RS Vfgh 1997/3/14 G392/96, G398/96, G399/96

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 14.03.1997
beobachten
merken

Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art18 Abs1
B-VG Art140 Abs1 / Allg
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsgegenstand
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
B-VG Art140 Abs1 zweiter Satz
B-VG Art140 Abs4
B-VG Art140 Abs5 / Fristsetzung
ASVG §4 Abs4, Abs5, Abs6, Abs7
ASVG §5, §5a
ASVG §70a
VfGG §62 Abs1 zweiter Satz
HGB §228 Abs3
EStG 1988 §109a

Leitsatz

Teilweise Zurückweisung des Abgeordnetenantrags auf Aufhebung des gesamten Regelungssystems der Einbeziehung bestimmter Werkverträge in die Sozialversicherungspflicht und der Ausnahmen hievon mangels untrennbaren Zusammenhangs mit den zulässigerweise angefochtenen Bestimmungen bzw mangels Darlegung der Bedenken im einzelnen; Verletzung des Determinierungsgebotes durch Unklarheiten und Unverständlichkeit der Regelungen über die Einbeziehung von dienstnehmerähnlichen Werkverträgen in die Sozialversicherungspflicht, die Versicherungspflicht mehrerer mit rechtlich selbständigen aber als einheitlicher Auftraggeber zu bewertenden Unternehmungen abgeschlossener Werkverträge und die Erhebung der Einkommensteuer als Abzugsteuer bei bestimmten Werkvertragsnehmern; Verletzung des Gleichheitsrechtes durch eine Regelung über die "Geringfügigkeitsgrenzen"; keine Verfassungswidrigkeit der Einbeziehung freier Dienstverträge in die Sozialversicherungspflicht, weiterer Regelungen von "Geringfügigkeitsgrenzen" sowie der Regelung über die Rückerstattung von Krankenversicherungsbeiträgen unter den von den Antragstellern vorgebrachten Aspekten

Rechtssatz

Zurückweisung eines Abgeordnetenantrags auf Aufhebung der bereits außer Kraft getretenen Bestimmungen des §44a Abs3 und Abs4 ASVG idF BGBl 411/1996, rückwirkend aufgehoben durch BGBl 600/1996.

Wie sich aus Art140 Abs4 B-VG ergibt, ist ein Antrag eines Drittels der Mitglieder des Nationalrates als Fall einer abstrakten Normenkontrolle nur gegen geltende, nicht aber gegen schon außer Kraft getretene Rechtsvorschriften zulässig.

Teilweise Zurückweisung des auf die Aufhebung des gesamten durch das StrukturanpassungsG 1996 eingeführten und durch das SozialrechtsänderungsG 1996, BGBl 411, sowie durch BGBl 600/1996 wieder abgeänderten Regelungssystems der Einbeziehung bestimmter Werkverträge in die Sozialversicherungspflicht gerichteten Abgeordnetenantrags (zB hinsichtlich zahlreicher Bestimmungen des ASVG, einschließlich der Ausnahmebestimmungen zB betr Zeitungskolporteure, Teilen des §46 und §124b EStG 1988 und §48 BAO) mangels Darlegung der Bedenken im einzelnen bzw mangels untrennbaren Zusammenhangs mit den zulässigerweise zur Aufhebung beantragten Gesetzesbestimmungen.

Auch ist es dem Verfassungsgerichtshof verwehrt, auf (zusätzliche) Normbedenken einzugehen, die nicht bereits im Antrag enthalten und dargelegt sind, über den das Vorverfahren geführt wurde, sondern die erstmalig in der mündlichen Verhandlung vor dem Verfassungsgerichtshof vorgetragen werden (vgl VfSlg 9260/1981, 9911/1983).

Ein Gesetzesprüfungsverfahren, mag es sich auch um einen Fall der abstrakten Normenkontrolle handeln, soll dazu führen, die geltend gemachte Verfassungswidrigkeit - wenn sie tatsächlich vorliegt - zu beseitigen; der nach Aufhebung verbleibende Teil des Gesetzes soll möglichst nicht mehr verändert werden, als zur Bereinigung der Rechtslage unbedingt notwendig ist.

