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L8 Boden- und VerkehrsrechtNorm
B-VG Art89 Abs1Leitsatz
Verletzung im Eigentumsrecht durch die Unverhältnismäßigkeit des Verbotes der Schaffung und Vergrößerung von Freizeitwohnsitzen in Verbindung mit der Anmeldungsverpflichtung und Verwendungsbeschränkungen für bestehende Freizeitwohnsitze ohne Rücksichtnahme auf regionale Erfordernisse gemäß dem Tir RaumOG 1994; Verletzung im Selbstverwaltungsrecht der Gemeinde durch die Ausnahme dieser Angelegenheiten aus dem eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde; Verfassungswidrigkeit des gesamten Tir RaumOG 1994 bzw der Tir RaumOG-Nov 1996 infolge Kundmachung ohne neuerliche Beschlußfassung durch den Landtag trotz Verweigerung der Zustimmung der Bundesregierung zur Mitwirkung von Bundesorganen an der Vollziehung; Ausdehnung der Anlaßfallwirkung; Aufhebung von Flächenwidmungsplänen mangels gesetzlicher Deckung nach Feststellung der Verfassungswidrigkeit der diese Verordnungen tragenden Gesetzesbestimmung, jedoch nur im präjudiziellen Umfang infolge nicht auszuschließender, einer gänzlichen Aufhebung zuwiderlaufender Interessen der ParteienRechtssatz
Der in Art119a Abs9 B-VG enthaltene Verweis auf Art144 B-VG macht deutlich, daß der VfGH aufgrund einer Beschwerde einer durch einen aufsichtsbehördlichen Bescheid betroffenen Gemeinde auch zu prüfen hat, ob die Gemeinde durch den Bescheid wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt wurde. Denn anders als bei einem Antrag der Gemeinde auf Überprüfung einer Verordnung gemäß Art139 Abs1, letzter Satz, B-VG, dessen Unzulässigkeit mangels Eingriffes der Verordnung in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht der Gemeinde auf Selbstverwaltung der Verfassungsgerichtshof angenommen hat, ist mit Rücksicht auf die den Gemeinden in Art119a Abs9 B-VG ausdrücklich eingeräumte Beschwerdebefugnis nach Art144 B-VG die Beschwerde gegen einen aufsichtsbehördlichen Bescheid wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm zulässig.
Ist die Beschwerde aber zulässig, kann auch die Präjudizialität der in Prüfung genommenen Rechtsvorschriften nicht verneint werden.
Die in §15 Abs3 und Abs5 sowie in §16 Tir RaumOG 1994 geregelten Angelegenheiten (Ausnahmen vom Verbot und Anmeldung von bestehenden Freizeitwohnsitzen) sind im überwiegenden Interesse der in der Gemeinde verkörperten örtlichen Gemeinschaft gelegen; sie sind auch geeignet, durch die Gemeinschaft innerhalb ihrer örtlichen Grenzen besorgt zu werden. Da solche Angelegenheiten durch die Gesetze ausdrücklich als solche des eigenen Wirkungsbereiches zu bezeichnen sind, §118 Tir RaumOG 1994 aber durch Zitierung des §15 Abs3 und Abs5 sowie des §16 diese Aufgaben von der generellen Bezeichnung als zum eigenen Wirkungsbereich gehörig ausnimmt, erweist sich die in Prüfung genommene Wortfolge in §118 leg.cit. als verfassungswidrig.
Der Gesetzgeber kann verfassungsrechtlich einwandfreie Eigentumsbeschränkungen verfügen, sofern er dadurch nicht den Wesensgehalt des Grundrechtes der Unversehrtheit des Eigentums berührt oder in anderer Weise gegen einen auch ihn bindenden Verfassungsgrundsatz verstößt, soweit die Eigentumsbeschränkung im öffentlichen Interesse liegt und nicht unverhältnismäßig ist (mit Judikaturhinweisen).
Auch gesetzliche Beschränkungen betreffend die Schaffung bzw. Nutzung von Freizeitwohnsitzen sind verfassungsrechtlich nur zulässig, wenn dies gemäß dem zweiten Absatz des Art1 des 1. ZP EMRK "in Übereinstimmung mit dem Allgemeininteresse ... erforderlich" ist.
Zwar bestehen ganz gewichtige öffentliche Interessen an einer rigiden Beschränkung von Freizeitwohnsitzen, gegebenenfalls auch an einer Verringerung ihrer Zahl.
Die im Unterbrechungsbeschluß monierte Unverhältnismäßigkeit der Regelungen insofern, als sie sich auf das gesamte Land Tirol erstrecken, obwohl schwerwiegende Nachteile nur punktuell oder regional nachgewiesen werden konnten, wurde jedoch nicht widerlegt.
Die Kombination des Verbotes der Schaffung und Vergrößerung von Freizeitwohnsitzen mit der Anmeldungsverpflichtung für bestehende Freizeitwohnsitze sowie mit der Notwendigkeit von Ausnahmebewilligungen, Verwendungsbeschränkungen und Veräußerungsbeschränkungen für bestehende Freizeitwohnsitze ohne Rücksichtnahme auf die regionalen Erfordernisse ist insgesamt unverhältnismäßig.
