empfänger der Kapitalerträge. Die Kapitalertragsteuer ist durch Abzug einzubehalten. Der zum Abzug Verpflichtete (Abs3) haftet dem Bund für die Einbehaltung und Abfuhr der Kapitalertragsteuer.

(3) Zum Abzug der Kapitalertragsteuer ist verpflichtet:

1. Bei inländischen Kapitalerträgen (§93 Abs2) der Schuldner der Kapitalerträge.

2. Bei im Inland bezogenen Kapitalerträgen aus Forderungswertpapieren (§93 Abs3) die kuponauszahlende Stelle. Kuponauszahlende Stelle ist

-

das Kreditinstitut, das an den Kuponinhaber Kapitalerträge im Zeitpunkt der Fälligkeit und anteilige Kapitalerträge anläßlich der Veräußerung des Wertpapiers auszahlt,

-

der inländische Emittent, der an den Kuponinhaber solche Kapitalerträge auszahlt.

              3.              Ein Dritter, der Kapitalerträge im Sinne des §93 Abs4 gewährt.

(4) Der zum Abzug Verpflichtete hat die Kapitalertragsteuer im Zeitpunkt des Zufließens der Kapitalerträge abzuziehen. Die Kapitalerträge gelten für Zwecke der Einbehaltung der Kapitalertragsteuer als zugeflossen:

1. Bei Kapitalerträgen, deren Ausschüttung von einer Körperschaft beschlossen wird, an jenem Tag, der im Beschluß als Tag der Auszahlung bestimmt ist. Wird im Beschluß kein Tag der Auszahlung bestimmt, so gilt der Tag nach der Beschlußfassung als Zeitpunkt des Zufließens.

2. Bei Einkünften aus der Beteiligung an einem Handelsgewerbe als stiller Gesellschafter in jenem Zeitpunkt, der im Beteiligungsvertrag als Zeitpunkt der Ausschüttung bestimmt ist. Wird im Beteiligungsvertrag darüber keine Vereinbarung getroffen, so gilt als Zeitpunkt des Zufließens der Tag nach Aufstellung des Jahresabschlusses oder einer sonstigen Feststellung des Gewinnanteiles des stillen Gesellschafters.

3. Bei Kapitalerträgen aus Forderungswertpapieren im Zeitpunkt der Fälligkeit der Kapitalerträge und im Zeitpunkt des Zufließens (§19) anteiliger Kapitalerträge anläßlich der Veräußerung des Wertpapiers oder des Wertpapierkupons. Die Meldung des Eintritts von Umständen, die die Abzugspflicht beenden oder begründen (insbesondere Befreiungserklärung oder Widerrufserklärung), oder die Zustellung eines Bescheides im Sinne des §94 Z5 letzter Satz gilt als Veräußerung.

4. Bei anderen Kapitalerträgen, insbesondere bei Zinserträgen aus Geldeinlagen und sonstigen Forderungen bei Kreditinstituten, nach Maßgabe des §19. Bei Meldung des Eintritts von Umständen, die die Abzugspflicht beenden oder begründen (insbesondere Befreiungserklärung oder Widerrufserklärung), oder bei Zustellung eines Bescheides im Sinne des §94 Z5 letzter Satz gilt der Zinsertrag, der auf den Zeitraum vom letzten Zufließen gemäß §19 bis zur Meldung oder Zustellung entfällt, als zugeflossen.

(5) Dem Empfänger der Kapitalerträge ist die Kapitalertragsteuer ausnahmsweise vorzuschreiben, wenn

1. der zum Abzug Verpflichtete die Kapitalerträge nicht vorschriftsmäßig gekürzt hat oder

2. der Empfänger weiß, daß der Schuldner die einbehaltene Kapitalertragsteuer nicht vorschriftsmäßig abgeführt hat und dies dem Finanzamt nicht unverzüglich mitteilt.

(6) Werden Kapitalerträge rückgängig gemacht, dann sind von dem zum Abzug Verpflichteten die entsprechenden Beträge an Kapitalertragsteuer gutzuschreiben. Die gutgeschriebene Kapitalertragsteuer darf die von den rückgängig gemachten Kapitalerträgen erhobene oder zu erhebende Kapitalertragsteuer nicht übersteigen."

3.2. Die "Richtlinien zur Erhebung der Kapitalertragsteuer von Kapitalerträgen aus Einlagen und Forderungswertpapieren" (Erlass des BM für Finanzen vom 12. Februar 1993, AÖF 158/1993, im Folgenden:

KESt-RL 1993) geben die Rechtsansicht des BM für Finanzen zu den betreffenden Tatbeständen des EStG 1988 bekannt.

Punkt 3.3 der KESt-RL 1993 erläutert, dass zu den Kapitalerträgen bei Wertpapieren nicht nur die periodischen Zinsen, sondern auch der jeweilige Unterschiedsbetrag zwischen dem Ausgabewert und dem im Wertpapier festgelegten Einlösungswert zähle. Als Beispiel wird eine Nullanleihe mit einem Emissionskurs von 46 und einem Einlösungswert von 100 genannt, bei der (somit) ein Kapitalertrag von 54 anfalle. Punkt 4.5 der KESt-RL 1993 betrifft den Steuerabzug bei Unterschiedsbeträgen zwischen Ausgabe- und Einlösungswert eines Wertpapiers im Sinn des Punktes 3.3. Die KESt-RL 1993 vertreten die Auffassung, dass die KESt-Abzugspflicht grundsätzlich erst am Ende der Laufzeit bzw. bei vorzeitiger Einlösung des Wertpapiers entstehe. Bei Verkauf vor dem Ende der Laufzeit sei für den zeitanteiligen Kapitalertrag des Veräußerers im Zeitpunkt der Veräußerung Abzugspflicht gegeben. Wörtlich heißt es dann: "Es bestehen keine Bedenken, wenn der zeitanteilige Kapitalertrag unter sinngemäßer Anwendung der in Punkt 5.1 dargestellten Formel ermittelt wird." Die betreffende Formel sieht die Ermittlung des monatlichen Kapitalertrages nach einer linearen Methode vor, bei der die Differenz zwischen Einlösungswert und Ausgabewert durch die Anzahl der vollen Monate zwischen Ausgabe und Einlösung dividiert wird.

Diese Auffassung wird durch den - nicht im AÖF veröffentlichten - Erlass des BM für Finanzen vom 23. August 2000 bestätigt (RdW 2000, 696). In diesem Erlass wird auf Punkt 4.5 der KESt-RL 1993 Bezug genommen und die Auffassung vertreten, dass bei Veräußerung eines Wertpapiers vor dem Ende der Laufzeit für den zeitanteiligen Kapitalertrag des Veräußerers Abzugspflicht gegeben sei. Weiter wird ausgeführt: "Die Berechnung dieser anteiligen Kapitalerträge hat grundsätzlich finanzmathematisch zu erfolgen; die KESt-Richtlinien erlauben allerdings auch eine (vereinfachte) Berechnung anhand der in Pkt 5.1 dargestellten Formel."

