RS Vfgh 1996/12/2 B29/95, B219/96

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Veröffentlicht am 02.12.1996
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8000 Raumordnung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verordnung
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art10 Abs1 Z8
B-VG Art15 Abs1
B-VG Art18 Abs2
StGG Art5
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
Versorgungs-InfrastrukturV der Stmk LReg LGBl 35/1988 idF LGBl 53/1989
Stmk RaumOG 1974 §3 Abs8 Z3
Stmk RaumOG 1974 §8 Abs2
Stmk RaumOG 1974 §23 Abs5 liti, litj, litk

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Versagung einer Baubewilligung für die erhebliche Vergrößerung eines Lebensmittelgroßmarktes und die Änderung des Verwendungszweckes der Räume eines Möbelgroßmarktes für den Verkauf von Lebensmitteln; kein Verstoß der Regelungen des Stmk Raumordnungsrechtes für Einkaufszentren gegen die Kompetenzverteilung aufgrund der Berücksichtigung einer Vielzahl von Planungszielen; keine Gesetzwidrigkeit der Versorgungs-InfrastrukturV; kein Kundmachungsmangel; Standortbeschränkungen für Einkaufszentren im öffentlichen Interesse; keine Verletzung des Eigentumsrechts und der Erwerbsausübungsfreiheit

Rechtssatz

Keine Bedenken gegen §3 Abs8 Z3 Stmk RaumOG 1974 betreffend Raumordnungsgrundsätze für Einkaufszentren; keine gewerberechtliche Regelung iSd Art10 Abs1 Z8 B-VG (siehe VfSlg 12068/1989).

Die bei der Einkaufszentrenplanung mitzuberücksichtigende "ausreichende Sicherung der Nahversorgung" erweist sich keineswegs als zentrales oder gar ausschließlich maßgebendes Zulassungskriterium für Einkaufszentren I (mit Lebensmitteln im Warensortiment). Die raumordnungsrechtliche Widmung eines Gebietes für Einkaufszentren I wird daher gemäß §23 Abs5 liti Stmk RaumOG 1974 keineswegs ausschließlich von der Sicherung einer ausreichenden Nahversorgung der Bevölkerung bestimmt. Eine (ihrem Wesen nach gewerberechtliche) Prüfung des Lokalbedarfs ist von Rechts wegen nicht vorgesehen. Vielmehr ist mit der an Raumordnungskriterien orientierten Konzeption zentraler Orte (im Landesentwicklungsprogramm 1977) und der gemäß §2 Versorgungs-InfrastrukturV gebotenen Beschränkung der Flächenwidmung für Einkaufszentren I, II und III nach Maßgabe der zentralörtlichen Funktion des jeweiligen Standortraumes eine normative Leitlinie vorgegeben, die es gerade vermeidet, die Entscheidung über die Zulässigkeit von Einkaufszentren im allgemeinen, sowie von jenen Einkaufszentren, die in ihrem Warensortiment Lebensmittel führen, im besonderen überwiegend oder gar ausschließlich an Versorgungs- und damit (gewerberechtlichen) Bedarfsaspekten zu orientieren. Das Steiermärkische Raumordnungsrecht gestattet es vielmehr, unter Beachtung aller den Umständen nach in Betracht kommenden Raumplanungszielsetzungen sinnvolle Standortentscheidungen für Einkaufszentren mit und ohne Lebensmittel(n) im Warensortiment zu treffen.

Die durch §23 Abs5 liti, litj und litk Stmk RaumOG 1974 vorgenommene Unterscheidung von Einkaufszentren mit und ohne Lebensmittel(n) in ihrem Warensortiment verstößt sohin im Verein mit den Raumordnungsgrundsätzen des §3 Abs8 Z3 Stmk RaumOG 1974 nicht gegen die Kompetenzverteilung, sondern läßt in kompetenzneutraler Weise (vgl insbesondere VfSlg 11393/1987, 11626/1988 und 12918/1991) eine Vielzahl von Planungszielen ("Raumordnungsgrundsätzen") bei der Bestimmung von Standorten für Einkaufszentren (mit und ohne Lebensmittel(n)) berücksichtigen.

Keine Bedenken gegen die Versorgungs-InfrastrukturV der Stmk LReg, LGBl 35/1988 idF LGBl 53/1989.

Die Versorgungs-InfrastrukturV schränkt die Zahl möglicher Standorte für Einkaufszentren wesentlich ein. Dies liegt jedoch im Wesen einer rechtsverbindlichen Flächenwidmungsplanung an sich im Verein mit der kompetenzrechtlich nicht zu beanstandenden "Zentrale-Orte-Konzeption" der steiermärkischen Raumordnung. Die Versorgungs-InfrastrukturV dient nicht dem Zweck der Einschränkung des Wettbewerbs sowie der Zulassung von Einkaufszentren ausschließlich oder auch nur vorrangig nach Nahversorgungs- und damit Bedarfsgesichtspunkten. Vielmehr wird durch die Versorgungs-InfrastrukturV die Ansiedlung und Erweiterung von Einkaufszentren an die mit dem Landesentwicklungsprogramm 1977 festgelegte Konzeption zentraler Orte in der Steiermark geknüpft und in §2 Abs2 Versorgungs-InfrastrukturV diesbezüglich weiter verfestigt.