Das Tir RaumOG 1994, LGBl. 81/1993 idF LGBl. 6/1995 und LGBl. 68/1995, wird insoweit als verfassungswidrig aufgehoben, als ihm nicht durch die Tir RaumOG-Nov 1996, LGBl. 4/1996, derogiert wurde, und es war insoweit verfassungswidrig, als ihm durch die Tir RaumOG-Nov 1996 derogiert wurde.
Nach Art140 Abs3, zweiter Satz, und Art140 Abs4 B-VG hat der Verfassungsgerichtshof für den Fall, daß er zur Auffassung gelangt, daß das ganze Gesetz in verfassungswidriger Weise kundgemacht wurde oder an einem gleichzuhaltenden Fehler leidet, das ganze Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben bzw. auszusprechen, daß das ganze Gesetz verfassungswidrig war. Da hier ein solcher (eine gehörige Kundmachung im Sinne des Art89 Abs1 B-VG nicht vereitelnder) Mangel vorliegt (Kundmachung ohne neuerliche Beschlußfassung durch den Landtag trotz Verweigerung der Zustimmung zur Mitwirkung von Bundesorganen an der Vollziehung durch die Bundesregierung; vgl E v 28.09.96, G50/96 ua) und ein Hindernis im Sinne des letzten Satzes des Art140 Abs3 B-VG nicht vorliegt, hat der Verfassungsgerichtshof von der genannten Ermächtigung Gebrauch zu machen (Ebenso zum Tir GVG 1993: E v 10.12.96, G84/96 ua).
Unter Bedachtnahme auf weitere bei ihm anhängige Prüfungsverfahren hat der Verfassungsgerichtshof beschlossen, von der ihm gemäß Art140 Abs7, zweiter Satz, B-VG eingeräumten Befugnis Gebrauch zu machen und die Anlaßfallwirkung auch für die im Spruch näher bezeichneten, beim Verwaltungsgerichtshof und dem Unabhängigen Verwaltungssenat in Tirol anhängigen Verfahren herbeizuführen. Eine weitere Behandlung dieser Anträge erübrigt sich folglich.
Der Ausspruch, daß die Aufhebung mit Ablauf des 30.06.98 in Kraft tritt, stützt sich auf Art140 Abs5 B-VG. Mit der Fristsetzung soll dem Umstand Rechnung getragen werden, daß beim Verfassungsgerichtshof noch Gesetzesprüfungsanträge in bezug auf §15 ff Tir RaumOG 1994 idF der Tir RaumOG-Nov 1996 anhängig sind, dem Tiroler Landesgesetzgeber aber die Möglichkeit geboten werden soll, eine allenfalls aufgrund der Erledigung derselben erforderliche Sanierung unter einem vorzunehmen.
Die inhaltliche Gesetzmäßigkeit von Verordnungen ist bezogen auf jenen Zeitpunkt zu prüfen, in dem sie angewendet wurden oder anzuwenden waren.
Maßstab für die inhaltliche Gesetzmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Verordnungen ist das Tir RaumOG 1994.
Die Verfassungswidrigkeit jener Gesetzesbestimmung, die die Verordnung trägt, hat zur Folge, daß die Verordnung hiermit der erforderlichen gesetzlichen Deckung entbehrt (Art139 Abs3 lita B-VG). Dies hat nicht nur für den Fall der Aufhebung der maßgeblichen Gesetzesstelle als verfassungswidrig, sondern auch für den Fall zu gelten, daß sich der Verfassungsgerichtshof aufgrund ihres bereits erfolgten Außerkrafttretens auf den Ausspruch zu beschränken hatte, daß die maßgebliche Gesetzesbestimmung verfassungswidrig war.
Nur wenn sich Umstände im Sinne des Art139 Abs3, letzter Satz, B-VG ergeben, ist die betreffende Verordnung nicht zur Gänze aufzuheben.
Da in den vorliegenden Fällen nicht ausgeschlossen ist, daß die Aufhebung der Verordnungen zur Gänze den rechtlichen Interessen der Parteien zuwiderläuft, waren die in Prüfung genommenen Verordnungen nur im präjudiziellen Umfang aufzuheben.
(Anlaßfall: B1952/95, E v 28.11.96, Aufhebung des angefochtenen Bescheides).
Entscheidungstexte
Schlagworte
VfGH / Präjudizialität, VfGH / Individualantrag, VfGH / Legitimation, Gemeinderecht, Selbstverwaltungsrecht, Raumordnung, Wohnsitz Freizeit-, Gesetz Erlassung, Gesetz Kundmachung, Kundmachung Gesetz, Landesgesetz, Landesverfassung, VfGH / Verwerfungsumfang, Geltungsbereich (zeitlicher) eines Gesetzes, VfGH / Anlaßverfahren, VfGH / Aufhebung Wirkung, VfGH / Feststellung Wirkung, VfGH / Verfahren, VfGH / Fristsetzung, Flächenwidmungsplan, VfGH / Prüfungszeitpunkt, VfGH / Prüfungsmaßstab, Wirkungsbereich eigener, Raumplanung örtlicheEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1996:G195.1996Dokumentnummer
JFR_10038872_96G00195_2_01