Index
66 SozialversicherungNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Zulässigkeit von Anträgen der Volksanwaltschaft auf Aufhebung von Regelungen einer Mustersatzung und von Satzungen von Krankenkassen; Verordnungsqualität der Satzungen; Erlassung durch Bundesbehörden im funktionellen Sinn; Notwendigkeit eines einheitlich gleichlautenden Angehörigenbegriffs für Selbstversicherte; keine Gleichheitsverletzung durch Unterschiede im Leistungsrecht bei Pflicht- und Selbstversicherten selbst bei gleicher Beitragshöhe; keine Bedenken gegen die Einschränkung des Angehörigenbegriffs bei Selbstversicherten durch unterschiedliche Altersgrenzen für mitversicherte Kinder im Gegensatz zu PflichtversichertenRechtssatz
Zulässigkeit der Anträge der Volksanwaltschaft auf Aufhebung von Teilen einer Mustersatzung und von Satzungen der Krankenkassen.
Die in der Mustersatzung für die Versicherungsträger verbindlich erklärten Bestimmungen sind eine an die Krankenversicherungsträger gerichtete Verordnung (vgl VfSlg 8698/1979 und 9163/1981). Es kommt daher der bekämpften Bestimmung der Mustersatzung des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger ebenso wie den Satzungen der Wiener und der Vorarlberger Gebietskrankenkasse Verordnungsqualität zu.
Der Verfassungsgerichtshof teilt die in der Lehre vertretene Ansicht (vgl Öhlinger, Verfassungsrecht2 (1995) 228, Walter/Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts8 (1996) Rz 1274), daß der Begriff "Bundesbehörde" im Art148e B-VG - ebenso wie der Begriff "Bundesbehörde" im Art139 Abs1 B-VG - im funktionellen Sinn zu verstehen ist (vgl. zu Art139 Abs1 B-VG auch VfSlg 5637/1967). Da es sich bei den Behörden, die die genannten Satzungen erlassen haben, um funktionelle Bundesbehörden handelt, und auch sonst nichts gegen das Vorliegen der Prozeßvoraussetzungen spricht, ist der Antrag zulässig.
Abweisung der Anträge auf Aufhebung des §22 Abs2 der Mustersatzung 1994 des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger (SoSi 1995, S 39), des §22 Abs2 Z2 der Satzung der Vlbg Gebietskrankenkasse (SoSi 1995, S 624), und des §22 Abs2 Z2 der Satzung der Wr Gebietskrankenkasse (SoSi 1995, S 438).
Keine Gesetzwidrigkeit der Einschränkung des Angehörigenbegriffs bei Selbstversicherten.
Zur Wahrung der Einheitlichkeit der Durchführung sozialversicherungsrechtlicher Bestimmungen kann ein einheitlicher gleichlautender Angehörigenbegriff für Selbstversicherte notwendig sein. §455 Abs2 ASVG stellt auf das Interesse der Versicherten und der Dienstgeber an einer bundeseinheitlichen Vorgangsweise der Versicherungsträger, nicht aber auf sonstige Interessen der Versicherten (etwa auf einen möglichst hohen Standard der gewährten Leistungen) ab.
Gleichstellung der Kinder von Selbstversicherten und Pflichtversicherten aus §124 ASVG nicht ableitbar.
Vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung hinsichtlich der für die Angehörigeneigenschaft im Sinne des ASVG maßgeblichen Altersgrenzen von Kindern von Selbstversicherten ist anzunehmen, daß der Gesetzgeber dann, wenn er eine völlige Gleichbehandlung von Pflichtversicherten und Selbstversicherten hinsichtlich der Mitversicherung ihrer Kinder beabsichtigt hätte, dies - auch im Hinblick auf §123 Abs4 ASVG - ausdrücklich angeordnet hätte. Nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes ist §124 Abs1 ASVG idF BGBl 704/1976 kein so weitreichender, den autonomen Gestaltungsbereich der Sozialversicherungsträger beträchtlich einschränkender Inhalt zu unterstellen.
Der Gerichtshof ist der Auffassung, daß Unterschiede im Leistungsrecht zwischen Pflicht- und Selbstversicherten durch den Gleichheitssatz selbst bei gleicher Beitragshöhe nicht ausgeschlossen werden. Da Selbstversicherte im Gegensatz zu Pflichtversicherten eine Wahlmöglichkeit haben, ob und bejahendenfalls bei wem sie sich versichern wollen, befinden sie sich in einer völlig anders gelagerten Situation als Pflichtversicherte, denen eine solche Wahlmöglichkeit von vornherein nicht zukommt. Es ist daher aus der Sicht des Gleichheitssatzes eine völlige Gleichgestaltung des Leistungsrechtes selbst bei gleicher Beitragszahlung nicht geboten.
Die vom Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger und von der Wr Gebietskrankenkasse gestellten Anträge auf Ersatz der Prozeßkosten waren abzuweisen, weil ein solcher Ersatz gesetzlich nicht vorgesehen ist.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Verordnungsbegriff, Behördenbegriff, Sozialversicherung, Satzung, VfGH / Prüfungsgegenstand, Krankenversicherung, VfGH / Kosten, VfGH / Beteiligter, Angehörige (Mitversicherung), Kinder (Mitversicherung), Versicherung freiwillige, Pflichtversicherung, MitversicherungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1996:V54.1996Dokumentnummer
JFR_10039075_96V00054_01