Der Umstand, daß sich die Anfechtung des Abs4 und Abs5 des §4 ASVG als zulässig erweist, führt nicht eo ipso auch zur Zulässigkeit der Anfechtung aller jener Bestimmungen, auf die sich eine allfällige Aufhebung der zulässigerweise angefochtenen Bestimmungen irgendwie auswirkt. Zulässig ist die Anfechtung solcher Vorschriften nur, sofern gegen sie eigene Bedenken vorgetragen werden (wie zB gegen §70a ASVG), oder sofern sie mit den zulässigerweise angefochtenen Bestimmungen in einem untrennbaren Zusammenhang stehen.

Abweisung des Antrags hinsichtlich der Einbeziehung freier Dienstverträge in die Sozialversicherungspflicht in §4 Abs4 ASVG idF BGBl 201/1996, 411/1996 und 600/1996.

Die Beantwortung der Frage, welche Personen nach §4 Abs4 ASVG der Versicherungspflicht unterliegen, ist insbesondere angesichts der Judikatur des Obersten Gerichtshofes zur Rechtsfigur des freien Dienstvertrages ohne größere Schwierigkeiten möglich (vgl insbesondere Schrank/Grabner, Werkverträge und freie Dienstverträge, 1997, 35 ff).

Angesichts des Umstandes, daß es sich bei freien Dienstverträgen um Dauerschuldverhältnisse handelt, begegnet es - unter den von den Antragstellern geltend gemachten Aspekten - auch keinen unter Gesichtspunkten des Rechtsstaatsprinzips relevanten Schwierigkeiten, die Regelungen des ASVG, insbesondere jene über Beginn und Ende der Versicherungspflicht, über die Berechnung der Beiträge und die Meldepflicht auf solche Verträge anzuwenden.

Aufhebung der Einbeziehung der dienstnehmerähnlichen Werkvertragsverhältnisse in die Sozialversicherungspflicht in §4 Abs5 ASVG idF Sozialrechts-ÄnderungsG 1996, BGBl 411/1996.

Die Verwendung von Typusbegriffen in Rechtsvorschriften ist in der österreichischen Rechtsordnung nichts Ungewöhnliches und für sich allein unter Gesichtspunkten des Art18 B-VG noch nicht zu beanstanden.

Die angefochtenen Regelungen sind sowohl hinsichtlich des Bestehens der Versicherungspflicht als solcher als auch hinsichtlich ihrer konkreten Ausgestaltung, hinsichtlich ihres Beginns, ihrer Dauer und ihres Endes, hinsichtlich der für das Entstehen der Versicherungspflicht maßgeblichen Grenzbeträge und hinsichtlich der angeordneten Meldepflichten derart unklar und zum Teil sogar widersprüchlich, daß von einer ausreichenden Determinierung iSd Art18 Abs1 B-VG nicht mehr die Rede sein kann.

Ebenso Aufhebung von mit §4 Abs5 ASVG in untrennbarem Zusammenhang stehenden Wortfolgen in §4 Abs6 ASVG, §5a Abs1 ASVG, §10 Abs2 ASVG, §10a ASVG, §44 Abs8 ASVG, §44a Abs2 ASVG und §55 Abs2 ASVG, jeweils idF Sozialrechts-ÄnderungsG 1996 bzw BGBl 600/1996.

Aufhebung der Geringfügigkeitsgrenze in §5 Abs1 und §5a Abs2 Z3 ASVG idF BGBl 600/1996.

Es ist sachlich nicht begründbar, die Versicherungsgrenze für den Fall des Abschlusses mehrerer Verträge nach §4 Abs4 oder Abs5 ASVG mit demselben Dienstgeber bzw Auftraggeber mit S 7.000,--, für den Fall des Zusammentreffens eines Dienstvertrages und eines Vertrages nach §4 Abs4 oder Abs5 ASVG aber mit einer etwa nur halb so hohen Grenze festzusetzen (so auch Tomandl/Aigner, ZAS 1997, 9). Diese Ungleichheit kann auch nicht mit der Notwendigkeit, möglichen Mißbräuchen gegenzusteuern, gerechtfertigt werden.

Aufhebung der Versicherungspflicht für freie Dienstverträge, die mit rechtlich selbständigen, aber als einziger Dienst- bzw Auftraggeber zu wertenden Unternehmen abgeschlossen werden, in §4 Abs7 ASVG idF BGBl 600/1996.

