RS Vfgh 1996/12/11 G52/95, G53/95, G54/95, G55/95, G56/95, G1318/95, G146/96

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 11.12.1996
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Index

14 Organisationsrecht
14/02 Gerichtsorganisation

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art92 Abs1
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
ASGG §54
VfGG §62 Abs1

Leitsatz

Keine Verfassungswidrigkeit der Regelungen des ASGG über besondere Feststellungsverfahren vor dem OGH in Arbeitsrechtssachen; keine Erstattung eines Rechtsgutachtens durch den OGH in Form einer Gerichtsentscheidung; ausnahmsweise Berufung des OGH als erste und einzige Instanz verfassungskonform; sachliche Rechtfertigung der Beschränkung der Antragsberechtigung auf kollektivvertragsfähige Körperschaften der Arbeitgeber und Arbeitnehmer

Rechtssatz

Die Präjudizialitätsfrage wurde vom OGH hinsichtlich der angefochtenen Abs2 bis Abs4 des §54 ASGG und des zweiten Satzes des §58 Abs1 ASGG offenkundig denkmöglich beantwortet.

Gegen §58 Abs1 zweiter Satz ASGG sind zwar entgegen §62 Abs1 VfGG keine gesonderten Bedenken dargelegt worden; er steht jedoch mit den angefochtenen Abs2 bis Abs4 des §54 ASGG in einem untrennbaren Zusammenhang.

Auch was die bekämpften Wortfolgen "und Anträge nach Abs2" und "oder einen solchen Antrag" im Abs5 des §54 ASGG betrifft, kann man - so wie offensichtlich der OGH - davon ausgehen, daß diese Wortfolgen in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem bekämpften Abs2 des §54 ASGG stehen.

Gegenstand des besonderen Feststellungsverfahrens gemäß §54 Abs2 ASGG sind Anträge "auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens von Rechten oder Rechtsverhältnissen" im Zusammenhang mit Fragen des materiellen Rechts auf dem Gebiet der Arbeitsrechtssachen, die für mindestens drei Arbeitgeber oder Arbeitnehmer von Bedeutung sind.

Das Feststellungsverfahren ist - seiner Zielsetzung, zwischen kollektivvertragsfähigen Körperschaften der Arbeitgeber und Arbeitnehmer strittige Fragen des Arbeitsrechts zu entscheiden, entsprechend - kontradiktorisch ausgestaltet.

Es trifft keineswegs zu, daß die gerichtsförmige Ausgestaltung des Verfahrens und die Entscheidungsaspekte von einer Art wären, daß es, wie vom OGH behauptet, dabei materiell um die Erstattung eines als "Entscheidung" etikettierten Gutachtens ginge. Im Rahmen eines besonderen Feststellungsverfahrens wird eben eine im rechtlichen Interesse betroffener Arbeitnehmer und Arbeitgeber liegende Rechtsfrage entschieden; gerade darin liegt der Unterschied zu einer - per se - Gutachtenstätigkeit.

Die Bundesverfassung steht angesichts der mehrere Deutungsmöglichkeiten offenlassenden Bestimmung des Art92 Abs1 B-VG auch einer gesetzlichen Regelung nicht entgegen, die dem OGH die Kompetenz überträgt, in erster und letzter Instanz zu judizieren.

Im Hinblick auf die vom Gesetzgeber (siehe 527 BlgNR XVI. GP) als maßgeblich genannten Ziele, nämlich einer Verfahrenskonzentration und -beschleunigung und damit eines verbesserten Zugangs zum Recht, einer Stärkung der Rechtssicherheit durch raschere Klärung von arbeitsrechtlichen Streitigkeiten der Kollektivvertragsparteien, und weiters der Entlastung der Gerichte von individuellen Massenprozessen, insbesondere aber auch unter dem Gesichtspunkt, daß das solcherart konzipierte Verfahren für arbeitsrechtliche Konflikte eine besondere Dimension im Hinblick auf den Arbeitsfrieden haben kann, erfahren die bekämpften Vorschriften ihre spezifische Rechtfertigung. Es trifft daher nicht zu, daß der einfache Gesetzgeber mit den angefochtenen Gesetzesbestimmungen deshalb, weil er ausnahmsweise den OGH zur Entscheidung in dem besonderen Feststellungsverfahren gemäß §54 Abs2 ASGG als erste und einzige Instanz berufen hat, den ihm zukommenden rechtspolitischen Gestaltungsspielraum überschritten hat.

§54 Abs2 ff ASGG widerspricht auch nicht dem Gleichheitssatz.

Es ist dem Gesetzgeber aufgrund des ihm zukommenden rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes (vgl. zB VfSlg. 11369/1987 und 12416/1990) unbenommen, dann, wenn er eine Notwendigkeit dafür als gegeben erachtet, im Rahmen der ihm durch verfassungsrechtliche Vorschriften gezogenen Grenzen kollektive Klagerechte zuzulassen und Maßnahmen zur Verfahrenskonzentration- und beschleunigung wie etwa solche zur Ermöglichung der Führung von Testprozessen zu treffen. Der Gleichheitssatz verlangt es dabei aber nicht, wie der Verfassungsgerichtshof in ständiger Judikatur zur Zulässigkeit unterschiedlicher verfahrensrechtlicher Regelungen unter dem Aspekt des Art7 Abs1 B-VG (vgl. VfSlg. 10084/1984, 11795/1988, 13455/1993, 13527/1993) festhält, daß einem entsprechenden rechtspolitischen Interesse in unterschiedlichen Rechtsbereichen in gleicher Weise verfahrensrechtlich Rechnung getragen wird.

Es ist keinesfalls unsachlich, bei der spezifischen Antragsberechtigung nach §54 Abs2 ASGG auf die kollektivvertragsfähigen Körperschaften der Arbeitgeber und Arbeitnehmer insgesamt abzustellen, weil diese in ihrem Wirkungsbereich nicht nur Kollektivverträge schließen können, sondern auch allgemein zur Interessenvertretung umfassend berufen sind.

Entscheidungstexte

Schlagworte

VfGH / Präjudizialität, VfGH / Bedenken, Instanzenzug, Arbeits- u Sozialgerichtsbarkeit, Gericht, Gerichtshof Oberster, Zivilprozeß, Gerichtsakt, Kollektivvertragsrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1996:G52.1995

Dokumentnummer

JFR_10038789_95G00052_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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