RS Vfgh 1997/6/12 B2487/95, B2783/96, B2878/96

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Veröffentlicht am 12.06.1997
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Index

L9 Sozial- und Gesundheitsrecht
L9440 Krankenanstalt, Spital

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art18 Abs1
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art144 Abs1 / Bescheid
KAG §3 Abs2 lita
Vlbg SpitalG §9 Abs4
ASVG §338 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch Verkennung der Rechtslage in einem entscheidenden Punkt bei der Bedarfsfeststellung für die Erweiterung der Zahnambulatorien der Vlbg Gebietskrankenkasse; keine nachvollziehbare Interessenabwägung; keine Auseinandersetzung mit der Frage des seit fast zehn Jahren bestehenden vertragslosen Zustandes; keine Bedenken gegen die Regelung betreffend die Erfüllung des Versorgungsauftrages im Sozialversicherungs- und Krankenanstaltenrecht; ausreichende Bestimmtheit und sachliche Unbedenklichkeit der Bedarfsregelung für die Bewilligung und Erweiterung von Ambulatorien

Rechtssatz

Zulässigkeit der Beschwerde gegen die Bedarfsfeststellung für die Erweiterung der Zahnambulatorien der Vlbg Gebietskrankenkasse.

Diese Bedarfsfeststellung ist bindend, da sie die notwendige Voraussetzung für die Einleitung des fortgesetzten Ermittlungsverfahrens ist, in dessen Rahmen zu prüfen ist, ob auch die anderen Bewilligungsvoraussetzungen vorliegen (vgl. VwGH 4.7.1980, Z983, 3201/78). Im Hinblick darauf, daß der Abspruch auf diese Entscheidung verweist, in der die Erlassung eines Feststellungsbescheides zur Klärung der Frage, ob ein Bedarf (im Sinne des §8 Vlbg SpitalG) vorliegt, für zulässig erklärt wird (vgl. auch - zur geltenden Rechtslage - VwGH 28.6.1994, Z94/11/0158), sowie im Hinblick darauf, daß dieser Abspruch den Verfahrensparteien formell zugestellt wurde, hegt der Verfassungsgerichtshof keinen Zweifel, daß die belangte Behörde einen Bescheid erlassen hat.

§9 Abs4 Vlbg SpitalG und §3 Abs2 lita KAG stehen zueinander im Verhältnis von Landesausführungsgesetz und Grundsatzgesetz, sodaß eine unmittelbare Anwendung nur des Ausführungsgesetzes in Frage kommt; da aber bei dessen Anwendung die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Grundsatzgesetzes relevant werden kann, ist auch auf allfällige Bedenken zum Grundsatzgesetz einzugehen.

Die Schaffung eines Netzes von Vertragsärzten durch Gesamt- und/oder Einzelverträge ist wesentlich für die Erfüllung des Versorgungsauftrages des §338 Abs2 ASVG. Vor dem Hintergrund dieses Regelungszusammenhanges vermag der Verfassungsgerichtshof dem Gesetzgeber unter dem Aspekt des Gleichheitssatzes nicht entgegenzutreten, wenn er bei der Bedarfsprüfung im §9 Abs4 Vlbg SpitalG anordnet, daß die Beurteilung eines ausreichenden Versorgungsangebotes im Hinblick auf die Abdeckung des Bedarfes (nur) durch niedergelassene Vertragsärzte und Vertragsdentisten zu prüfen ist. Für kasseneigene Einrichtungen besteht somit nur dann ein Bedarf, wenn die ausreichende Versorgung trotz eines Gesamtvertrages, der zwischen den Trägern der Sozialversicherung und der Ärztekammer abgeschlossen wurde, durch Verträge mit freiberuflich tätigen Ärzten nicht sichergestellt werden konnte, wobei auch die Schaffung hinreichender Kassenplanstellen Bedeutung besitzen kann.

Zur Bedarfsprüfung ist als wichtiges Beurteilungskriterium der Versorgungsschlüssel, nämlich das Verhältnis zwischen Bevölkerungszahl und Anzahl der vorhandenen einschlägigen Behandlungseinrichtungen im maßgebenden Gebietsbereich heranzuziehen.

§338 ASVG läßt deutlich erkennen, daß der Gesetzgeber die Sicherung der Versorgung der Versicherungsnehmer nicht nur durch den Abschluß von Verträgen mit Ärzten, sondern auch durch Errichtung anstaltseigener Einrichtungen anordnet, ausgehend davon, daß letztere für die Versorgung nur nach Maßgabe der hiefür geltenden gesetzlichen Vorschriften herangezogen werden dürfen.

Regelungsziel ist somit einerseits die Sicherung der Versorgung durch Ärzte, und zwar, soweit dies durch Verträge erzielbar ist, durch Vertragsärzte, andererseits aber auch die Errichtung anstaltseigener Einrichtungen zur Befriedigung eines zufolge zu geringer oder honorarmäßig zu belastender Anbote nicht gedeckten Versorgungsbedarfes der Versicherungsnehmer, wobei aber ein Wahlrecht der Patienten gewährleistet sein soll.

Die Bedarfsregelung für die Bewilligung und die Erweiterung von Ambulatorien ist hinreichend bestimmt und sachlich unbedenklich.

Verletzung im Gleichheitsrecht durch Verkennung der Rechtslage bei der Bedarfsfeststellung für die Erweiterung der Zahnambulatorien der Vlbg Gebietskrankenkasse; keine nachvollziehbare Interessenabwägung.

Die Begründung der angefochtenen Bescheide enthält keine Auseinandersetzung mit der Frage, warum seit fast zehn Jahren ein vertragsloser Zustand besteht. Die angefochtenen Bescheide erörtern ebensowenig, ob die ohne Bestehen eines Gesamtvertrages getroffenen Feststellungen über das Vorliegen eines Bedarfes nach Abschluß eines neuen Gesamtvertrages aufrechterhalten werden könnten. Damit wird aber ein dem Gesetz widersprechendes Ergebnis - ein vertragsloser Zustand - ohne Hinterfragung hingenommen und keinerlei Rückschluß daraus gezogen, daß §338 Abs2 ASVG den Sozialversicherungsträgern eine Verpflichtung auferlegt, den Abschluß von Verträgen zu suchen. Offen ist auch, ob solche Bemühungen überhaupt stattgefunden haben und aus welchen Gründen eine Einigung über den Abschluß eines neuen Gesamtvertrages zwischen der Ärztekammer und dem zuständigen Sozialversicherungsträger nicht zustande gekommen ist. Auch der Umstand, daß immerhin ca. 25 Prozent der Ärzte sich bereit gefunden haben, mit dem Sozialversicherungsträger Einzelvereinbarungen in Form von sogenannten "Abrechnungsübereinkommen" zu schließen, wäre ein zwingender Anlaß gewesen, auf die Hintergründe des Konfliktes einzugehen und zu überprüfen, ob ein echter Bedarf tatsächlich vorliegt oder ob der angenommene Bedarf nur auf dem Nichtabschluß des Gesamtvertrages beruht, womit er objektiv nur unzureichend begründet wäre.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Bescheidbegriff, VfGH / Präjudizialität, Sozialversicherung, Grundsatz- und Ausführungsgesetzgebung, Krankenanstalten, Ambulatorien, Bedarfsprüfung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1997:B2487.1995

Dokumentnummer

JFR_10029388_95B02487_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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