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50 GewerberechtNorm
StGG Art6 Abs1 / ErwerbsausübungLeitsatz
Aufhebung der die beschränkte Ausübung des Reisebürogewerbes nur hinsichtlich bestimmter Teiltätigkeiten gestattenden Regelung der GewO 1994 wegen Verstoß gegen die Erwerbsausübungsfreiheit; keine Ermächtigung des Gesetzgebers zur Vorwegnahme der Markteinschätzung oder der Ertragseinschätzung einer bestimmten Tätigkeit durch den UnternehmerRechtssatz
§166 Abs2 GewO 1994 wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Der Gesetzgeber ist durch Art6 StGG ermächtigt, die Ausübung der Berufe dergestalt zu regeln, daß sie unter gewissen Voraussetzungen erlaubt oder unter gewissen Voraussetzungen verboten sind. Er darf dabei auch den Erwerbsantritt behindernde Vorschriften erlassen. Solche Beschränkungen sind aber nur zulässig, wenn sie durch ein öffentliches Interesse geboten, zur Zielerreichung geeignet, dieser adäquat und auch sonst sachlich zu rechtfertigen sind (vgl zB VfSlg 11276/1987, 12098/1989, 12677/1991 ua).
Der Verfassungsgerichtshof kann nicht erkennen, welches öffentliche Interesse eine Regelung rechtfertigen kann, der zufolge das Reisebürogewerbe - sofern es nicht unbeschränkt angemeldet wird - nur hinsichtlich bestimmter, vom Gesetz gestatteter Teiltätigkeiten, nicht aber hinsichtlich anderer Teiltätigkeiten angestrebt und angemeldet werden darf.
Das Ziel des Konsumentenschutzes liegt unzweifelhaft im öffentlichen Interesse. Wieso es aber durch eine Regelung erreicht werden kann, die die Beschränkung des Gewerbes nur auf bestimmte Teiltätigkeiten zuläßt, nicht aber auf andere, bleibt unerfindlich.
Es ist in dem durch die Erwerbsfreiheit mitkonstituierten System einer Wettbewerbswirtschaft gerade nicht Sache des Gesetzgebers festzulegen, welche Unternehmenstätigkeiten zur Befriedigung der Nachfrage sinnvoll sind und welche Teiltätigkeiten eines Unternehmens wirtschaftlich einen entsprechenden Ertrag erwarten lassen. Dispositionen darüber zu treffen, ist Sache des durch die Erwerbsfreiheit hinsichtlich des Erwerbsantritts und der Erwerbsausübung geschützten Grundrechtsträgers. Der Gesetzgeber ist durch den Gesetzesvorbehalt des Grundrechts der Erwerbsfreiheit ermächtigt, Regelungen zum Schutz des Gemeinwohls oder von Interessenspositionen anderer zu erlassen, die die Erwerbsfreiheit beschränken; nicht aber ermächtigt ihn der Gesetzesvorbehalt, die Markteinschätzung oder die Ertragseinschätzung einer bestimmten Tätigkeit durch den Unternehmer vorwegzunehmen.
Es widerspricht der Konzeption der Erwerbsausübungsfreiheit, die Zulässigkeit bestimmter Erwerbstätigkeiten davon abhängig zu machen, ob hiefür bestimmte Befähigungsnachweise angeordnet sind (vielmehr haben sich diese an den angestrebten Erwerbstätigkeiten zu orientieren). Der Gesetzgeber überläßt es im allgemeinen dem Gewerbetreibenden, ob er sein Gewerbe umfassend oder nur für von ihm bestimmte Teilbereiche anmeldet, ohne daß dies mit dem Befähigungsnachweissystem in Konflikt käme.
(Anlaßfall B76/95, E v 30.09.96, Aufhebung des angefochtenen Bescheides).
Schlagworte
Erwerbsausübungsfreiheit, Gewerberecht, Gewerbeberechtigung, Nachsicht (vom Befähigungsnachweis), ReisebürosEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1996:G115.1996Dokumentnummer
JFR_10039070_96G00115_01