3.3. Rz 6186 der Einkommensteuerrichtlinien 2000 (ESt-RL 2000), ausgegeben am 21. Dezember 2000, AÖF 232/2000, erläutert, dass Nullkuponanleihen Anleihen seien, mit denen üblicherweise kein Anspruch auf laufende Zinsen verbunden sei; an Stelle dessen liege der Ausgabepreis unter dem Einlösewert. Mit fortschreitender Laufzeit steige der innere Wert und erreiche am Ende der Laufzeit den Einlösewert. Dieser Differenzbetrag, der wirtschaftlich betrachtet nicht ausbezahlten und neuerlich verzinsten Zinsen gleichkomme, führe bei Einlösung zum Zufluss von Kapitaleinkünften. Bei vorzeitigem Verkauf (während der Laufzeit) trete an die Stelle des Einlösewertes der Verkaufspreis. Kapitalerträge lägen jedoch nur in Höhe der Differenz zwischen dem Ausgabewert und dem inneren Wert im Veräußerungszeitpunkt vor. Dieser innere Wert errechne sich durch Aufzinsung des Ausgabepreises mit dem Renditezinssatz. Sofern sich keine wesentlichen Abweichungen zu dem sich durch Aufzinsung des Ausgabepreises ermittelten Zinsertrag ergäben, bestünden jedoch keine Bedenken, den anteiligen Zinsertrag anhand der linearen Berechnungsmethode zu ermitteln.

Mit dem Erlass des BM für Finanzen vom 12. Juni 2001, "Änderung der EStR bei der Besteuerung von Kapitalanlagen", AÖF 145/2001, ausgegeben am 18. Juli 2001, wurde Rz 6186 der ESt-RL 2000 dahingehend geändert, dass nunmehr eine bestimmte finanzmathematische Methode zur Berechnung der anteiligen Zinserträge angegeben wird. Es bestünden jedoch keine Bedenken, wenn anlässlich von steuerpflichtigen Vorgängen, die vor dem 1. Februar 2001 gelegen seien, der innere Wert nach der linearen Bemessungsgrundlage ermittelt werde. Diese Art der Schätzung sei jedoch nur zulässig, wenn keine wesentliche Abweichung zum Ergebnis nach der vorher dargelegten Zinseszinsformel bestehe und somit das Schätzungsergebnis dem tatsächlichen Ergebnis nahe komme.

3.4. Rz 6187 der ESt-RL 2000 idF AÖF 232/2000 enthielt folgende Aussage zum "Zufluss" von Kapitalerträgen im Zusammenhang mit Nullkuponanleihen:

"Ein Zufluss im Sinne des §19 EStG erfolgt erst bei Tilgung am Ende der Laufzeit (VwGH 5.7.1994, 91/14/0064). Hinsichtlich der Verrechnung der Kapitalertragsteuer siehe Rz 7758 ff. Wertveränderungen, die auf bloße Schwankungen des marktüblichen Zinsniveaus zurückzuführen sind, bilden allenfalls Spekulationseinkünfte im Veräußerungszeitpunkt.

Beispiel:

Eine Nullkuponanleihe mit fünfjähriger Laufzeit wird mit einem Ausgabepreis von 75 S und einem Einlösewert von 100 S begeben. Dies entspricht einem Renditezinssatz von 5,92%. Nach 10-monatiger Laufzeit beträgt der innere Wert 78,7 S. Wird die Nullkuponanleihe zu diesem Zeitpunkt zum Preis von 80 S verkauft, liegen Kapitaleinkünfte in Höhe von 3,7 S vor, die jedoch erst im Zeitpunkt der Einlösung (Laufzeitende) als zugeflossen im Sinne des §19 gelten. Ein Spekulationsgewinn in Höhe von 1,3 S fällt im Veräußerungszeitpunkt an."

Mit Erlass vom 12. Juni 2001 (AÖF 145/2001) wurden die hervorgehobenen Worte gestrichen (sowie die Beträge geändert).

3.5. Fallen bei Forderungswertpapieren die Voraussetzungen für die Abzugspflicht oder für die Befreiung von der Abzugspflicht weg, gilt die Meldung hierüber als Veräußerung des Wertpapiers (§95 Abs4 Z3 EStG 1988). Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist eine solche Änderung der Grundlagen für den Steuerabzug u.a. bei Wegfall oder Begründung einer kuponauszahlenden Stelle im Inland gegeben (Rz 7762 ESt-RL 2000 idF AÖF 232/2000), nicht hingegen bei einem Depotübertrag (so auch zwischen Kreditinstituten mit unterschiedlichen Zinsberechnungsmethoden), sofern sich der KESt-Status nicht ändert (Rz 7764 ESt-RL 2000 idF AÖF 232/2000).

Mit Erlass des BM für Finanzen vom 12. Juni 2001 (AÖF 145/2001) wurde Rz 7764 der ESt-RL 2000 folgendermaßen geändert:

"Eine Änderung der für den KESt-Abzug maßgeblichen Grundlagen liegt hingegen bei einem Depotübertrag auf ein Depot desselben oder eines anderen Kunden auf ein Depot derselben oder einem anderen inländischen Kreditinstitut nur dann nicht vor, wenn sich der KESt-Status nicht ändert. Eine Änderung des KESt-Status liegt auch bei Depotüberträgen zwischen Banken mit unterschiedlichen Zinsberechnungsmethoden (zB bei Unterschiedsbeträgen) nicht vor.

Hingegen ist grundsätzlich von einer Änderung der für den KESt-Abzug maßgeblichen Grundlagen auszugehen, wenn ein Forderungswertpapier aus dem Depot entnommen und der Bank kein Nachweis über einen Depotwechsel erbracht wird. In diesem Fall gilt die Entnahme des Wertpapiers als Veräußerung und es ist für den zeitanteiligen Kapitalertrag Abzugspflicht gegeben (§95 Abs4 Z4 EStG 1988). Bei Forderungswertpapieren mit laufender Verzinsung kann aus Vereinfachungsgründen vom KESt-Abzug abgesehen werden, während bei Nullkuponanleihen (vgl. Rz 6186) und ähnlichen Wertpapieren jedenfalls ein KESt-Abzug vorzunehmen ist. Liegt ein Nachweis über die dabei entrichtete KESt vor, so kann diese bei einer späteren Veräußerung oder Tilgung des Wertpapieres angerechnet werden."

4. In der gegen den angefochtenen Bescheid gerichteten Beschwerde gemäß Art144 B-VG wird die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Unversehrtheit des Eigentums und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie in Rechten wegen Anwendung verfassungswidriger Gesetze gerügt und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt.