Die Frage, ob Unternehmungen, mit denen eine Person entsprechende Verträge (Dienstverträge, freie Dienstverträge, Verträge zur Begründung sonstiger dienstnehmerähnlicher Beschäftigungen) abschließt, der Vorschrift des §4 Abs7 ASVG zufolge als ein einziges Unternehmen zu werten ist, kann maßgeblich dafür sein, ob für den Dienstnehmer, freien Dienstnehmer oder sonst dienstnehmerähnlich Beschäftigten eine Versicherung entsteht.

Angesichts dieser Konsequenzen für den Dienstnehmer bzw. Auftragnehmer ist es auch verfassungsrechtlich von Relevanz, daß dieser in einer keineswegs vernachlässigbaren Zahl von Konstellationen nicht in der Lage sein wird zu beurteilen, ob die von §4 Abs7 genannten Voraussetzungen vorliegen. Eine Regelung, die die geschilderte Wirkung entfaltet, kann aber sachlich auch nicht mit der Absicht, Mißbräuche hintanzuhalten, gerechtfertigt werden. Auch wenn das verfolgte Ziel durchaus legitim ist, ist das hiefür eingesetzte Mittel unverhältnismäßig, da es das Risiko des Nichtwissens um eine allfällige konzernmäßige Verflechtung des Vertragspartners oder um auf Unternehmerseite existierende Absprachen dem Dienstnehmer bzw Auftragnehmer überbindet.

Keine Verfassungswidrigkeit der "Geringfügigkeitsgrenzen" in §5a Abs1 und §5a Abs2 Z1 und Z2 ASVG idF BGBl 600/1996 unter den von den Antragstellern vorgebrachten Aspekten.

Es wäre nicht unsachlich, auch für die Versicherungspflicht von freien Dienstnehmern (und - was aber nach Aufhebung der Worte "oder 5" in §5a Abs1 leg cit nicht mehr relevant ist - für sonst dienstnehmerähnlich Beschäftigte) "Geringfügigkeitsgrenzen" einzurichten. Auch hält es der Gerichtshof nicht für gleichheitswidrig, daß der Gesetzgeber anordnet, daß für die Beurteilung der Frage, ob die Grenze erreicht ist, bei Bestehen mehrerer Verträge mit ein und demselben Auftraggeber (Dienstgeber) die vereinbarten Entgelte zusammengerechnet werden. Eine solche Regelung ist geradezu erforderlich, um zu verhindern, daß durch Aufteilung von Verträgen die Grenzen umgangen werden. Es mag sein, daß die Regelung angesichts des §539a ASVG überflüssig ist; als verfassungswidrig erweist sie sich jedenfalls nicht.

Die bekämpfte Regelung des §5a Abs2 Z2 ASVG erweist sich als eine Begleitbestimmung, die die Umgehung der durch §5a Abs1 leg cit eingezogenen Versicherungsgrenze verhindern soll. Ihr Hauptanwendungsfall waren zweifellos Verträge, für die eine Versicherung nach §4 Abs5 ASVG eintrat; durch Aufhebung dieser Bestimmung verringert sich ihr Anwendungsbereich. Soweit sie sich aber auf freie Dienstverträge auswirkt, ist es möglich, der von den Antragstellern perhorreszierten Konsequenz dadurch zu entgehen, daß in die Vereinbarung mit dem freien Dienstnehmer die Dauer und Höhe des Entgelts aufgenommen wird. Der Gesetzgeber verstößt aber nicht gegen das Sachlichkeitsgebot, wenn er normiert, daß dann, wenn eine solche Vereinbarung aus welchen Gründen auch immer unterbleibt, eine Versicherungspflicht besteht, zumal §44 Abs8 ASVG auch noch die Möglichkeit nachträglicher Korrekturen einräumt.

Keine Verfassungswidrigkeit der Regelung der Rückerstattung von Krankenversicherungsbeiträgen in §70a ASVG idF BGBl 600/1996 aus den im Antrag dargelegten Gründen.

Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen nicht gehalten, Beiträge rückzuerstatten, die aus mehreren versicherungspflichtigen Beschäftigungen zu einer Beitragsleistung führen, die insgesamt die Beitragsleistung auf Grund der Höchstbemessungsgrundlage übersteigt.

