RS Vfgh 1996/12/12 B2903/95, B2934/95, B3662/95

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 12.12.1996
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Index

60 Arbeitsrecht
60/01 Arbeitsvertragsrecht

Norm

B-VG Art83 Abs2
B-VG Art144 Abs1 / Bescheid
GleichbehandlungsG §2 Abs1b
GleichbehandlungsG §3
GleichbehandlungsG §6

Leitsatz

Bescheidcharakter der angefochtenen Erledigungen der Gleichbehandlungskommission betreffend Feststellungen des Vorliegens sexueller Belästigung aufgrund Erscheinungsform und Duktus; Zuordnung zu einer Verwaltungsbehörde nicht ausgeschlossen; Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Inanspruchnahme einer vom Gesetz nicht eingeräumten Zuständigkeit durch diese in Bescheidform gekleideten Tatsachenfeststellungen

Rechtssatz

Da die Gleichbehandlungskommission eine ursprünglich (gem. §3 Abs1 GleichbehandlungsG) beim Bundesministerium für soziale Verwaltung, nunmehr (aufgrund der Anlage zu §2 des BundesministerienG 1986) beim Bundeskanzleramt eingerichtete Dienststelle des Bundes und daher in organisationsrechtlicher Hinsicht jedenfalls Teil einer Verwaltungsbehörde ist, kann die Bescheidqualität der angefochtenen Erledigungen nicht schon von vornherein mit der Begründung verneint werden, sie stammten von keiner Verwaltungsbehörde.

Die fraglichen Erledigungen können schon deshalb nicht als - bloßer - "Vorschlag" i.S. des §6 Abs2 leg.cit. qualifiziert werden, weil ein derartiger Vorschlag nur gegenüber dem Arbeitgeber erstattet werden kann, die in Rede stehenden Erledigungen aber gerade nicht an den Arbeitgeber, der dem Verfahren auch nicht beigezogen war, gerichtet sind.

Die angefochtenen Erledigungen intendieren nach Erscheinungsform und Duktus, die den Beschwerdeführern (als Arbeitskollegen) angelastete sexuelle Belästigung einer Mitarbeiterin mit normativer Wirkung festzustellen.

Ungeachtet dessen, daß Feststellungsbescheide, im besonderen Bescheide, deren Gegenstand die Feststellung rechtserheblicher Tatsachen ist, nur (sehr) eingeschränkt zulässig sind (s. z.B. VfSlg. 6050/1969; vgl. auch VwGH 12.2.1985, Zl. 84/04/0072), würde das Fehlen einer entsprechenden Ermächtigung allenfalls zur Fehlerhaftigkeit, nicht aber zur absoluten Nichtigkeit eines solchen Bescheides führen.

Mag eine Behörde bei Erlassung eines Verwaltungsaktes auch zu Unrecht ihre Befugnis zu hoheitlichem Handeln im allgemeinen bzw. zur Erlassung eines Feststellungsbescheides im besonderen angenommen haben, so kann dieses rechtswidrige Verhalten nicht die Qualifikation des Verwaltungsaktes als Hoheitsakt, im vorliegenden Fall als Bescheid, verhindern. Dieser vom Verfassungsgerichtshof in ständiger Judikatur vertretene Rechtsgedanke muß aus dem in den Art139 und 144 B-VG umschriebenen Rechtsschutzauftrag des Verfassungsgerichtshofes abgeleitet werden.

Die Vorschläge und Aufforderungen (der Gleichbehandlungskommission gemäß §6 GleichbehandlungsG) sind nicht in Bescheidform zu erlassen (vgl. VfSlg. 13.695/1994 und 13.699/1994).

Umso weniger kommt der Gleichbehandlungskommission eine Kompetenz zu, außerhalb dieses, auf das rechtliche Verhältnis zwischen belästigter Arbeitnehmerin (belästigtem Arbeitnehmer) und Arbeitgeber(in) ausgerichteten Aufgabenbereiches, eine bescheidmäßige Feststellung darüber zu treffen, daß eine Arbeitnehmerin (ein Arbeitnehmer) von bestimmten anderen Arbeitnehmern (Arbeitnehmerinnen) desselben Arbeitgebers (derselben Arbeitgeberin) sexuell belästigt wurde. Eine solche Zuständigkeit kann auch aus der allgemeinen Umschreibung der Aufgaben der Gleichbehandlungskommission in §4 GleichbehandlungsG nicht abgeleitet werden.

Wenn die Gleichbehandlungskommission in den vorliegenden Fällen dennoch eine in Bescheidform gekleidete Tatsachenfeststellung traf, hat sie eine ihr vom Gesetz nicht eingeräumte Zuständigkeit in Anspruch genommen (vgl. VfSlg. 6050/1969).

Entscheidungstexte

Schlagworte

Bescheidbegriff, Feststellungsbescheid, Behörde, Rechtsschutz, Arbeitsrecht, Gleichbehandlung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1996:B2903.1995

Dokumentnummer

JFR_10038788_95B02903_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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