4.1. Die bf. Gesellschaft ist zunächst der Auffassung, dass der die Haftung für die Einbehaltung und Abfuhr der KESt anordnende §95 Abs2 EStG 1988 auf die konkreten Sachverhalte (Ausstellung der KESt-Gutschriften und Entnahme-KESt) von vornherein nicht anwendbar sei. Diese Bestimmung regle den Fall, dass der zum Abzug Verpflichtete - der Schuldner der Kapitalerträge oder die kuponauszahlende Stelle (vgl. §95 Abs3 EStG 1988) - einen Teil der (an den Gläubiger auszuzahlenden) Kapitalerträge durch Abzug einbehalte (und dem Fiskus zukommen lasse) und nur den Rest auszahle. Im Fall der "Abwicklung" der KESt-Gutschriften gehe es aber nicht um die Einbehaltung und Abfuhr von KESt; es gebe nichts, wovon die bf. Gesellschaft die KESt "durch Abzug" einbehalten hätte können. Die Kunden würden vielmehr den Kaufpreis vorerst vermindert um die (beiderseitig) erwartete KESt-Gutschrift bezahlen und seien für den Fall, dass die bf. Gesellschaft die erwartete KESt-Gutschrift vom Finanzamt nicht im vollen Ausmaß erhalte, den Rest schuldig. Die über die bf. Gesellschaft lediglich abgewickelten KESt-Gutschriften seien nicht ihr, sondern ausschließlich den Kunden zugute gekommen, die eben zu wenig auf den Kaufpreis bezahlt hätten. Eine gesetzliche Haftungsanordnung für den Fall, dass sich die KESt-Gutschriften (allenfalls) als überhöht erwiesen, fehle und könne auch nicht mit dem Hinweis auf (den die Abfuhr der KESt betreffenden) §96 EStG 1988, in dem mehrfach von "einbehaltenen Steuerbeträge[n] abzüglich gutgeschriebener Beträge" die Rede sei, argumentiert werden. Nachdem die bf. Gesellschaft an den Kuponinhaber auch nicht anteilige Kapitalerträge anlässlich der Veräußerung ausbezahlt habe, sei sie auch keine "kuponauszahlende Stelle" iSd §95 Abs3 Z2 1. Teilstrich EStG 1988.

Bei der "Entnahme-KESt" gehe es zwar um "Einbehaltung und Abfuhr"; es fließe im Fall der körperlichen Entnahmen bzw. Ausfolgung der Nullkuponanleihen aus dem Depot an die Kunden aber kein Geldbetrag, von dem etwas einbehalten werden könne.

Der Haftungsbescheid sei daher gesetzlos ergangen.

4.2. Sollte §95 Abs2 (3. Satz) EStG 1988 auf die konkreten Sachverhalte anwendbar sein, sei diese Bestimmung aus mehreren Gründen verfassungswidrig.

4.2.1. Zunächst erweise ein Vergleich mit den "gängigen" Haftungsregelungen (insbesondere für Fälle der Verpflichtung zur Einhebung und Abfuhr von von Dritten geschuldeten Abgaben), die oft eine verschuldensabhängige Haftung, eine Haftungsfreistellung für das Berufsrisiko entsprechend §9 Abs2 BAO sowie ferner eine betragliche Limitierung vorsehen würden, die Unsachlichkeit des §95 Abs2 (3. Satz) EStG 1988. Selbst wenn eine Haftung "vom Ansatz her" nämlich sachlich gerechtfertigt wäre, müsste eine adäquate Begrenzung des Haftungsumfanges gegeben sein; eine Haftungsregelung dürfe "nicht übermäßig" sein. Die bf. Gesellschaft habe keineswegs Berufspflichten eines Kreditinstitutes verletzt.

4.2.2. Die Sachlichkeit der Haftungsbestimmung müsse entsprechend der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes auch unter dem Gesichtspunkt beurteilt werden, dass - aus Vereinfachungsgründen - der Fiskus mit dem Einhebungsaufwand bei den einzelnen Steuerschuldnern entlastet und die Abwicklung bei den Kreditinstituten kanalisiert sei. Die bf. Gesellschaft verweist dabei insbesondere auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 16.817/2003 zur "Wiener Ankündigungsabgabe" und zur Rückzahlungssperrregelung in der WAO und auf VfSlg. 15.773/2000 zur Spekulationsertragsteuer (SpESt); die dort erkannten Voraussetzungen für eine sachlich begründete Haftung lägen im konkreten Fall nicht vor; insbesondere sei die bf. Gesellschaft in keine steuerschuldbegründenden Ereignisse involviert und gebe es keine besonderen Umstände, die die Haftung rechtfertigen könnten. Unsachlich sei daher eine Bestimmung, die das Ausfallsrisiko des Abgabengläubigers auf den Einhebungsverpflichteten überwälze. Dementsprechend gebe es in anderen Gesetzen Regelungen über einen Haftungsausschluss (z.B. §6 Abs3 ElektrizitätsabgabeG; §7 Abs3 ErdgasabgabeG) bzw. einen Risikozuschlag (§11 Abs3 [gemeint offenbar §13 Abs3] SicherheitsbeitragsG).

Wenn der Abgabengläubiger den Einhebungsaufwand auf Dritte übertrage, müsse - sollten Fehler bei der Anwendung unterlaufen - berücksichtigt werden, ob diese bei der Gesetzesauslegung bzw. Berechnung verschuldet worden seien oder auf eine unklare gesetzliche Regelung zurückzuführen seien. Unsachlich sei es - wie ein Vergleich mit "ähnlichen Institutionen des Abgabenrechts" (z.B. §3 Abs4a GebührenG) - zeige, die bf. Gesellschaft für jeden Auslegungs- bzw. Berechnungsfehler haftbar zu machen. Es müsse jeweils klare Vorgaben geben, wie bei der Einhebung vorzugehen sei. Zu diesen Vorgaben zählten die KESt-RL 1993, auf deren Rechtsbeständigkeit und Richtigkeit die bf. Gesellschaft vertraut und an die sie sich gehalten habe. Es sei sachlich nicht gerechtfertigt, die bf. Gesellschaft nach einer - für die bf. Gesellschaft nicht vorhersehbaren - rückwirkenden Änderung der Richtlinien zur Haftung heranzuziehen.

4.2.3. Weiters seien die vom Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis zur Gebührenerhöhung (VfSlg. 10.812/1986) definierten Grundsätze einer verfassungskonformen Gebührenerhöhung aus Gleichheitserwägungen auf den konkreten Fall zu übertragen: Die Haftungsbeträge müssten demnach "vergleichsweise niedrig" sein und "aufgrund klar erkennbarer Tatbestände geschuldet" werden und müssten insbesondere auf zweifelsfreie Weise errechenbar sein. Sämtliche Voraussetzungen seien im konkreten Fall nicht gegeben.