Die für die Dienstnehmer bzw Auftragnehmer in §70a ASVG unter den dort genannten Voraussetzungen vorgesehene Rückerstattung von Beiträgen ist somit verfassungsrechtlich nicht geboten; dem Gesetzgeber ist es freilich auch nicht verwehrt, eine Rückerstattung von Beiträgen vorzusehen, die zu einem Leistungsanspruch nicht führen können.

Es ist Sache des Gesetzgebers, die rechtspolitische Entscheidung zu treffen, ob ihm eine Gleichbehandlung der Beitragsleistungen der Dienstnehmer und Dienstgeber zur Krankenversicherung wichtiger erscheint oder die Gleichbehandlung der verschiedenen am Arbeitsmarkt in Konkurrenz zueinander stehenden Arbeitgeber (Auftraggeber). Der Verfassungsgerichtshof kann dem Gesetzgeber, der diesem Ziel gegenüber jenem den Vorrang eingeräumt hat, unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitsgrundsatzes daher nicht entgegentreten.

Aufhebung des §109a EStG 1988 idF BGBl 600/1996.

Durch §109a EStG 1988 werden freie Dienstnehmer und sonst dienstnehmerähnlich Beschäftigte nur soweit der Abzugsteuer unterworfen, als sie nicht Dienstnehmer iSd §47 Abs2 EStG 1988 sind.

Einkommensteuerrechtlich ist vom Dienstnehmerbegriff des EStG 1988 auszugehen; angesichts der Unterschiedlichkeit der beiden Dienstnehmerbegriffe nimmt der Gesetzgeber eben in Kauf, daß in den beiden Rechtsmaterien auch der Begriff der Dienstnehmerähnlichkeit einen unterschiedlichen Gehalt hat.

Der Verfassungsgerichtshof gesteht den Antragstellern durchaus zu, daß die Zuordnung der bisher nicht lohnsteuerpflichtigen freien Dienstnehmer und sonst dienstnehmerähnlich Beschäftigten relativ kompliziert ist; auch mag die getroffene Lösung rechtspolitisch umstritten sein. Unter dem Gesichtspunkt des Legalitätsprinzips hat der Verfassungsgerichtshof jedoch keine Bedenken, daß die Regelung des §109a Abs3 EStG 1988 derart unbestimmt wäre, daß die Finanzverwaltung nicht in der Lage ist, die in diesen Bestimmungen genannten Gruppen von Personen zu bestimmen bzw einzelne Steuerpflichtige diesen Gruppen zuzuordnen.

Unvollziehbar wird §109a EStG 1988 aber durch dessen Abs4. Dieser nimmt aus dem Kreis der Personen, die als freie Dienstnehmer (iSd EStG 1988) und als sonst dienstnehmerähnlich Beschäftigte (iSd EStG 1988) tätig sind, einen Personenkreis aus, dessen Bestimmung aufgrund der Textierung des Gesetzes nicht klar ist.

Die Unklarheit der Bestimmung des §109a Abs4 EStG 1988 belastet diese Vorschrift mit Verfassungswidrigkeit, die sich wegen des untrennbaren Zusammenhanges dieses Absatzes mit dem übrigen Regelungsgehalt des §109a auf diesen insgesamt auswirkt.

Eine Frist für das Inkrafttreten der Aufhebung zu bestimmen, verbietet sich angesichts des Umstandes, daß tragender Grund für die Aufhebung der zentralen Bestimmung des §4 Abs5 ASVG und der mit dieser Vorschrift in untrennbarem Zusammenhang stehenden Vorschriften über Beginn, Ende und konkrete Ausgestaltung der Versicherung die durch die Unklarheit und Widersprüchlichkeit der Vorschriften bewirkte Vollzugsuntauglichkeit war und daß auch §109a EStG 1988 wegen seiner Unklarheit aufgehoben wurde.

Entscheidungstexte

Schlagworte

VfGH / Prüfungsgegenstand, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Bedenken, VfGH / Formerfordernisse, VfGH / Verhandlung, Werkverträge, Sozialversicherung, Handelsrecht, Determinierungsgebot, Rechtspolitik, Beiträge (Sozialversicherung) Rückerstattung, Einkommensteuer, Einbehaltung (Einkommensteuer), VfGH / Fristsetzung, Rechtsbegriffe unbestimmte, Verständlichkeit einer Norm, Auslegung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1997:G392.1996

Dokumentnummer

JFR_10029686_96G00392_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten