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L8 Boden- und VerkehrsrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Verletzung im Gleichheitsrecht durch die nachträgliche Erteilung der Baubewilligung für Schwarzbauten im Freiland in Tirol; keine Amnestie bzw Abolition im Sinne der Bundesverfassung; keine sachliche Rechtfertigung der ausnahmslosen Privilegierung eines ursprünglich rechtswidrig handelnden Personenkreises sowie der Beschränkung der Regelung auf Bauten mit Aufenthaltsräumen; Ausdehnung der AnlaßfallwirkungRechtssatz
§3 des Gesetzes vom 25.11.93 über die ausnahmsweise Zulässigkeit von Gebäuden im Freiland, LGBl. für Tirol Nr. 11/1994, idF LGBl. Nr. 82/1994, (Tir FreilandbautenG), wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Keine Amnestie oder Abolition iSd Art65 Abs2 litc bzw Art93 B-VG.
Der Gleichheitssatz verwehrt es dem Gesetzgeber nicht, in bestimmten Fällen die nachträgliche Erteilung der Baubewilligung für bereits errichtete Bauwerke vorzusehen, die im Widerspruch zur Flächenwidmung errichtet oder verwendet werden, sofern sich in jenen Fällen die nachträgliche Erteilung der Baubewilligung sachlich rechtfertigen läßt. Im Gegensatz zum Titel des Tir FreilandbautenG, der nur von der "ausnahmsweisen" Zulässigkeit von Gebäuden im Freiland handelt, sieht das Gesetz jedoch völlig undifferenziert und schlechthin für vor dem 02.01.84 widmungswidrig errichtete oder verwendete Baulichkeiten eine nachträgliche Baubewilligung vor und ist somit auch keiner verfassungskonformen Auslegung im Wege der teleologischen Reduktion seines sachlichen Anwendungsbereiches auf sachlich gerechtfertigte Ausnahmefälle zugänglich.
Es erscheint auch nicht von vornherein vom Gleichheitssatz ausgeschlossen, daß der Gesetzgeber ein konsenslos errichtetes Bauwerk nachträglich bewilligen läßt, wenn dieses wenigstens zum Zeitpunkt seiner Errichtung, Fertigstellung oder Verwendungsänderung einer verbindlichen Flächenwidmung entsprach.
Es widerspricht hingegen dem Gleichheitssatz, daß Personen, die sich rechtswidrig verhielten, indem sie nicht nur ohne die gesetzlich erforderliche baurechtliche Bewilligung ein Bauwerk errichteten, sondern dabei auch die flächenplanerische, also rechtsverbindliche Freilandwidmung mißachteten, vom Gesetzgeber schlechthin und jedenfalls besser gestellt werden als Personen, die in Übereinstimmung mit der Rechtsordnung auf eine konsenslose Bauführung im Freiland verzichteten. Diese Privilegierung des rechtswidrig handelnden Personenkreises widerspricht dem Gleichheitssatz.
Die Vorschrift des §3 Tir FreilandbautenG unterscheidet nicht zwischen den Fällen einer möglichen ausnahmehaften sachlichen Rechtfertigung nachträglich zu erteilender Baubewilligungen einerseits und der krassen Ungleichbehandlung rechtstreu Handelnder im Vergleich zu flächenwidmungswidrig und konsenslos bauenden Normunterworfenen andererseits.
Sachlich nicht zu rechtfertigen und damit gleichheitswidrig ist ferner, daß die Bewilligungsfähigkeit konsenslos errichteter Gebäude lediglich Gebäude mit Aufenthaltsräumen betrifft.
Daß im Bauland widmungswidrig und konsenslos errichtete Bauten ungleich seltener anzutreffen sind als im Freiland, bildet keinen hinlänglichen sachlichen Grund, diese Bauten undifferenziert und ausnahmslos von der Begünstigung des Freilandbautengesetzes auszuschließen, zumal die Folgen einer rechtlichen Sanierung rechtswidriger Bauführungen im Bauland möglicherweise viel geringer sind als in dem, durch das Tir RaumOG 1994 mit besonderem rechtlichem Schutz ausgestatteten Freiland.
Der Ausspruch, daß die aufgehobene Bestimmung des §3 Tir FreilandbautenG auch auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände nicht mehr anzuwenden ist, stützt sich auf Art140 Abs7 B-VG. Er soll sicherstellen, daß in allen, auch in den vor der Vorstellungsbehörde noch anhängigen Fällen §3 Tir FreilandbautenG nicht mehr angewendet werden darf.
(Anlaßfälle: E v 29.11.96, B208/95, B981/95 ua, B2166/95, B1694/96 - Aufhebung der angefochtenen Bescheide).
Entscheidungstexte
Schlagworte
Baurecht, Baubewilligung, Amnestie, Abolition, Schwarzbauten, Raumordnung, Flächenwidmungsplan, Freiland, VfGH / AnlaßverfahrenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1996:G189.1996Dokumentnummer
JFR_10038871_96G00189_01