4.2.4. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (die Beschwerde verweist erneut auf VfSlg. 15.773/2000) dürfe der Gesetzgeber nur solche Personen für haftungspflichtig erklären, bei denen eine Haftung sachlich begründet sei; außerdem dürften die konkreten Folgen einer (wenngleich sachlich begründeten) Haftung nicht unverhältnismäßig sein. Der Verfassungsgerichtshof habe dabei auch darauf abgestellt, ob ein "zivilrechtliches Verhältnis" hinsichtlich des verwirklichten abgabenrechtlichen Tatbestandes vorliege. Dieses müsse nach Ansicht der bf. Gesellschaft (unter Hinweis auf die verfassungsgerichtliche Judikatur und Literatur) aber ein solches sein, "dass es eine sachlich begründete rechtliche Beziehung zwischen Abgabenschuldner und Haftendem in bezug auf den abgabepflichtigen Tatbestand ergibt". In Anbetracht der zitierten Judikatur und "angesichts des durch sie geschaffenen Beurteilungsmaßstabes" reiche das zwischen der bf. Gesellschaft und dem Abgabenschuldner bestehende (zivilrechtliche) Depotverhältnis für eine sachliche Rechtfertigung der Haftung für Depotentnahmen nicht aus. Das zivilrechtliche Rechtsverhältnis des Depotvertrages betreffe nämlich die Verwahrung und Verwaltung von Wertpapieren für andere und nicht den (strittigen) Tatbestand einer allfälligen Entnahme-KESt.

Der Verfassungsgerichtshof habe in seiner Haftungsjudikatur zum einen auf die Höhe der Abgabenverbindlichkeit, zum anderen auf die Möglichkeit einer vertraglichen (zivilrechtlichen) Absicherung abgestellt. Eine solche Absicherung sei im konkreten Fall der Haftungsinanspruchnahme für erhöhte KESt-Gutschriften daran gescheitert, dass eine rückwirkende Änderung der entsprechenden Richtlinien nicht vorherzusehen gewesen sei. Eine KESt-Pflicht für Depotentnahmen sei nicht in den KESt-RL 1993 enthalten gewesen und auch dem Gesetz nicht zu entnehmen.

Die Kreditinstitute seien mit einem unzumutbaren Prozessrisiko hinsichtlich zivilrechtlicher Auseinandersetzungen mit ihren Kunden sowie einem Ausfallsrisiko konfrontiert. Diese Risiken seien aber vom Abgabengläubiger zu tragen. Die Rechtsansicht der Finanzverwaltung sei daher exzessiv, die Gesetzeslage "übermäßig".

Insbesondere lägen im Fall der Haftung für "Entnahme-KESt" die vom Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis zur SpESt (VfSlg. 15.773/2000) aufgestellten Kriterien für eine sachgerechte Haftung nicht vor: Wenn in diesem Erkenntnis (u.a.) darauf abgestellt worden sei, dass entsprechende Informationen nicht zugänglich seien bzw. nicht in erforderlicher Deutlichkeit erlangt werden könnten, so müsse eine Unsachlichkeit auch dann angenommen werden, wenn der Abgabengläubiger nicht in der erforderlichen Deutlichkeit eine klare Regelung hinsichtlich der Berechnung der KESt bzw. der Steuerpflicht bloßer Depotentnahmen getroffen habe. Weiters habe der Verfassungsgerichtshof erkannt, dass ein "finanzielles Substrat des Steuerabzugs und der Steuerentrichtung" zur Verfügung stehen müsse, was im konkreten Fall nicht vorliege. Außerdem habe der Verfassungsgerichtshof in Fällen "geringere[r] Intensität der wirtschaftlichen und rechtlichen Beziehungen zum eigentlichen Steuerschuldner" es für unsachlich gehalten, dem Kreditinstitut das Risiko der Verfolgung zivilrechtlicher Regressansprüche aufzubürden oder ihm zuzumuten, durch zivilrechtliche Gestaltung für die eigene Absicherung vorzusorgen; jedenfalls für den Bereich der Depotentnahmen, aber auch für die Berechnung der KESt-Gutschriften träfen diese Überlegungen zu. Im Bereich der Depotentnahmen jedenfalls stünden die für die Steuerentrichtung erforderlichen finanziellen Mittel nicht zur Verfügung oder könnten nicht ohne weiteres beschafft bzw. zurückverlangt werden. Im Übrigen könnten die Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes im zitierten Erkenntnis betreffend die KESt (die den Unterschied der SpESt zur KESt herausstellten) nicht auf die vorliegenden Fälle übertragen werden, weil sie wohl nur Regelfälle KESt-pflichtiger Vorgänge betroffen hätten.

Eine sinngemäße Anwendung von Haftungsbestimmungen zu Lasten des Haftenden verbiete Art18 B-VG.

4.3. Des Weiteren vertritt die bf. Gesellschaft die Auffassung, dass die in §95 Abs3 EStG 1988 normierte Einbehaltungs- und Abfuhrpflicht (deren Anwendbarkeit auf die vorliegenden Sachverhalte, wie dargestellt, bestritten wird) angesichts ihrer umfassenden Haftungsbedrohung verfassungswidrig sei. Es sei grundsätzlich Aufgabe des Abgabengläubigers, sich um die "Einbringlichmachung" seiner Abgabenforderungen zu kümmern, somit den Sachverhalt zu ermitteln, die Abgabe festzusetzen und einzuheben und die Entrichtung bei Fälligkeit zu überwachen. Eine Überwälzung des gesamten Aufwandes auf einen Dritten verstoße gegen den Gleichheitssatz. Es gebe Fälle, in denen die normierte Verpflichtung ein - juristisch gesehen - formal unbeteiligtes Kreditinstitut treffen könne. So sei die Finanzverwaltung der (unzutreffenden) Rechtsansicht, dass bereits für die körperliche Entnahme von Nullkuponanleihen aus dem Depot KESt einzubehalten und abzuführen sei. Bei diesem rein faktischen Vorgang gebe es aber keinen Geldbetrag, von dem etwas einbehalten und abgeführt werden könne. Am (allenfalls) auf die Entnahme folgenden, KESt-auslösenden Veräußerungsgeschäft sei das Kreditinstitut nicht mehr beteiligt.

4.4. Sollten die genannten Bestimmungen verfassungskonform sein, habe die belangte Behörde, indem sie die bf. Gesellschaft (und nicht den Schuldner der KESt) zur Haftung herangezogen habe, dem Gesetz einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt. Die belangte Behörde habe die Anwendung des §95 Abs5 EStG 1988 auf den strittigen Fall der unrichtigen KESt-Gutschrift verneint, weil die Voraussetzungen für eine unmittelbare Inanspruchnahme des Steuerschuldners nicht vorlägen und diese Bestimmung wegen des darin enthaltenen Wortes "ausnahmsweise" auch nicht analog anwendbar sei. Die Heranziehung der bf. Gesellschaft zur Haftung sei daher nach Ansicht der belangten Behörde nicht in das Ermessen der Behörde gestellt gewesen. Damit erübrige sich auch die Frage, ob (alle) Bankkunden der Behörde bekannt seien.