Keine Gesetzwidrigkeit bedeutet es dabei, wenn §2 Abs6 des Landesentwicklungsprogramms 1977 die Festlegung der Nahversorgungszentren und die Abgrenzung von Nahversorgungsbereichen regionalen Entwicklungsprogrammen vorbehält, die Versorgungs-InfrastrukturV jedoch - zusätzlich und vorläufig - bis zum Inkrafttreten des jeweiligen regionalen Entwicklungsprogrammes die Nahversorgungszentren der Steiermark im Anhang namentlich aufzählt.

Keine Verletzung der Erwerbsausübungsfreiheit.

Die vom Gesetzgeber geschaffene Differenzierung (zwischen Einkaufszentren mit und ohne Lebensmittel(n) im Sortiment) beschränkt zwar die Erwerbsausübungsfreiheit auf dem Umweg über die Standortwahl für die jeweiligen Einkaufszentren. Diese Beschränkung bildet jedoch ein geeignetes und adäquates Mittel, das in den Raumordnungsgrundsätzen zum Ausdruck gelangende öffentliche Interesse an der Situierung der hinsichtlich ihrer Einzugsbereiche ganz unterschiedlich beschaffenen Einkaufszentren zu verwirklichen. Wie der Verfassungsgerichtshof ferner in seinem Erk vom 22.06.95, G297/94, ausgesprochen hat, bedeutet es keinen unzulässigen Eingriff in die Freiheit der Erwerbsbetätigung gemäß Art6 StGG, wenn durch raumplanerische Festlegungen eine bestimmte Erwerbstätigkeit lediglich an einem bestimmten Ort faktisch verhindert wird, solange die Raumordnung nicht als System der Zulassung jener Erwerbstätigkeiten eingesetzt wird, ein Vorwurf, der dem Gesetzgeber hier nicht gemacht werden kann.

Keine Gesetzwidrigkeit der Versorgungs-InfrastrukturV der Stmk LReg, LGBl 35/1988 idF LGBl 53/1989, mangels Unterlassung der Kundmachung der Erläuterungen im Landesgesetzblatt.

Sinn der Kundmachungsverpflichtung ist es, den verbindlichen Normtext in allgemein zugänglicher Weise mitzuteilen. Zu diesem als Verordnung verbindlichen Normtext der Versorgungs-InfrastrukturV zählen deren Erläuterungen nicht. Es genügt sohin, daß diese Erläuterungen ebenso wie die die Entstehung eines Gesetzes begleitenden Materialien zur Einsichtnahme amtlich zur Verfügung stehen.

Daß gemäß §8 Abs2 Stmk RaumOG 1974 dem Entwicklungsprogramm eine Erläuterung "beizufügen" ist, bildet mithin keine Kundmachungsvorschrift, sondern lediglich die verfahrensrechtliche Anordnung für den Verordnungsgeber, die Motive und die Begründung für die im Entwicklungsprogramm enthaltenen Anordnungen nachweislich zu erarbeiten.

Daß eine Beschränkung des weiteren Ausbaus bestehender Einkaufszentren, die dem zentralörtlichen Konzept der Versorgungs-InfrastrukturV zuwiderlaufen, gesetzmäßig ist, ergibt sich schon aus §30 Abs3 litb Stmk RaumOG 1974. Wenn sohin der bei der Erlassung des zu B29/95 angefochtenen Bescheides angewendete Flächenwidmungsplan 2.0 der Gemeinde Seiersberg lediglich die Bestandssicherung des bereits errichteten Einkaufszentrums vorsieht und auch einen geringfügigen Um- und Ausbau zuläßt, gleichzeitig aber in Übereinstimmung mit der Versorgungs-InfrastrukturV den wesentlichen Ausbau des Einkaufszentrums verhindert, entspricht dies dem geltenden Raumordnungsrecht, dem diesbezüglich auch vom Standpunkt des Gleichheitssatzes nicht entgegengetreten werden kann.

Daß dadurch die wirtschaftliche Weiterentwicklung bestehender Betriebe nur in eingeschränktem Umfang möglich ist, verstößt im gegebenen Zusammenhang weder gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums noch auf Freiheit der Erwerbsbetätigung. Ist doch davon auszugehen, daß die mit der Erlassung der Versorgungs-InfrastrukturV verfolgten Ziele im öffentlichen Interesse gelegen sind und die damit wesensmäßig verbundenen Standortbeschränkungen für Einkaufszentren geeignet sind, diesen Zielen zur Durchsetzung zu verhelfen.

Entscheidungstexte

  • B 29/95,B 219/96
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 02.12.1996 B 29/95,B 219/96

Schlagworte

Kompetenz Bund - Länder Raumplanung, Bedarfsprüfung, Kompetenz Bund - Länder Gewerbe und Industrie, Nahversorgung, Baurecht, Raumordnung, Einkaufszentren, Kundmachung Verordnung, Erwerbsausübungsfreiheit, Verordnung Kundmachung, Planungsakte Verfahren (Raumordnung), öffentliches Interesse

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1996:B29.1995

Dokumentnummer

JFR_10038798_95B00029_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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