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32 SteuerrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Verfassungswidrigkeit der Befreiung der Österreichischen Bundesbahnen von der Kommunalsteuer nach dem KommunalsteuerG 1993 mangels sachlicher Rechtfertigung für eine bevorzugte Behandlung der ÖBB in Bezug auf Lohnkosten für die Erbringung von Leistungen des allgemeinen Personen- und Güterverkehrs; Präjudizialität sowohl des Grundtatbestandes über die Steuerpflicht als auch der Ausnahmebestimmung; kein Anwendungsvorrang des EG-Rechts betreffend das Verbot staatlicher Beihilfen; keine Aufhebung des Grundtatbestandes nach Aufhebung der AusnahmebestimmungRechtssatz
Die belangte Behörde hat ihren dem Beschwerdeführer des Anlaßverfahrens Kommunalsteuer vorschreibenden Bescheid darauf gestützt, daß der Beschwerdeführer nach §1 KommunalsteuerG 1993 zur Leistung von Kommunalsteuer verpflichtet und nicht nach §8 oder §16 des Gesetzes von der Steuerpflicht ausgenommen ist. Insofern hat die belangte Behörde auch §8 Z1 KommunalsteuerG 1993 sozusagen als negatives Tatbestandselement mitangewendet. Angesichts dessen ist auch diese Bestimmung präjudiziell.
Der Anwendung des §8 Z1 KommunalsteuerG 1993 stehen auch gemeinschaftsrechtliche Vorschriften nicht entgegen. Zwar sind Steuerbefreiungen oder Steuererleichterungen als Beihilfen im Sinne des EG-Vertrags zu verstehen, und Beihilfen im Verkehrsbereich unterliegen auch dem Regime der Art92 ff EG-Vertrag, doch kommt nach der Rechtsprechung des EuGH der Bestimmung des Art92 I EG-Vertrag unmittelbare Wirkung zweifellos nicht zu und die Vorschrift des Art 93 III EG-Vertrag, aus der sich eine unmittelbar wirksame Sperrwirkung für nicht notifizierte oder nicht zugelassene Beihilfen ergibt, ist auf Altbeihilfen nicht anzuwenden. Bei der Steuerbefreiung für die Österreichischen Bundesbahnen nach dem KommunalsteuerG 1993 handelt es sich aber - da das Gesetz schon 1993 und damit vor dem Geltungsbeginn des EWR-Abkommens am 01.01.94 in Geltung gesetzt wurde und gleichzeitig mit diesem Abkommen und damit auch vor dem Beitritt Österreichs zur EU mit 01.01.95 in Kraft trat - um eine derartige Altbeihilfe.
§8 Z1 des KommunalsteuerG 1993, BGBl. 819/1993, wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Es ist keine sachliche Rechtfertigung dafür ersichtlich, daß die Österreichischen Bundesbahnen in bezug auf die Kommunalsteuer anders als andere Unternehmungen, die Transportleistungen oder andere im allgemeinen Interesse liegende Infrastrukturleistungen erbringen, bevorzugt behandelt werden.
Die von der Bundesregierung genannten "gemeinwirtschaftlichen Leistungen" sind dem BundesbahnG 1992 gemäß gesondert abzugelten und werden auch abgegolten (vertragliche Vereinbarung zwischen Bund und ÖBB gemäß §3 BundesbahnG 1992); die Leistungen im Unternehmensbereich "Infrastruktur" werden überhaupt durch den Bund finanziert. Die Erbringung dieser Leistungen kann daher - entgegen der Auffassung der Bundesregierung - nicht als Rechtfertigung für die Befreiung der ÖBB von der Kommunalsteuer herangezogen werden, die den ÖBB für ihre gesamte Unternehmenstätigkeit, also nicht nur für die Infrastrukturleistungen und die gemeinwirtschaftlichen Leistungen, sondern auch für die Erbringung der Leistungen im Personen- und Güterverkehr zugute kommen.
Nicht gerechtfertigt werden kann angesichts der im BundesbahnG 1992 in Verfolg der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben (insbesondere der Verordnung (EWG) Nr. 1191/69 des Rates idF der Verordnung (EWG) Nr. 1893/91 des Rates und der Richtlinie des Rates vom 29.07.91, 91/440/EWG, zur Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft) vorgesehenen Notwendigkeit der strikten Zuordnung der Leistungen des Bundes zum Unternehmensbereich "Infrastruktur" bzw. zu den vereinbarten gemeinwirtschaftlichen Leistungen die Steuerbegünstigung betreffend die Lohnkosten, die für die Erbringung der Leistungen des allgemeinen Personen- und Güterverkehrs anfallen. Zwar besteht auch an der Erbringung der Leistungen im Personen- und Güterverkehr über die gemeinwirtschaftlichen Leistungen hinaus ein öffentliches Interesse; dieses vermag aber die in Rede stehende Steuerbefreiung nicht zu tragen, ist das öffentliche Interesse an der Erbringung dieser Leistungen doch qualitativ nicht anders zu beurteilen, als das öffentliche Interesse am reibungslosen Funktionieren der Erbringung anderer wesentlicher Verkehrsleistungen.
Durch die Aufhebung der Ausnahmebestimmung der Z1 des §8 KommunalsteuerG 1993 kann die Verfassungswidrigkeit beseitigt werden. Der Inhalt des Gesetzes wird dadurch insgesamt in wesentlich geringerem Maße verändert, als dies im Falle der Aufhebung der die Kommunalsteuerpflicht selbst anordnenden Bestimmung des §1 KommunalsteuerG 1993 der Fall wäre. Fällt aber mit der Aufhebung die Steuerbefreiung für die ÖBB weg, so ist den vom Verfassungsgerichtshof aufgeworfenen Bedenken gegen §1 KommunalsteuerG 1993 der Boden entzogen. Diese Bestimmung war daher nicht als verfassungswidrig aufzuheben.
Da sich die Kommunalsteuerbefreiung der ÖBB bloß in ihrer derzeitigen, die Lohnsumme aller Bediensteten umfassenden Ausprägung als sachlich nicht gerechtfertigt erwiesen hat und eine entsprechende (insbesondere auch den Kontext mit der finanzausgleichsrechtlichen Regelung und der vertraglichen Vereinbarung gemäß §3 BundesbahnG 1992 beachtende) Ersatzregelung für Teilbereiche der Unternehmenstätigkeiten der ÖBB eine mögliche rechtspolitische Option des Gesetzgebers darstellt, sah sich der Verfassungsgerichtshof veranlaßt, für das Außerkrafttreten der Z1 des §8 KommunalsteuerG 1993 eine Frist bis zum Ende des laufenden Jahres zu bestimmen.
Entscheidungstexte
Schlagworte
VfGH / Präjudizialität, Kommunalsteuer, EU-Recht, Bundesbahnen, Gesetz Ausnahme - Regel, VfGH / Verwerfungsumfang, VfGH / FristsetzungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1997:G400.1996Dokumentnummer
JFR_10029588_96G00400_01