Obwohl - wie die bf. Gesellschaft selbst ausführt - die belangte Behörde sich bei ihrer Argumentation nicht auf das Bankgeheimnis gestützt hat, wird von der bf. Gesellschaft dessen ungeachtet in weiterer Folge das "Problem des Bankgeheimnisses" erörtert: Es wäre - so die bf. Gesellschaft mit ausführlicher Begründung - gleichheitswidrig, könnte die sie treffende (strafbewehrte) Verpflichtung zur Wahrung des Bankgeheimnisses als Argument dazu dienen, ihren "Anspruch auf Ermessensanwendung" in der Frage, wer zur Haftung herangezogen wird, zu verneinen. Eine auf das Bankgeheimnis abstellende Argumentation sei auch methodisch verfehlt, weil §95 Abs5 leg.cit. eine gesetzliche Bestimmung mit umfassendem Anwendungsbereich darstelle und nicht auf Fälle beschränkt sei, in denen der zum Abzug Verpflichtete das Bankgeheimnis wahren müsse. Vielmehr sei es so, dass sich die Finanzverwaltung dagegen wehre, gegen ihr bekannte (oder ermittelbare) Abgabenschuldner vorzugehen und sich im Wissen um die Bonität der Kreditinstitute ausschließlich an diese wende und ihnen das Risiko überlasse. Diesen ausschließlich zum Nutzen des Abgabengläubigers und zu Lasten von Dritten gehenden Vereinfachungsbestrebungen seien durch die Verfassung Grenzen gesetzt, wenn damit (systembedingt) ein unsachliches Ergebnis erreicht werde. Bei gebotener generell-abstrakter Beurteilung dieser Bestimmung habe jeder potentiell Haftungspflichtige ein Recht auf Ermessensanwendung (§20 BAO) unter Berücksichtigung aller in Betracht kommender Umstände. Eine Verweigerung dieses Rechts stelle eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von Gleichem und eine denkunmögliche Gesetzesauslegung dar. §95 Abs5 EStG 1988 könne durchaus so gelesen werden, dass dem Empfänger der Kapitalerträge die KESt direkt vorgeschrieben werden dürfe. Gleichheitswidrig sei auch, dass die belangte Behörde zwar die Haftungsregel des §95 Abs2 EStG 1988 auf Fälle der KESt-Gutschriften ausdehne, hinsichtlich des §95 Abs5 leg.cit. jedoch den "korrespondierenden methodischen Schritt" verweigere. Auch damit würde Gleiches (bzw. anderwärts gleich Behandeltes) ungleich behandelt.

Weiters habe die belangte Behörde mit ihrer Argumentation den Fall der "Entnahme-KESt" nicht berücksichtigt. Angesichts des Vorwurfes der Finanzverwaltung, die bf. Gesellschaft habe bei den Depotentnahmen die Kapitalerträge nicht ordnungsgemäß gekürzt, läge ein Fall des §95 Abs5 Z1 EStG 1988 vor und habe die belangte Behörde, indem sie einen Anwendungsfall dieser Bestimmung verneint habe, diese denkunmöglich angewendet.

4.5. Sollte §95 Abs5 EStG 1988 allerdings so zu lesen sein, dass ausschließlich dem Kreditinstitut gegenüber die Haftung geltend gemacht werden könne, sei diese Bestimmung (eventualiter das Wort "ausnahmsweise") verfassungswidrig: Es sei sachlich nicht gerechtfertigt, nur für Zwecke der Haftung das Kreditinstitut im Analogieweg (Haftung für KESt-Gutschriften) heranzuziehen, die direkte Inanspruchnahme des KESt-Schuldners gemäß §95 Abs5 EStG 1988 bei Berechnungsfehlern aber von vornherein auszuschließen, d.h. dort eine Analogie zu verweigern. Es sei der Bankkunde, der voll in den Genuss der KESt-Gutschrift gekommen sei und der zu wenig auf den Kaufpreis bezahlt habe. Eine Bestimmung, die eine Inanspruchnahme des Schuldners durch den Gläubiger ausschließe und nur unzureichende Ausnahmen von einem derartigen Gesetzesbefehl enthalte, sei verfassungswidrig (vgl. VfSlg. 12.008/1989).

4.6. Denkunmöglich sei es jedenfalls, die Ermessensausübung (§20 BAO) schlechthin zu verweigern. Angesichts der Umstände des konkreten Falles wäre von Verfassungs wegen eine Abstandnahme von einer Inanspruchnahme zur Haftung geboten gewesen: Ein allfälliges Übermaß an KESt-Gutschriften sei alleine den Kunden zugute gekommen. Die Einhebung von Abgaben sei eine Staatsaufgabe und obliege gemäß §11 F-VG 1948 grundsätzlich den Verwaltungsbehörden. Bereits in seinem Erkenntnis zur SpESt (VfSlg. 15.773/2000) habe der Verfassungsgerichtshof die Haftung formal unbeteiligter Kreditinstitute als verfassungswidrig erkannt. Im vorliegenden Fall sei die bf. Gesellschaft nicht konkret in die Rechtsgeschäfte involviert; es sei auch der Umstand zu berücksichtigen, dass - rückwirkend - die "Einhebungsanleitung" geändert und den Kreditinstituten das Risiko der Uneinbringlichkeit aufgebürdet worden sei. Auch gebe es im Kapitalertragsteuerrecht für den potentiell Haftenden kein gesetzlich festgelegtes Auskunftsrecht.

Exzessiv und gesetzlos sei jedenfalls die Ansicht der belangten Behörde, das Vertrauen in die Richtigkeit von Richtlinien sei nicht schützenswert. Es bestünde ein Vertrauensverhältnis zwischen den Kreditinstituten in ihrer Funktion als "Steuereintreiber" für den BM für Finanzen, der auch Verfasser der Richtlinien sei. Auch die folgende Überlegung sei zu berücksichtigen:

Wäre die KESt eine durch den Steuerschuldner selbst zu berechnende Abgabe, hätte der Fiskus auch nicht mehr erhalten, weil sich die Steuerschuldner ebenfalls an die Richtlinien gehalten hätten. Es wäre nun grob unsachlich, würde der Steuergläubiger wegen der nur in seinem Interesse geschaffenen Einbehaltungsregelung zu Lasten des haftungsbedrohten Einbehaltungs- und Abfuhrverpflichteten mehr bekommen. Es fehle jede sachliche Rechtfertigung dafür, dass die Kreditinstitute dem Abgabengläubiger das Risiko der Einbringlichkeit gerade erst bei nachträglich - wegen einer rückwirkenden Änderung der maßgeblichen Richtlinien - entstandenen Rechtsstreitigkeiten abnehmen müssten. Auch der Vorwurf, der bf. Gesellschaft hätten die besonderen Umstände im Zusammenhang mit den Nullkuponanleihen auffallen müssen, gehe angesichts dessen, dass eben diese Umstände auch dem BM für Finanzen bekannt gewesen seien, ins Leere. Der BM für Finanzen hätte reagieren müssen. Es könne der bf. Gesellschaft nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass sie sich an die unverändert gebliebenen Richtlinien gehalten habe.

4.7. Überdies wäre im Hinblick auf §20 BAO allenfalls eine bloß anteilige Heranziehung zur Haftung geboten gewesen. Verfassungswidrig seien diesbezügliche Zweckmäßigkeitsüberlegungen der belangten Behörde. Verfassungswidriger Weise werde das Ausfallsrisiko auf die bf. Gesellschaft überwälzt; die ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach ZPO und EO, gegen zahlungsunwillige bzw. u.U. zahlungsunfähige Kunden vorzugehen, seien beschränkt, während die dem Abgabengläubiger zur Verfügung stehenden Mittel des öffentlichen Rechts weitaus effektiver wären. Wenn die belangte Behörde diejenigen Kunden, bei denen anlässlich der Veräußerung KESt anfalle (obwohl bereits bei Entnahme aus dem Depot KESt entrichtet wurde), betreffend die Rückforderung dieser Beträge auf §240 BAO verweise, stelle dies jedenfalls für die bf. Gesellschaft keine tragbare Lösung dar. Jedenfalls im Bereich der Entnahme-KESt hätten die Beträge um jenen Teil eingeschränkt werden müssen, der bei späterer Veräußerung dem Fiskus zukäme.

4.8. Hinsichtlich der Frage, ob die lineare oder finanzmathematische Berechnungsmethode anzuwenden gewesen sei, stützt sich die bf. Gesellschaft auf Punkt 4.5 (iVm Punkt 5.1) der KESt-RL 1993, wonach "keine Bedenken" bestünden, den zeitanteiligen Kapitalertrag nach der linearen Berechnungsmethode zu ermitteln; die das Vertrauen auf Richtlinien des BM für Finanzen schützende Bestimmung des §117 BAO idF BGBl. I 97/2002 sei zu beachten. Die in den Richtlinien gewählte Formulierung, dass "keine Bedenken" bestünden, erweise, dass bei der Auslegung der Gesetzesstelle bzw. bei Beurteilung des Sachverhalts Probleme entstehen könnten. Mit der Richtlinie seien seitens des BM für Finanzen nunmehr die Bedenken hinsichtlich der Anwendbarkeit der linearen Berechnungsmethode zerstreut worden; es würde dem zur Abfuhr der KESt Verpflichteten - vorweg - attestiert, dass er, wenn er die genannte Berechnungsmethode wähle, keine Bedenken haben müsse, dass diese Lösung in weiterer Folge von den Abgabenbehörden als unrichtig beurteilt werden würde. Es werde damit ein Vertrauenstatbestand geschaffen. Denkunmöglich sei daher der Vorwurf der belangten Behörde, die bf. Gesellschaft habe die Unanwendbarkeit der Richtlinienbestimmung erkennen müssen. Verfassungswidrig sei weiters die Auffassung der belangten Behörde, die in der Richtlinie enthaltene Erlaubnis zur Anwendung der linearen Berechnungsmethode sei einzuschränken mit den Worten "sofern sich die Ergebnisse im gesetzlichen Rahmen bewegen". Wie auch andere Erlässe zeigten, setze sich das BM für Finanzen "fallweise sogar - aus Gründen der Zweckmäßigkeit oder der Billigkeit und nur deshalb im Ergebnis nicht zu beanstanden - über die gesetzliche Rechtslage zugunsten des Abgabepflichtigen hinweg".

Die Rz 6186 der ESt-RL 2000 sei erst nach Verwirklichung sämtlicher Tatbestände veröffentlicht worden; die Motive der Finanzverwaltung rechtfertigten keine rückwirkende Unzulässigkeit der linearen Berechnungsmethode. Auch seien die wirtschaftlichen Ergebnisse nicht "absolut realitätsfremd". Es gebe verschiedene ertragsteuerliche Vorschriften, die explizit eine lineare Verteilung vorsähen, was aus systematischer Sicht zu beachten sei.

Die lineare Berechnungsmethode solle der Vereinfachung der Abrechnung dienen; die finanzmathematischen Berechnungsmethoden - von denen es im Übrigen nicht nur eine, sondern eine Vielzahl gebe - seien hingegen höchst aufwändig. Folge man der Auffassung der belangen Behörde, müsse zunächst nach der finanzmathematischen Berechnungsmethode vorgegangen werden, um eine allfällige wesentliche Abweichung von der linearen Berechnungsmethode und damit deren zulässige Anwendbarkeit festzustellen; damit würde der "Vereinfachungszweck" verkehrt. Es stelle sich im Hinblick auf Art18 B-VG weiters die Frage, welche Abweichungen noch toleriert werden könnten; im Übrigen sei ebenfalls unter dem Aspekt des Art18 B-VG zu beanstanden, dass die konkrete finanzmathematische Methode nicht im Gesetz festgeschrieben sei. Außerdem sei die konkrete finanzmathematische Methode erst im Änderungserlass vom 12. Juni 2001 festgelegt worden.

Es müsse schließlich berücksichtigt werden, dass die gesamte Abrechnung automationsunterstützt erfolge; das österreichweit verwendete Abrechnungssystem sei entsprechend den KESt-RL 1993 programmiert worden. Es würden die Pflichten der bf. Gesellschaft überspannt, hätten ihre Sachbearbeiter erkennen müssen, dass die derartig ermittelten KESt-Gutschriften unangemessen hoch seien. Vielmehr wäre es am BM für Finanzen gelegen gewesen zu reagieren; diesem sei die Problematik, wie nicht zuletzt Zeitungsartikel belegen würden, bekannt gewesen.

4.9. Hinsichtlich der KESt-Pflicht für körperliche Entnahmen der Nullkuponanleihen aus dem Depot führt die bf. Gesellschaft - auf das Wesentliche zusammengefasst - zusätzlich Folgendes aus:

4.9.1. Gemäß §95 Abs4 Z3 EStG 1988 sei ausdrücklich nur die "Veräußerung" des Wertpapiers oder Wertpapierkupons von der Zuflussfiktion erfasst; eine Ergänzung um eine weitere Fiktion sei gesetzlos. Depotentnahmen dürften Veräußerungen nicht gleichgehalten werden. Die Vorschreibung einer KESt für bloße Entnahmen sei daher gesetzlos. Hätte der Gesetzgeber eine KESt-Pflicht auch für Entnahmen normieren wollen, hätte er dies im Gesetz zum Ausdruck bringen können, wobei sich allerdings die Frage stelle, ob damit nicht Ungleiches - nämlich Veräußerungen (mit erzieltem Erlös) und Entnahmen (ohne erzielten Erlös) - unsachlich gleich behandelt würde.

4.9.2. Es fehle auch jede gesetzliche Grundlage dafür, die bf. Gesellschaft in derartigen Fällen zum Abzug der KESt zu verpflichten. Sie sei keine "kuponauszahlende Stelle" iSd §95 Abs3 Z2 leg.cit.; es seien keine "anteiligen Kapitalerträge" ausgezahlt worden; es sei überhaupt keine "Auszahlung" und kein Geldfluss erfolgt, von dem etwas einbehalten hätte werden können. Im maßgeblichen Zeitraum habe auch keine erlassmäßige Festlegung einer KESt-Pflicht für Depotentnahmen bestanden.

4.9.3. Wenn die belangte Behörde mit dem - durch die EStG-Novelle BGBl. 12/1993 neu formulierten - Satz 2 des §95 Abs4 Z3 EStG 1988 argumentiere, sei dem zu entgegnen, dass als Veräußerung danach nur die "Meldung" eines Eintritts von Umständen, die die Abzugspflicht beenden oder die "Zustellung eines Bescheides" iSd §94 Z5 leg.cit. gelten würde. Diese Bestimmung sei - als Ausnahmeregel zum allgemeinen Zuflussprinzip - eng auszulegen. Keine dieser beiden Tatbestandsvoraussetzungen liege im konkreten Fall vor; insbesondere könne das Erfordernis einer "Meldung" nicht im Sinne eines "Kenntnis-Erlangens" verstanden werden. Eine Meldung setze jedenfalls - wie die Judikatur des OGH zu §12a MRG zeige - einen förmlichen Schritt voraus.

4.9.4. Sollte von §95 Abs4 Z3 Satz 2 EStG 1988 eine KESt-Pflicht für Depotentnahmen gedeckt sein, bestünden gegen diese Bestimmung gravierende verfassungsrechtliche Bedenken.

4.9.5. Die Ansicht der Finanzverwaltung, die körperliche Entnahme der Nullkuponanleihen aus dem Depot beende durch den Wegfall der kuponauszahlenden Stelle gemäß den §§93 ff. EStG 1988 die KESt-Abzugspflicht, sei unzutreffend. Die sofortige Steuerpflicht von Kapitalerträgen auf Grund des §95 Abs4 Z3 EStG 1988 unabhängig vom Zufluss verstoße gegen die Kapitalverkehrsfreiheit. Ein allfälliger Wegzug in das Ausland erfolge nicht schon im Zeitpunkt der Entnahme, sondern später und damit außerhalb des Einfluss- und (sachgerechterweise) des Haftungsbereiches der bf. Gesellschaft. Erfolge ein Wegzug in einen Mitgliedstaat, läge in einer Wegzugsbesteuerung ein Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit; ein allenfalls verbleibender "Restanwendungsbereich" stelle sich als sachlich nicht gerechtfertigte Inländerdiskriminierung dar. Eine vorgezogene Besteuerung, bei der die tatsächliche Realisierung in sehr weiter Ferne liege und für die in der Regel keine Liquidität vorhanden sei, sei unverhältnismäßig, die in Betracht kommenden Regelungen seien außerdem unbestimmt.

Dass vor der Tilgung getätigte Depotentnahmen einkommensteuerrechtlich irrelevant seien, ergebe sich auch aus der - zur stillen Gesellschaft ergangenen - Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (Erkenntnis vom 5. Juli 1994, Zl. 91/14/0064), die auch auf die unterjährige Veräußerung festverzinslicher Wertpapiere anzuwenden sei. Da nach dieser Judikatur, der zu Folge bei entgeltlicher Abtretung eines Anspruches auf Stückzinsen, die auf den Zeitraum bis zur Veräußerung anfielen, ein Zufluss beim Veräußerer (Abtretenden) erst im Zeitpunkt der Leistung durch den Schuldner anzunehmen sei, müssten auch vor der Tilgung getätigte Depotentnahmen einkommensteuerrechtlich ohne Auswirkung sein.

Außerdem knüpfe das EStG 1988 an die Beendigung der Stellung eines Kreditinstitutes als kuponauszahlende Stelle keine Rechtsfolgen (wovon aber die belangte Behörde ausgehe). Zunächst sei fraglich, ob eine derartige Stellung überhaupt gegeben gewesen sei. Jedenfalls schaffe eine Beendigung der Stellung alleine nichts, von dem KESt einbehalten und abgeführt werden könnte. Es gebe kein finanzielles Substrat für die Einbehaltungspflicht. Dass sich ein Wertpapier nach der Depotentnahme "jeglicher Kontrolle" entziehe, könne allenfalls zur (künftigen) Schaffung von entsprechenden Regelungen führen.

Der "Wink" der Finanzverwaltung, dass "es gegebenenfalls überhaupt keine KESt-Gutschriften geben könnte", sei entbehrlich; eine Verweigerung der KESt-Gutschriften würde dem Grundsatz von Treu und Glauben und §117 BAO widersprechen; auch habe der Fiskus in der Vergangenheit Veräußerungs-KESt bei der Veräußerung von Nullkuponanleihen vor deren Endfälligkeit lukriert.

5. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt, auf die Erstattung einer Gegenschrift jedoch verzichtet.

6. Mit Schriftsatz vom 27. September 2004 hat die bf. Gesellschaft ein ergänzendes Vorbringen erstattet, in dem sie zunächst darstellt, dass ihr hinsichtlich des allergrößten Teiles der KESt-Forderung ein dauerhafter Ausfall drohe. Ein Teil der Kunden würde die gesetzliche Haftung und Zahlungs- bzw. Regressverpflichtung der bf. Gesellschaft gegenüber nicht akzeptieren; hinsichtlich eines Teiles dieser Kunden habe angesichts ihrer tristen finanziellen Lage von einer Klage Abstand genommen werden müssen; der Rest dieser Gruppe betreffe sog. Klagsfälle, die mit einem erheblichen Kostenaufwand für die bf. Gesellschaft verbunden seien, wobei in den meisten Fällen trotz Obsiegens die Einbringlichmachung scheitere. Zum Teil hätten Kunden ihre "KESt-Schuld" akzeptiert und teilweise Sicherheiten geleistet; es drohe aber auch hier ein Ausfall. Dies zeige deutlich, dass der Gesetzgeber nicht nur den Aufwand der Abgabeneinhebung (ohne Vergütung) auf die Kreditinstitute abwälze, sondern auch eine Risikoabwälzung hinsichtlich der Einbringlichmachung vornehme. Es bestehe daher das verfassungsrechtliche Erfordernis, im Rahmen der Ermessensentscheidung nach §20 BAO zu berücksichtigen, dass das Ausfallsrisiko der Abgabengläubiger und nicht die in Pflicht genommenen Kreditinstitute zu tragen hätten.

In den Fragen der KESt-Gutschriften und der Entnahme-KESt bestünde nach wie vor eine öffentlich-rechtliche Beziehung des Abgabengläubigers zu den jeweiligen Kunden. Wenn der Gesetzgeber den Fiskus von der Staatsaufgabe der Abgabeneinhebung entlasten wolle und das Rechtsverhältnis des Fiskus zu den Kunden als Steuerschuldner "verenge", rechtfertige das nicht die Heranziehung der bf. Gesellschaft zur Haftung. Da sich die Kunden auch gegenüber dem Fiskus "richtlinienkonform" verhalten hätten, wäre nun der Fiskus mit denselben Schwierigkeiten konfrontiert wie die bf. Gesellschaft. Jedenfalls mache die fehlende Möglichkeit, das Regressrecht im Einzelfall erfolgreich durchzusetzen, die Haftung unsachlich. Überdies habe die Finanzverwaltung leichtere und vor allem raschere Zugriffsmöglichkeiten zur Hereinbringung der Abgabenforderung (z.B. Sicherstellungsauftrag).

Hinsichtlich der KESt für die aus dem Depot entnommenen Nullkuponanleihen käme es auch zu einer Doppelinanspruchnahme (KESt für die Entnahme einerseits und anlässlich des Verkaufes andererseits); auch das hätte im Rahmen der Ermessensübung iSd §20 BAO berücksichtigt werden müssen. Zu einer in die Verfassungssphäre reichenden exzessiven Rechtsfolge führe schließlich der Umstand, dass der Gläubiger bei einem Antrag gemäß §240 BAO der Kunde sei, dem die "Veräußerungs-KESt" vom Finanzamt bar ausbezahlt werde; damit werde den Kunden ermöglicht, den doppelt bezahlten Betrag an den "exekutiven Schritten" der bf. Gesellschaft vorbei zu verwenden. Eine Gesetzeslage, die dies zulasse, sei verfassungswidrig.

Die bf. Gesellschaft verweist in weiterer Folge auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. Februar 2004, Zl. 2000/15/0198, wonach dem Grundsatz von Treu und Glauben im Hinblick auf Art18 B-VG insoweit Bedeutung zukomme, als der Behörde ein Vollzugsspielraum eingeräumt sei, und betont in diesem Zusammenhang das der Behörde nach §20 BAO zustehende Ermessen. Sie verweist weiters auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. November 2003, Zl. 2003/15/0087, in dem dieser Gerichtshof ausgesprochen habe, dass im Rahmen der Ermessensübung eine erlassmäßige Regelung mit zu berücksichtigen sei. Auch der Verfassungsgerichtshof habe bereits die Auffassung vertreten, dass der Steuerpflichtige damit rechnen müsse, dass sich die Finanzverwaltung die (in einem Erlass zum Ausdruck kommende) Auffassung des Ministeriums zu eigen machen würde.

Schließlich verweist die bf. Gesellschaft auf die verfassungsgerichtliche Judikatur zur Geltung des Weisungsprinzips im Fall der Ausübung von Verwaltungsgeschäften durch Beliehene bzw. ausgegliederte Rechtsträger (VfSlg. 14.473/1996 und 16.400/2001). Bei der bf. Gesellschaft bestehe die verfassungsrechtlich durchaus gleichwertige Situation, dass sie letztlich zur Erfüllung der Staatsaufgabe der Einhebung von Bundesabgaben eingesetzt sei. Die KESt-RL 1993 seien aus Gleichheitsgründen als Ausfluss des Weisungsprinzips des Art20 B-VG (das sich im konkreten Fall auf das Recht des BM für Finanzen, Erlässe herauszugeben, stütze) anzusehen und jedenfalls im Ergebnis einer Weisung gleichzuhalten. Zwischen einer Beleihung und einer Inpflichtnahme könne kein rechtlich relevanter Unterschied bestehen. Im Fall einer Amts-(Organ-)Haftung sei es wohl auszuschließen, dass einem Organwalter, der sich an den Inhalt eines Erlasses halte, der Vorwurf eines den Regressanspruch begründenden Verschuldens gemacht würde. Die Haftung für die Einbehaltung und Abfuhr der KESt dürfe von Verfassungs wegen nicht strenger sein als die Organhaftung.

Der Gleichheitssatz gebiete nun, dass die rechtliche Situation der bf. Gesellschaft als "Nichtorgan" (mit organgleichen Aufgaben öffentlich-rechtlich in Pflicht genommene haftungsbedrohte Hilfsperson) für die Erfüllung der Staatsaufgabe nach §11 Abs1 F-VG 1948 nicht schlechter sein dürfe als die eines Organs. Des Weiteren weist die bf. Gesellschaft erneut mit ausführlicher Begründung auf die verfassungsrechtliche Problematik der "Nichtinanspruchnahme des Steuerschuldners" hin.

7. Gemäß §20 VfGG wurde der Bundesminister für Finanzen eingeladen, sich zu den Schriftsätzen der bf. Gesellschaft zu äußern und dabei insbesondere zu folgenden Punkten Stellung zu nehmen:

"1. Zu den in der Beschwerde (insb. Seiten 16 f., 77) geschilderten Vorgängen rund um die Änderung der KESt-RL 1993 in Bezug auf Nullkuponanleihen (Ablösung der linearen durch die finanzmathematische Berechnungsmethode).

2. Zur gesetzlichen Fundierung der in Rz 7764 der EStR 2000 vertretenen Rechtsauffassung (KESt-Pflicht bei Depotentnahmen); wie kann in diesem Fall die Gefahr einer Doppelbesteuerung vermieden werden?

3. Zur Interpretation des §95 Abs5 Z1 EStG (Verhältnis von Schuld und Haftung bei nicht vorschriftsmäßiger Kürzung der Kapitalerträge; Ermessensspielraum)."

Der Bundesminister für Finanzen hat mit Schriftsatz vom 5. November 2004 dieser Einladung entsprochen.

8. Dazu gingen Stellungnahmen der bf. Gesellschaft und einer im verfassungsgerichtlichen Verfahren beteiligten Partei (eines Anlegers, der der Berufung der nunmehr bf. Gesellschaft im Administrativverfahren beigetreten war) ein.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerde ist zulässig, jedoch nicht gerechtfertigt.

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (z.B. VfSlg. 10.413/1985, 11.072/1986, 16.488/2002) liegt eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz dann vor, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt u.a. in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage. Insbesondere kann Willkür durch eine denkunmögliche Gesetzesanwendung indiziert werden (siehe z.B. VfSlg. 7962/1976, 8758/1980). Eine solche denkunmögliche Gesetzesanwendung liegt vor, wenn die belangte Behörde so fehlerhaft vorgegangen ist, dass die Fehlerhaftigkeit mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe gestellt werden müsste (vgl. z.B. VfSlg. 7038/1973, 9902/1983).

Mit dem angefochtenen Bescheid wird ein an die bf. Gesellschaft gerichteter Haftungs- und Zahlungsbescheid bestätigt; er greift somit auch in das Eigentumsrecht ein. Dieser Eingriff wäre nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (z.B. VfSlg. 10.337/1985, 11.470/1987, 15.768/2000, 16.113/2001) dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhte oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre.

All dies liegt hier jedoch nicht vor.

2.1. Die bf. Gesellschaft bestreitet zunächst die Anwendbarkeit des die Haft

Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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